# taz.de -- Interview: "Grüne sind unsolidarisch und naiv" | |
> Der afghanische Außenminister Rangin Dadfar Spanta ist seit 1994 | |
> Mitglied im Grünen-Kreisverband Aachen-Stadt. Jetzt droht er mit dem | |
> Austritt. | |
Bild: Traurig über die Entscheidung seiner Freundin Claudia Roth - Afghanistan… | |
taz: Herr Außenminister, Sie sind seit 1994 Mitglied der Grünen. Warum sind | |
Sie damals eingetreten? | |
Ich habe die Programmatik der Partei geteilt, ihre Friedensarbeit und | |
Basisdemokratie geschätzt. Vor allem an das Engagement für Migranten, für | |
die Rechte der Muslime habe ich geglaubt und mich deshalb in der | |
Parteiarbeit engagiert. | |
Jetzt drohen Sie den Grünen damit, aus der Partei auszutreten. Warum? | |
Ich habe bereits ein Austrittsgesuch formuliert, mich aber noch nicht | |
endgültig entschieden. Es ist schwer. Viele meiner Freunde sind in der | |
Partei engagiert. Ich teile ihre Werte und musste dafür viele Anfeindungen | |
von den Fundamentalisten im afghanischen Parlament hinnehmen, für die ich | |
der Linke und Grüne bin, der fremde Werte vertritt. Ich habe das lange in | |
Kauf genommen. Doch mit dem Beschluss von Göttingen zieht sich die Partei | |
in eine Wohlstandsecke zurück, aus der sie blauäugig verkündet, es sei | |
hilfreich, die Afghanen mit ihrem Terrorismusproblem alleinzulassen. Das | |
ist die Entsolidarisierung der grünen Außenpolitik. Sollte dieser Kurs | |
durch die Abstimmung im Bundestag bestätigt werden, werde ich aus der | |
Partei austreten. | |
Sie bezeichnen Politiker wie Bärbel Höhn, Hans-Christian Ströbele oder | |
Claudia Roth als blauäugig und unsolidarisch? | |
Claudia Roth ist eine gute Freundin von mir. Deswegen bedauere ich es umso | |
mehr, dass sie sich so entschieden hat. Claudia Roth war in Afghanistan, | |
sie hat hier mit Frauen gesprochen. Sie sollte wissen, was es für diese | |
Frauen bedeuten würde, wenn die Taliban hier wieder die Macht ergreifen. | |
Der Beschluss sollte doch aber vor allem den Unmut der Basis mit der | |
unklaren Haltung der Parteiführung zum Ausdruck bringen und die Führung | |
dafür abwatschen. | |
Ich kann aus der Ferne nicht die Führungsqualität der Grünen-Spitze | |
beurteilen. Für mich zählt die Konsequenz im Hinblick auf Frieden, | |
Stabilität und Demokratisierung meines Landes. Was das betrifft, kann man | |
nur froh sein, dass die Grünen an der Mehrheit im Bundestag für die | |
Verlängerung des Einsatzes nicht rütteln können. | |
Die grüne Basis hat aber doch das Primat des Zivilen betont und für eine | |
Verdopplung der Entwicklungshilfe votiert. | |
Das sind doch leere Phrasen. Wir benötigen eine umfassende | |
Antiterrorstrategie. Das heißt: Entwicklungshilfe, Stärkung der staatlichen | |
Organe und Antiterrorkampf. Die These, man könne ein Element davon | |
isolieren, ist absolut falsch. Die Terroristen werden nicht auf einmal | |
friedlich, nur weil wir sie bitten, mit uns zu diskutieren. Es reicht | |
nicht, Schulen zu bauen, solange Kinder ermordet werden, weil sie diese | |
Schulen besuchen. Wir müssen kämpfen und gleichzeitig Schulen bauen. | |
Der Unmut der grünen Basis spiegelt den Unmut der Mehrheit der deutschen | |
Bevölkerung über den Einsatz in Afghanistan wider. | |
Das ist nicht nur fatal für Afghanistan, sondern auch für die Sicherheit | |
der Bundesrepublik Deutschland. Jeder, der nicht hilft, den Terrorismus in | |
Afghanistan mit zu bekämpfen, läuft Gefahr, diesen Terrorismus früher oder | |
später in Deutschland zu erfahren. Ich habe deshalb schon vor dem Parteitag | |
in einem Brief an die Teilnehmer appelliert, das deutsche Engagement weiter | |
zu unterstützen. | |
Gegen eine Bombardierungsstrategie, die auch zivile Opfer fordert, richtet | |
sich auch der Unmut vieler Afghanen. | |
Die gängige Rhetorik vom "guten Europäer", der Wiederaufbau macht, und dem | |
"bösen Amerikaner", der nur bombardiert, ist Blödsinn. Was die Amerikaner | |
hier machen, ist die beste Antiterrorstrategie. Es ist wahr, es hat | |
Kollateralschäden und Fehleinschätzungen gegeben. Das muss durch bessere | |
Vorbereitung der Einsätze verhindert werden. Ich bin kein Kriegstreiber. | |
Ich bin lange in der Friedensbewegung aktiv gewesen und würde gerne | |
jederzeit wieder an Friedensdemos teilnehmen. Aber in Afghanistan muss der | |
Frieden auch mit der Waffe verteidigt werden. | |
Es stimmt also nicht, dass die Afghanen ausländische Soldaten zunehmend als | |
Besatzer wahrnehmen. | |
Nein. Natürlich sind die Afghanen gegen Bombardierungen. Auf die Frage, ob | |
sich die ausländischen Soldaten aus Afghanistan zurückziehen sollen, | |
antworten 82 Prozent mit "Nein". Der verfrühte Abzug der internationalen | |
und vor allem der amerikanischen Truppen würde die Rückkehr der Taliban und | |
al-Qaida bedeuten. Und die Rückkehr Afghanistans zum Terrorzentrum der | |
Welt. | |
Die schwindende Unterstützung der militärischen Einsätze ist dennoch den | |
mangelnden Erfolgen auf dem zivilen Gebiet geschuldet. | |
Das stimmt. Der Wiederaufbau muss besser koordiniert werden. Doch es gilt | |
auch, aus Fehlern zu lernen und nicht zu sagen: Ich verliere das Interesse | |
und ziehe mich zurück. Die Polizeireform muss zum Beispiel radikal | |
vorangetrieben werden. Da muss auch von den Europäern mehr getan werden. | |
Wenn wir sagen, wir brauchen 2.000 Ausbilder und die EU schickt nur 180, | |
dann haben wir natürlich ein Problem. | |
Was sollte Deutschland konkret tun? | |
Zunächst einmal braucht die afghanische Bevölkerung das Bekenntnis, dass | |
Deutschland seine Verpflichtungen für die Stabilität des Landes erfüllt. | |
Das schließt die Fortführung von Isaf, Tornados und der Beteiligung an OEF | |
ein. Und der Polizeiaufbau muss fortgesetzt werden. | |
Kritiker monieren, dass die USA wenig Verständnis für einen | |
Strategiewechsel zeigen und in puncto Drogen die Vernichtung der Mohnfelder | |
propagiert statt Alternativen zu suchen. | |
Auch was das betrifft, ist der Beschluss des Grünen-Parteitags absolut | |
falsch. Der Drogenanbau ist vor allem in den Gegenden angestiegen, wo die | |
Terroristen sehr stark sind. Es gibt direkte Verbindungen zwischen | |
Drogenmafia und Terrormafia. | |
Sollte diese Verstärkung, von der sie sprechen, auch den Einsatz der | |
Deutschen im umkämpften Süden einschließen? | |
Das ist eine Nato-interne Diskussion. Was für mich als Außenminister | |
wichtig ist, ist, dass nicht der Eindruck entsteht, von Deutschland | |
alleingelassen zu werden. Es macht keinen Sinn, Brücken zu bauen, und diese | |
dann nicht zu beschützen. | |
INTERVIEW: ANETT KELLER | |
18 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Anett Keller | |
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