| # taz.de -- Organspende: Streitfall Hirntod-Diagnostik | |
| > Wie wird Hirntod-Diagnostik bei Organspenden vergütet? Darüber ist eine | |
| > erbitterte Auseinandersetzung zwischen Stiftung Organtransplantation und | |
| > leitenden Krankenhausärzten entbrannt. | |
| Bild: Feststellung des Hirntods von zwei Medizinern plus ein Spendeausweis - er… | |
| Im Bundestag kommen diverse Sachverständige zu Wort. Anschließend will ein | |
| Experte dem anderen gerichtlich verbieten lassen, weiterhin zu sagen, was | |
| der den Politikern gerade erzählt hat. Was klingt, wie aus einem Drehbuch, | |
| ist jetzt ein Stück Realität geworden - angestoßen von der Deutschen | |
| Stiftung Organtransplantation (DSO), deren Auftrag es ist, "Spenden" von | |
| Körperteilen "hirntoter" Menschen, etwa Nieren, Leber, Lunge und Herz, | |
| bundesweit zu koordinieren. | |
| Stein des Anstoßes: die öffentliche Anhörung des Gesundheitsausschusses zum | |
| - inzwischen in Kraft getretenen - Gewebegesetz, veranstaltet am 7. März | |
| 2007 in Berlin. Unter den geladenen Experten waren DSO-Vorstand Professor | |
| Günter Kirste und Professor Gundolf Gubernatis, früher jahrelang bei der | |
| DSO angestellt, heute im "Vorstand Krankenversorgung" in einer | |
| Wilhelmshavener Klinik. | |
| Zur Sprache kam auch der für eine Körperteilentnahme verlangte "Hirntod". | |
| Er ist definiert als "Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion | |
| des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms"; diesen Status | |
| feststellen und dokumentieren müssen gemäß einschlägigen Richtlinien der | |
| Bundesärztekammer (BÄK) zwei qualifizierte Ärzte - und zwar | |
| "übereinstimmend und unabhängig". | |
| Zu finanziellen Aspekten gab der Sachverständige Gubernatis in der | |
| Bundestagsanhörung noch einen "Hinweis: Die Hirntod-Diagnostik an den | |
| Krankenhäusern wird für den zweiten Untersucher nur dann rückvergütet, wenn | |
| der Untersucher den Hirntod auch feststellt. Ansonsten geht er leer aus." | |
| Dies, so Gubernatis weiter, "halte ich für einen skandalösen Anreiz". | |
| Tags drauf erhielt Gubernatis ein Anwaltsschreiben. Im Auftrag des | |
| klagenden DSO-Vorstands wurde der Professor aufgefordert, eine | |
| Unterlassungserklärung abzugeben. Es begann ein juristischer Schlagabtausch | |
| mit - mindestens - zwei Etappen. Anfang April erließ das Landgericht | |
| Frankfurt am Main eine einstweilige Verfügung gegen Gubernatis. Damit wurde | |
| ihm strafbewehrt untersagt, öffentlich zu behaupten, die DSO zahle einem | |
| Hirntod-Diagnostiker sein Honorar nur dann, wenn er den Hirntod feststellt. | |
| Der Beklagte legte Widerspruch ein; Ende Mai folgten dann eine mündliche | |
| Verhandlung und das Urteil des Frankfurter Landgerichts: Es hob die | |
| Einstweilige Verfügung auf, die Kosten des Eilverfahrens muss die DSO als | |
| Klägerin bezahlen. | |
| Das inzwischen rechtskräftige Urteil bewertet nicht, welche der streitenden | |
| Parteien die richtige Version über die Vergütung der Hirntod-Diagnostik | |
| verbreitet; das Gericht urteilte, die "Eilbedürftigkeit", die für eine | |
| einstweilige Verfügung erforderlich ist, liege nicht vor. Nach | |
| Erkenntnissen der Richter hatte Gubernatis die von der DSO angegriffene | |
| Äußerung seit Ende November 2005 mehrmals wiederholt - ohne dass die DSO | |
| dagegen vorgegangen war. | |
| Das juristische Scharmützel ist aber noch nicht beendet. Denn im Juli hat | |
| der Verband der Leitenden Krankenhausärzte (VLK) so etwas wie eine | |
| Gegenoffensive gestartet. Der VLK, als dessen Transplantationsbeauftragter | |
| Gubernatis fungiert, erstattete Strafanzeige gegen die DSO-Vorstände Kirste | |
| und Beck. Gegen sie ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Frankfurt wegen | |
| des Verdachts, falsche eidesstattliche Versicherungen abgegeben zu haben. | |
| Es geht um jene Erklärungen, welche die DSO-Vorständler während des | |
| Verfügungsverfahren gegen Gubernatis bei Gericht vorgelegt hatten. Mit | |
| konkreten Ermittlungsergebnissen sei wohl nicht vor November zu rechnen, | |
| sagt die für Presseauskünfte zuständige Frankfurter Oberstaatsanwältin | |
| Doris Möller-Scheu. | |
| Der VLK, der ebenso wie die DSO beansprucht, die Organspende | |
| voranzubringen, geht weiter in die Öffentlichkeit. In einem Editorial | |
| namens "Der Versuch ist strafbar", publiziert in der vom VLK | |
| herausgegebenen Zeitschrift Arzt und Krankenhaus (Ausgabe 8/2007), | |
| vermeldet VLK-Präsident Hans-Fred Weiser die Strafanzeige. Und er fügt | |
| hinzu: "Der sachliche Hintergrund dieses Streits ist alles andere als | |
| banal." | |
| Professor Weiser verweist auf das - überwiegend von Medizinern gelesene - | |
| Deutsche Ärzteblatt (DÄB) vom 12. Mai 2006. "Nicht selten", so berichtete | |
| damals das DÄB, werde der "Hirntod von Ärzten in kleineren Krankenhäusern, | |
| aber auch in Uni-Kliniken fälschlicherweise vermutet oder nicht exakt nach | |
| den Richtlinien der Bundesärztekammer festgestellt". | |
| Diese Darstellung stützte das DÄB auf Erkenntnisse des Hannoveraner | |
| Neurologen Hermann Deutschmann, bis Ende 2005 Sprecher des "Mobilen | |
| Kosiliardienstes" der DSO in der Region Nord. Die Mitarbeiter des | |
| Konsiliarteams sind auf die Hirntod-Diagnostik spezialisiert; Kliniken | |
| können sie anfordern, wenn festgestellt werden soll, ob ein Patient hirntot | |
| ist oder nicht. | |
| Für das Jahr 2004 verzeichnete Deutschmann 52 Einsätze des Konsiliarteams | |
| in Niedersachsen und Bremen. Deutschmann wertete die | |
| Untersuchungsprotokolle aus und fand, was zumindest medizinische Laien | |
| erstaunen dürfte: In 21 der 52 Fälle konnten die konsultierten Fachleute | |
| den vermuteten "Hirntod nicht sichern", also die Einschätzung des | |
| ärztlichen Erstuntersuchers nicht bestätigen. | |
| "Besonders bemerkenswert" für den Neurologen: Bei acht Patienten hätten | |
| zwar klinisch die Zeichen des Hirntods vorgelegen. Mittels technischer | |
| Zusatzuntersuchungen wie Ultraschall oder Hirnstromkurve (EEG) habe sich | |
| dann aber herausgestellt, dass die "Erfüllung der Hirntod-Kriterien nicht | |
| gegeben" war. | |
| Deutschmann folgert: "Nur durch Einsatz" der technikgestützten zusätzlichen | |
| Diagnostik "konnte ein fehlerhaftes Untersuchungsergebnis verhindert | |
| werden". Doch ein solches Vorgehen ist in den Kliniken hierzulande offenbar | |
| nicht selbstverständlich - das mag auch an den | |
| Bundesärztekammer-Richtlinien zur Feststellung des Hirntods liegen. In | |
| deren Einleitung heißt es jedenfalls: "Der Hirntod kann in jeder | |
| Intensivstation auch ohne ergänzende apparative Diagnostik festgestellt | |
| werden." Dass dieser verantwortungsvolle Anspruch stets verlässlich | |
| eingelöst werden kann, bezweifelt Deutschmann angesichts seiner | |
| Erfahrungen. | |
| 31 Aug 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Peter Görlitzer | |
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| Hirntod | |
| Organspende | |
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