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# taz.de -- Justiz: Sicherheitswahn im Jugendknast
> Im "Skandal" um die Jugendstrafanstalt lässt die Opposition nicht locker.
> Derweil sind die Insassen verschärften Kontrollen ausgesetzt. Der
> liberale Jugendstrafvollzug ist gefährdet.
Bild: Schrebergärten vor der Jugendvollzugsanstalt Plötzensee
Die Ersten von 100 sind montiert: "Tegeler Masche" nennt sich das enge
Stahlgeflecht, das jetzt vor die Fenster der Jugendstrafanstalt Berlin
geschraubt wird. Es soll verhindern, dass die Insassen Päckchen in ihre
Zellen hineinangeln, die von außen über die Gefängnismauer geworfen werden.
Im Hof der Anstalt patrouillieren nun sieben statt sechs Beamte. Auf der
anderen Seite der Mauer, in der Laubenkolonie, schiebt die Polizei Streife.
Zugleich hat der Terror-Alarm Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) aus
den Schlagzeilen der Tageszeitungen gedrängt.
Zurück zur Tagesordnung also? Nein. CDU, Grüne und FDP haben angekündigt,
dass sie noch viele Fragen zum "Justizskandal" haben. Sie wollen, dass von
der Aues Kopf rollt. Nach dem Rechtsausschuss wird sich am Montag auch der
Innenausschuss des Abgeordnetenhauses mit den Vorgängen vor und hinter den
Mauern der Jugendstrafanstalt befassen. Im Jahr 2000, als der Regierende
Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) auch das Justizressort leitete und es
in Berlin acht Gefängnisausbrüche gab, "hat es nicht im Entferntesten so
viel Aufregung gegeben", zeigt sich eine langjährige Mitarbeiterin der
Justizverwaltung verwundert.
Am heftigsten spüren die Insassen und Beschäftigten der Jugendstrafanstalt
die Folgen. In der Anstalt regiert inzwischen der absolute Sicherheitswahn.
Die Zellenkontrollen wurden auf Anordnung der Justizverwaltung verdoppelt,
die Hafträume "bereinigt". Wer mehr als drei Jeans, drei Pullover oder zehn
CDs besitzt, muss die überflüssigen Sachen in die Kleiderkammer geben.
Selbst Gebetsteppiche sind nicht mehr erlaubt. Die zusätzlichen Kontrollen
und Sicherheitsmaßnahmen binden so viel Personal, dass die Stunden, in
denen die Insassen nachmittags ihre Zellen verlassen dürfen, zum Teil gegen
null tendieren. Ein Insasse konnte nicht einmal an der Trauerfeier für
seine Mutter teilnehmen, weil es kein Personal gab, das ihn ausführen
konnte.
Dass bei den Politikern, Medien und für den Strafvollzug Verantwortlichen
die Sicherungen durchgebrannt sind, geht auf einen Bericht des ARD-Magazins
"Kontraste" vom 31. August zurück. Nachtaufnahmen zeigen zwei Männer, die
in der an den Jugendknast angrenzenden Laubenkolonie auf einem Dach stehen
und ein Bündel über die Gefängnismauer werfen. Im Hintergrund sind die
erleuchteten Zellenfenster und die Konturen einiger Gefangenen zu sehen.
Die gespenstische Szene wird in der Sendung mehrfach wiederholt und landet
als Standfoto in den Zeitungen. In der Anmoderation heißt es, die
Jugendstrafanstalt sei "einer der größten Drogenumschlagplätze Berlins".
Die Justizsenatorin hat inzwischen erklärt, dass in der Jugendstrafanstalt
in diesem Jahr eine Gesamtmenge von rund 400 Gramm Haschisch und Marihuana,
abgepackt in kleine Einzelmengen, sichergestellt worden sei. In einem Fall
sei Heroin entdeckt worden, in drei oder vier Fällen Ecstasy. Die
Klarstellung erfolgte viel zu spät, der Eindruck, dass in der
Jugendstrafanstalt im großen Stil gedealt wird, hatte sich in der
Öffentlichkeit längst festgesetzt. Dass sich die CDU aufbläht, liegt auf
der Hand. Die Grünen indes, die auch von "schwunghaftem Drogenhandel an und
über die Gefängnismauer" sprechen, müssten es eigentlich besser wissen.
"Gegen die Macht der Bilder kommt man nicht an", sagt Janina Deininger. Die
Sozialpädagogin, die in der Strafanstalt eine Wohngruppe von 14 Gefangenen
betreut, ist nicht die Einzige, die ihre Arbeit von der Öffentlichkeit
"völlig falsch wahrgenommen fühlt". Die Vorstellung von einem drogenfreien
Knast sei eine Illusion. "Kaum einer, der hier drin ist, hat nicht mit 11,
12 Jahren einen ersten Joint geraucht. Aber wir gehen sehr konsequent damit
um." Sie wisse von keinem Kollegen, der Haschisch- oder anderweitigen
Drogenkonsum toleriere. Wer dabei erwischt werde oder sich weigere, am
Urinkontrollprogramm teilzunehmen, bekomme keine Vollzugslockerungen.
In den Medien hatte es unter Berufung auf ungenannte Bedienstete geheißen:
Wegen des Personalmangels seien viele Mitarbeiter froh, wenn sich die
Insassen zukiffen. Die Beamten hätten dann weniger Arbeit. "Das ist eine
Frechheit", empört sich ein Justizbediensteter, der im Jugendknast schon
lange beschäftigt ist. "Denken Sie, es macht Spaß, jeden Tag zehn Insassen
bei der Urinkontrolle aufs Glied zu gucken?" Jeder Beamte müsse mal ran,
auch er. Die Kontrolle erfolge nach dem Zufallsprinzip, mindestens einmal
im Monat komme jeder Insasse dran. Natürlich sei es ein Problem, wenn
Wurfsendungen mit Handys, Drogen und Lebensmitteln über die Mauer flögen.
"Aber mal ehrlich: In welchem Knast gibt es das nicht?" In den JVAs
Charlottenburg und Tegel gebe es genau solche Stellen. Was ihn an der
Geschichte am meisten ärgert, sagt der Beamte, sei die maßlose Übertreibung
durch die Medien.
Wohngruppenbesprechung im Haus 1. Zwölf Gefangene im Alter zwischen 17 und
25 haben sich unter der Leitung von Janina Deininger auf Stühlen im Kreis
versammelt. Die Mehrzahl ist nichtdeutscher Herkunft, die meisten verbüßen
zwei- und dreijährige Haftstrafen wegen Raub und Gewaltdelikten. Auch zwei
Intensivtäter sind darunter. Es ist die erste Besprechung seit dem
"Kontraste"-Bericht. Gesehen hat ihn in der Gruppe keiner. In der
Jugendstrafanstalt ist es nicht erlaubt, einen eigenen Fernseher in der
Zelle zu haben. Dass die Insassen keine Privatglotze haben, ist Teil des
pädagogischen Konzepts. Sehr zum Ärger der Gefangenen. Aber die
Anstaltsleitung steht auf dem Standpunkt, dass ungefiltertes
Alleinfernsehen bis spät in die Nacht Aggressionen fördert. Auf jeder
Station gibt es einen Gemeinschaftsfernseher. "Aber bis wir ausdiskutiert
haben, welches Programm wir sehen, ist schon wieder Einschluss", klagt
einer. "Wenn wir einen eigenen Fernseher hätten, hätten die Beamten
wirklich weniger Arbeit."
Kaum noch Aufschluss
Kaum noch Aufschluss, weil Zellenkontrollen vorgehen, Klamotten, CDs und
Gebetsteppich weg - die Folgen der aufheizten Diskussion draußen spüren
alle. "Nicht mal eine Tischdecke darf man mehr haben", empört sich einer in
der Runde. Hauptsache, die Medien hätten ihren Stoff. "Die sind doch wie
auf Droge", findet ein anderer. Eigentlich sei in den letzten Tagen alles
nur noch schlechter geworden. Er meint damit nicht, dass der Weg über die
Mauer verstopft ist. Das sei nur eine Möglichkeit von 100, Dinge in den
Knast zu bringen. "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg." Deshalb sei im
Knast noch lange nicht jeder stoned. "Vielleicht 8 oder 9 von 100." Die
Insassen riskierten zu viel. Für eine "dreckige" Urinkontrolle gebe es 14
Tage Einschluss und alle Lockerungen seien weg.
Das Fatale an der momentanen Diskussion ist, dass vollkommen offen ist, in
welche Richtung sie führt. Marius Fiedler, seit 1990 Anstaltsleiter, steht
für einen liberalen, am Erziehungsauftrag ausgerichteten
Jugendstrafvollzug. "Sehr viele Mitarbeiter sind sehr motiviert", sagt der
Rechtsanwalt Matthias Zieger, der den Berliner Strafvollzug aus
langjähriger Praxis kennt. Dass die Anstalt seit zwei Jahren erheblich
überbelegt ist, zunehmend Schwerkriminelle dort einsitzen, die Gewalt unter
den Insassen zunimmt und 200 Arbeitsplätze fehlen, könne man den
Mitarbeitern nicht anlasten. Bestandteil von Fiedlers pädagogischem Konzept
ist, dass in der Jugendstrafanstalt im Gegensatz zu anderen JVAs die
Sozialarbeiter und Psychologen und nicht das Wachpersonal das Sagen haben.
Das könnte sich ändern, wenn sich die Sicherheitsfanatiker durchsetzen.
8 Sep 2007
## AUTOREN
Plutonia Plarre
Plutonia Plarre
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
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