| # taz.de -- Grünen-Militärexperte Nachtweih: "Die Taliban nicht frontal angre… | |
| > Der Krieg in Afghanistan ist mit Militär nicht zu gewinnen. Benötigt | |
| > werden ziviler Aufbau und eine defensivere militärische Taktik, so der | |
| > grüne Militärexperte Winfried Nachtwei. | |
| Bild: Für den Isaf-Einsatz, gegen Tornados: Winfried Nachtwei | |
| taz: Herr Nachtwei, Sie touren wegen der Afghanistan-Debatte durch grüne | |
| Kreisverbände. Welchen Einwand hören Sie am häufigsten? | |
| Winfried Nachtwei: Dass die Staatengemeinschaft sich in Afghanistan | |
| übernimmt. | |
| Was antworten Sie dann? | |
| Dass das multilaterale Projekt "Statebuilding Afghanistan" so notwendig wie | |
| in diesem Umfang wohl einmalig ist. Und dass man nüchtern feststellen muss: | |
| Die Staatengemeinschaft ist an diese Aufgabe mit erheblichen Illusionen | |
| drangegangen. | |
| Viele wollen wissen: Wie lange soll der Einsatz der Bundeswehr noch dauern? | |
| Ein Zeitraum von zehn Jahren oder mehr ist sicher nicht unrealistisch. Auf | |
| der anderen Seite bezweifle ich, dass sowohl die afghanische Seite als auch | |
| die truppenstellenden Gesellschaften zehn Jahre verkraften können. Von | |
| daher müssen wir die Unterstützung beschleunigen. Als Vergleich fällt | |
| häufig Nachkriegsdeutschland. Da waren die Rahmenbedingungen aber sehr viel | |
| günstiger. Uns droht in Afghanistan die Zeit wegzulaufen. | |
| Also wollen Sie das Engagement verstärken? | |
| Richtig. Aber die Frage ist: In welchem Bereich? Da ist entscheidend - | |
| übrigens auch nach Meinung der meisten Militärs -, dass der zivile | |
| Wiederaufbau einer viel stärkeren Unterstützung bedarf. Mehr Soldaten | |
| brauchen wir aber nicht - wir müssen nur diejenigen, die schon dort sind, | |
| besser einsetzen. | |
| Auch nicht im Süden Afghanistans, wo der Einfluss der Taliban wächst? | |
| Im Süden muss man sich erst mal fragen: Was will man überhaupt wie | |
| erreichen? Bisher wird fälschlicherweise geglaubt, man könne das Problem | |
| mit den Taliban militärisch lösen, durch offensive Operationen. In diese | |
| Logik würde es passen, mehr Soldaten in den Süden zu schicken, aber ich | |
| glaube, das würde die Gewaltspirale weiterdrehen. | |
| Was wäre der richtige Weg? | |
| Der Weg der Niederländer scheint erfolgreicher zu sein: in den Provinzen | |
| gezielt nach Chancenpotenzialen suchen, diese absichern, dort gezielt | |
| Aufbau betreiben und auf Angriffe der Taliban lediglich reagieren. Nach der | |
| Devise - die Taliban überflüssig machen, aber nicht frontal angreifen. | |
| Die Mehrheit der Deutschen ist für den Abzug aus Afghanistan. Spielt das | |
| auf politischer Ebene keine Rolle? | |
| Das wird in der Tat zu wenig ernst genommen. | |
| Wieso? | |
| Die Regierung tut zu wenig, um der Bevölkerung glaubwürdig zu vermitteln, | |
| warum der Afghanistan-Einsatz für die Bundesrepublik Sinn macht. Sie müsste | |
| klarmachen: Deutschland hat ein Interesse daran, dass Afghanistan nicht | |
| wieder zum Rückzugsgebiet für terroristische Kämpfer wird. | |
| Wieso sind die Deutschen skeptischer als andere Gesellschaften? | |
| Angesichts der deutschen Geschichte halte ich die Distanz gegenüber einem | |
| Militäreinsatz - und damit verbunden eine geringe Opferbereitschaft - erst | |
| mal für einen ausdrücklichen zivilisatorischen Fortschritt. | |
| Es fällt auf, dass die deutsche Bevölkerung in der Afghanistan-Frage eine | |
| pazifistischere Haltung vertritt als die Grünen | |
| Ja, ich spüre zugleich eine Grundströmung von "Raushalten" in der | |
| Bevölkerung. Das ist die Einstellung, dass wir mit dem, was da draußen | |
| passiert, wenig zu tun haben. Das bedeutet letztlich den Rückzug aus der | |
| Staatengemeinschaft - und das kommt für uns Grüne natürlich nicht in Frage. | |
| Warum unterstützt bei den Grünen fast niemand mehr die Forderung nach einem | |
| sofortigen Rückzug? | |
| Weil das fatale Folgen hätte: Die schnelle Talibanisierung im Süden, das | |
| Risiko von Bürgerkrieg in anderen Regionen, wo einzelne Warlords ja immer | |
| noch sehr aktiv sind, und schließlich würde es den moderaten Kräften, die | |
| ja unsere ersten Verbündeten sind, am schnellsten an den Kragen gehen. | |
| Immer mehr Sozialdemokraten fordern den Rückzug aus der Anti-Terror-Mission | |
| OEF und bieten als Verhandlungsmasse die Aufstockung des | |
| Soldatenkontingents unter Isaf. Ist das sinnvoll? | |
| Nein. Was man durch einen Ausstieg aus OEF an Stirnrunzeln in Washington | |
| erzeugen würde, das kann man mit ein bisschen Selbstbewusstsein gut | |
| aushalten. Soldaten dürfen kein Tauschobjekt sein. | |
| Der grüne Ex-Außenminister Joschka Fischer findet aber, die Deutschen | |
| machten sich lächerlich, wenn sie sich im Süden nicht engagierten. | |
| Joschka Fischer scheint das von einer Bündnis-Ebene aus zu beurteilen. Das | |
| ist ja auch eine plausible Ex-Außenminister-Perspektive. Dabei wird aber | |
| die Perspektive der Afghanen außer Acht gelassen - und die lehnen den | |
| Antiterrorkrieg im Süden größtenteils ab. | |
| 4 Sep 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Koufen | |
| ## TAGS | |
| Afghanistaneinsatz | |
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