# taz.de -- Literaturfestival Berlin: Des Schreibers Enthusiasmus | |
> Das "Für alle was dabei"-Prinzip: Kultautor Chuck Palahniuk für die | |
> richtig große Abendunterhaltung, Maxim Biller für die 20-jährigen Mädels. | |
> Das war das Literaturfestival. | |
Bild: Sogar Jane Birkin war da. Hier mit Schreiber. | |
Sagt einer im Vorbeigehen zu Ulrich Schreiber, dem Leiter des | |
Internationalen Literaturfestivals von Berlin: "Thank you for inviting me." | |
Sagt Schreiber strahlend: "It was such a pleasure, your reading was | |
excellent. I hope you come back again." Die Szene ist schon ein paar Jahre | |
her, aber wenn man dem Literaturfestival und seinen Machern eins vor den | |
Latz knallen will, hat man mit ihr die Lacher auf seiner Seite. Denn | |
natürlich war der Beglückwünschte kein Autor und hatte regulär eine | |
Eintrittskarte für das Festival gekauft. Nicht nur Schreiber, so die | |
schlichte Ableitung, verliere vor und während des 13-tägigen Berliner | |
Literaturmarathons hoffnungslos den Überblick. Eingeladen werde einfach | |
alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Masse um jeden Preis. | |
Nun ist es aber wie so oft. Man kann die Sache auch anders herum lesen. | |
Nämlich so: Schreiber ist eben Enthusiast. Und was sich spätestens im | |
letzten Jahr angedeutet hat, das hat sich beim diesjährigen siebten | |
Internationalen Literaturfestival, das am Wochenende zu Ende ging, | |
bestätigt. Schreibers Enthusiasmus hat sich nicht nur auf sein Team | |
übertragen (gern genannt werden in diesem Zusammenhang die knapp 60 | |
vorzugsweise weiblichen Praktikantinnen). Sondern dieser Enthusiasmus ist | |
auch in eine Produktivität und Professionalität umgewandelt worden, die | |
durchaus beachtlich ist. Das gilt für das Festival als Ganzes: Das Programm | |
ist deutlich verschlankt worden, und durch die Anbindung an die Berliner | |
Festspiele hat das Festival neben der inhaltlichen auch eine örtliche | |
Konzentration bekommen. Vor allem aber gilt das für die einzelnen | |
Veranstaltungen. Fast immer traf man auf Moderatoren, die nicht nur | |
glänzend vorbereitet waren, sondern die den geladenen Autoren mit einer | |
Emphase begegneten, als wären sie allesamt durch Schreibers Schule des | |
enthusiastischen Gastgebers gegangen. | |
Da konnte schon mal richtig große Abendunterhaltung herauskommen. Wie bei | |
dem US-Kultautor Chuck Palahniuk, mit dem Moderator Bernhard Robben ein | |
ebenso kluges und gagdurchsetztes Gespräch führte. (Wussten Sie, dass | |
Palahniuks Telefonnummer auf -666 endet? Sagt Ihnen die Quote 104 etwas? So | |
viele Leute mussten bei seiner letzten Buchvorstellung kotzen oder aus | |
anderen Gründen rausgetragen werden.) Nur durch Palahniuks Lesung selbst | |
wurde diese feine Literaturshow noch überboten. Sein neuer Roman "Das | |
Kainsmal", der demnächst auf Deutsch erscheint, erzählt von einem Jungen, | |
dessen liebstes Freizeitvergnügen es ist, seine Füße in irgendwelche | |
Erdlöcher zu stecken, um sich von Schlangen, Skorpionen oder sonst einem | |
Getier anknabbern zu lassen. Klingt übel, erzählt aber wie alle Romane des | |
vor allem durch "Fight Club" bekannt gewordenen Palahniuk über den | |
schmerzhaften Versuch seiner Figuren, ein körperliches Bewusstsein für die | |
Gegenwart herzustellen. | |
Die schmerzhafte Seite der Gegenwart war es auch, auf die man im übrigen | |
Festivalprogramm immer wieder traf. Vor knapp 1.000 Besuchern und unter | |
Polizeischutz stellte Roberto Saviano seine Enthüllungsreportage über die | |
italienische Mafia vor. Eine dreistündige Veranstaltung, auf der auch die | |
Witwe des Opfers anwesend war, widmete sich dem Regimekritiker Alexander | |
Litwinenko, der vor zehn Monaten sehr wahrscheinlich durch den russischen | |
Geheimdienst ermordet wurde. | |
Wer es unpolitischer haben wollte, konnte entweder diejenigen Autoren | |
erleben, die gerade mit neuen Büchern für Aufsehen sorgen: A.L. Kennedy las | |
aus ihrem Kriegsroman "Day", Michael Ondaatje sprach mit Siegrid Löffler | |
über seinen hochgelobten Roman "Divisadero". Oder aber man ließ sich vom | |
Zufall treiben und entdeckte Autoren wie Natasza Goerke, mit der Marita | |
Meyer vor viel zu wenig Zuhörern die kulturelle und politische Situation | |
Polens anschaulich werden ließ und gleichzeitig eine kleine Philosophie des | |
Fremdseins entwickelte. | |
Natürlich war nicht jeder Abend ein Treffer. Wenn man zum Beispiel aus | |
Versehen beim Barden-Veteran Wolf Biermann landete. Oder bei Maxim Biller, | |
der sich in seiner gewohnten Patzigkeit sonnte und reichlich wenig Auskunft | |
über die Arbeit an seinen Texten, dafür umso bereitwilliger über seine | |
Kollegen geben konnte: Ingo Schulze beispielsweise findet er einfach | |
richtig schlecht. Ach, was solls. Die 20-jährigen Mädels, die an diesem | |
Abend den Großteil des Publikums ausmachten, fanden den Maxim eh einfach | |
nur total süß und ganz schön klug sowieso. Muss ja für jeden was dabei sein | |
auf so einem Festival. Dieses "Für jeden was dabei" war eines der | |
Hauptargumente der Kritiker, als Anfang dieses Jahres darüber diskutiert | |
wurde, ob man dem Literaturfestival - und mit ihm zugleich der Konkurrenz | |
vom Poesiefestival - die finanzielle Basis weiterhin gewährleisten wolle | |
und könne. Ganz genau konnte Kulturstaatsminister Bernd Neumann darüber zur | |
Festivaleröffnung immer noch keine Auskunft geben. Zumindest hat er aber | |
schon mal seinen guten Willen bekundet. Wenn man gesehen hat, was hier in | |
den vergangenen knapp zwei Wochen auf die Beine gestellt wurde, dann kann | |
das eigentlich auch gar nicht anders sein. | |
Nur ganz selten, wenn Schreiber himself mal wieder durch die | |
Zuschauerreihen flatterte und den Platzanweiser gab, hat man noch ein klein | |
wenig Phantomschmerzen und muss an so alberne Aktionen wie "Berlin flaggt | |
Poesie" denken, mit dem das Literaturfestival im ersten Jahr seinen | |
Enthusiasmus kundtun wollte und alle Berliner aufforderte, bunte Tücher mit | |
Gedichten aus den Fenstern zu hängen. Aber geschenkt. Der Enthusiasmus des | |
Literaturfestivals hat eine Form gefunden. Schön, dass wir eingeladen | |
waren. | |
17 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Wiebke Porombka | |
## TAGS | |
Literatur | |
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