# taz.de -- Porträt: Der Bäcker der verlorenen Seelen | |
> Kultur fängt beim Teigkneten an: ln einer Backstube in Berlin-Mitte backt | |
> Oliver Sporys für die schwäbische Exilgemeinde, DDR-Nostalgiker und | |
> Trendsetter. | |
Bild: Brot für die Welt? Brot für Mitte! | |
Mehl, Wasser, Salz, Sauerteig und Hefe hat Oliver Sporys schon auf der | |
ganzen Welt zusammengemischt. Er ist 41 Jahre alt, kräftig, trägt Glatze | |
und in jedem Ohr einen Ring. Sporys war Bäcker in England, Sibirien, in den | |
Vereinigten Staaten von Amerika, in Peru und in Chile. "Wenn ich zu lange | |
hier bleibe, werde ich zu deutsch", sagt er und meint: zu griesgrämig. | |
Pedantisch. Regelverhaftet. | |
Sporys denkt darüber nach, wieder einmal wegzuziehen. Vielleicht nach | |
Andalusien. Weil es dort warm ist. Weil er das Leben in südlichen Ländern | |
für entspannter hält. Weil das Brot dort "miserabel" sei und "die einen | |
Missionar für Brot brauchen". Diese Vision rettet ihn über den nächsten | |
unangemeldeten Kontrollbesuch des Hygieneamtes und über kalte Berliner | |
Wintertage, wenn "kein Mensch die Mundwinkel hochzieht". Die sofortige | |
Abreise kommt allerdings nicht in Frage. Sporys hat eine zweijährige | |
Tochter, und die soll wissen, "was ein Leberwurstbrot mit Gurke zum | |
Frühstück ist. Wenn sie eingeschult ist und schon ein bisschen Kultur | |
mitbekommen hat, können wir darüber nachdenken, auszureisen." | |
Kultur ist für Sporys in erster Linie Esskultur. Deshalb hat er sich in | |
Berlin mit einer "Schwäbischen Bäckerei" selbstständig gemacht. In vier | |
Verkaufsräumen in der Rungestraße, der Rosenthaler Straße, der Prenzlauer | |
Allee und der Cantianstraße verkauft Sporys seine Brezeln. Das Geschäft mit | |
der regionalen Identität floriert, Sporys hat eine Marktlücke besetzt. Bei | |
ihm bekommt man Brezeln, schwäbischen Apfelkuchen, Bauernrahmkuchen. | |
Außerdem schwäbische Brotsorten wie genetztes Brot. Anfangs war es ein | |
Versuch, "aber dann habe ich schnell gemerkt, dass es der absolute Erfolg | |
ist, tatsächlich kamen jeden Tag Leute vorbei, probierten eine Brezel und | |
fragten: 'Toll, habt ihr auch Seelen?'" | |
Sein Brot scheint für die Schwaben im Exil ein Heimatfaktor zu sein. Die | |
erfolgreichen, flexiblen Menschen, die willig dem Ruf der Arbeitgeber in | |
die Hauptstadt folgten, sehnen sich zurück nach Hause. Und das ist nun mal | |
da, wo die Mama in der Küche den Rahmkuchen aus dem Backofen zieht. Sie | |
träumen von der Enge der Schwäbischen Alb und des Stuttgarter Kessels und | |
stopfen dann schnell ein Weckle in sich hinein. Sporys bedient diese | |
Sehnsucht sehr professionell. | |
Er kommt aus Pforzheim, wo die größten stadtinternen Fronten zwischen den | |
Schwaben und den Badenern verlaufen. Hier hat er seine Lehre gemacht und | |
backen gelernt. Ob er wirklich ein Schwabe oder eher ein Badener ist, kann | |
er nicht so genau bestimmen. Auf jeden Fall aber sieht er sich als | |
Süddeutschen. "Es gibt gravierende Unterschiede in der Esskultur zwischen | |
Nord- und Süddeutschland. Wenn ich in Berlin einen Salat bestelle, bekomme | |
ich dazu bestenfalls eine Kanne Essig und eine Kanne Öl. In Schwaben ist | |
schon der Beilagensalat ein vollwertiger Salat. Mit selbstgeschnittenen | |
frischen Radieschen und richtigem Dressing." Er sei ein Genussmensch, sagt | |
Sporys. Das gilt auch für Brot und Brötchen. Qualität und Tradition bei der | |
Nahrungsaufnahme scheinen für ihn die elementare Essenz menschlicher | |
Existenz auszumachen. | |
In seiner Backstube in der Rungestraße liegen kleine, ungebackene Brezeln | |
auf den Backwägen. Hier herrscht der herbe Duft von Sauerteig. Von einem | |
guten Chef erwartet man, dass er alles selber macht. Sporys erfüllt dieses | |
Klischee, allerdings ungerne. Er steht nicht gern früh auf. Und er hätte | |
lieber mehr Freizeit. Aber er hantiert an den Backwägen und wird dauernd | |
gefragt: "Gibt es noch einen Handschuh?", "Können Sie mal gucken, die | |
Ofentür klemmt!" Wenn er doch endlich einen fähigen Backstubenleiter fände, | |
der seinen Qualitätsansprüchen genüge, seufzt Sporys. Wie gerne gäbe er | |
seine Verantwortung ab. Sagt er zumindestens. Leider ist dieser andere | |
nicht in Sicht. So muss Sporys dableiben, über den Mangel an fähigen | |
Backstubenleitern klagen und das Brot in den Ofen schieben. | |
Neben den Brezeln, in friedlicher Koexistenz mit ihnen liegt einheimisches | |
Gebäck. "Ostschrippe" steht auf einem Schildchen an einem Korbkasten in der | |
Auslage, darin die hellen Brötchen. "Ich habe mich dem Mythos der | |
Ostschrippe angenommen", stellt Sporys zufrieden fest. Er habe versucht zu | |
verstehen, was die Leute meinten, wenn sie der Ostschrippe nachtrauerten. | |
Dann habe er ein Modell entworfen, das ihren Wünschen entsprach. "Vor allem | |
sollte es sich bis zum nächsten Tag halten." | |
Sporys backt Brot für alle: Für die Exilschwaben, die Ostberliner und für | |
gesundheitsbewusste Trendsetter. Die nämlich können sich in seinen vier | |
Bäckereien an einer "gesunden Ecke" erfreuen. "Und außerdem", sagt Sporys, | |
"haben wir schon 'Slow Baking' gemacht, als noch keiner wusste, was das | |
ist." | |
Wäre Sporys nicht selber Bäcker, er hätte nicht gewusst, was er bei seinen | |
langen Auslandsaufenthalten essen sollte. Als besonders traumatisch erlebte | |
er das Brot in den USA. "Man drückt drauf und es kommt zurück." Gescheitert | |
ist Sporys mit seinem Idealismus auch, als er versuchte, den Engländern | |
seine Backkunst nahezubringen. "Irgendwie hat das nicht so gut geklappt. | |
Alle fanden die Idee gut, aber dann hat es keiner gekauft", sagt er. | |
Alleine Brötchen durfte er backen, die "mochte mein Chef, weil sie aussahen | |
wie Popos". | |
Alle paar Minuten meldet sich die falsch eingestellte Ladenklingel in der | |
Rungestraße, im Verkaufsraum steht eine kleine Schlange bis zur Tür. | |
Momentan sieht es nicht so aus, als würde Sporys dazu kommen, in näherer | |
Zukunft seine Brezeln in der andalusischen Hitze zu backen. | |
Sporys ist gleichzeitig backender Traditionalist und Globetrotter. In | |
Berlin schwäbische Esskultur zu vermarkten, fordert von ihm | |
Lokalpatriotismus. "Bei uns backt man eben das beste Brot", sagt er. Aber | |
während er die Brote in den Ofen schiebt, sagt er auch: "Ich bin | |
multikulti." Und meint dabei mit Kultur zum ersten Mal nicht nur Essen. | |
27 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Anke Lübbert | |
## TAGS | |
Tradition | |
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