# taz.de -- Radsport: WM der schwarzen Schafe | |
> In Stuttgart beginnt die die Straßenradsport-WM. Unverdrossen reden die | |
> Funktionäre einer dopingverseuchten Szene von einem Neuanfang. Ein | |
> Rückblick auf eine perverse Saison. | |
Bild: Bei der Tour de France sollten nur saubere Sportler mitfahren. Das Ergebn… | |
Es sollte der glanzvolle Höhepunkt der Radsportsaison werden. Die Stadt | |
Stuttgart wollte ein großes Fest des Rennsports feiern. 2001 vergab der | |
Internationale Radsportverband (UCI) die Weltmeisterschaft 2007 nach | |
Schwaben. Ohne Doping lief schon damals kaum etwas im Peloton. Doch die | |
Schlagzeilen gehörten seinerzeit noch den Siegern. Radsportler durften noch | |
gefeiert werden. Im Jahr der spektakulären Dopinggeständnisse ist zur | |
Gewissheit geworden: Radsport ist Doping. Abgesagt wurden die Titelkämpfe | |
von Stuttgart nicht. Die Stadt lässt sich das Spektakel 2,3 Millionen Euro | |
kosten, der Bund schießt 150.000 Euro zu. Die Öffentlich-Rechtlichen | |
übertragen. Egal was passiert, der Radsport erhält eine Bewährungschance | |
nach der anderen. Die taz blickt zurück auf ein perverses Radsportjahr. | |
Ende Februar, die meisten Fahrer bereiteten sich im sonnigen Süden auf die | |
Saison vor, da trat ein längst gefallener Nationalheros vor die Presse und | |
verkündete seinen endgültigen Abschied vom Radsport. Als dummer, | |
uneinsichtiger Trotzlöffel trat Jan Ullrich vor die Presse, bellte seine | |
Kritiker in bester Kampfhundmanier an und gab seiner Freude darüber | |
Ausdruck, dass er fürderhin als Berater für einen | |
Funktionsunterwäschehersteller arbeiten würde. Das Wort Doping erwähnte | |
Ullrich, gegen den die Staatsanwaltschaft Bonn damals schon lange | |
ermittelte, bei seinem einstündigen Vortrag nicht. Dass er allein deshalb | |
nicht mehr Rennfahrer ist, weil so gut wie sicher war, dass er ein Kunde | |
des spanischen Eigenbluttherapeuten Eufemiano Fuentes gewesen ist - für | |
Ullrich kein Thema. "Ich habe niemanden geschädigt, ich habe niemanden | |
betrogen", so Ullrich damals. Und: "Das ist echt groß." Ein gespenstischer | |
Auftakt des Radsportjahres. | |
Es war Ende April, als ein ehemaliger Masseur des Teams Deutsche Telekom | |
ausgepackt hat. Jef dHont stellte ein Buch vor, in dem er schilderte, dass | |
in den 90er-Jahren die Fahrer im deutschen Rennstall Team Telekom | |
systematisch mit dem Blutdopingmittel Epo fit gemacht wurden. Organisiert | |
worden sei die Manipulation von Teamchef Walter Godefroot, die Spritzen | |
seien von den Teamärzten gesetzt worden. Die Erfolge einer ganzen deutschen | |
Radsportgeneration schienen nichts mehr wert zu sein. Doch es war nur ein | |
Masseur, der ausgepackt hatte. Die Szene winkte ab - noch. | |
Bert Dietz war ein Wasserträger des Radsports, einer, der sich abrackerte, | |
damit andere sich feiern lassen konnten. Seine Siegerliste ist nicht allzu | |
lang. Als er in der ARD-Talkshow "Beckmann" bestätigte, dass stimmt, was | |
Jef dHont in seinem Enthüllungsbuch beschrieben hat, war er mit einem Mal | |
zum Protagonisten geworden. Auch er sprach von einem wohl organisierten | |
Dopingsystem beim Team Telekom. Nun konnten die ehemaligen Kollegen nicht | |
mehr anders und mussten - wohl oder übel - auch etwas über ihre | |
betrügerische Vergangenheit erzählen. Zwei von ihnen: Rolf Aldag, | |
mittlerweile Sportlicher Leiter beim Team T-Mobile, dem Nachfolgerennstall | |
des Teams Telekom, und Erik Zabel, Deutschlands nimmermüder Mann für die | |
letzten Meter vor dem Zielstrich. Sie gestanden. Aldag präsentierte sich | |
als verzweifelter Selfmade-Doper, der einfach nur mithalten wollte mit den | |
anderen im Feld. Zabel will nur eine Woche lang Epo zu sich genommen haben. | |
Vom Doping-System war keine Rede mehr. Zabel, für das Team Milram immer | |
noch im Sattel, heulte wie ein Schlosshund und ließ sich nur wenige Tage | |
nach der Heulattacke als Etappensieger der Bayernrundfahrt feiern. | |
Während halb Deutschland über Doping im Radsport diskutiert, gewinnt ein | |
gewisser Danilo di Luca den Giro dItalia. Strahlend posiert er auf den | |
Siegerpodesten seines Heimatlandes. Dass die Antidoping-Kommission des | |
Italienischen Olympischen Komitees (Coni) gegen ihn ermittelt, weil sein | |
Name in den Akten zu einem illegalen Netzwerk von Dopinghehlern auftauchte, | |
ließ ihn kalt. | |
Derweil bereitete sich der Spanier Alejandro Valverde in aller Ruhe auf die | |
Tour de France vor. Indizien, dass auch er Kunde des spanischen | |
Blutdopingorganisators Fuentes gewesen ist, gab es schon damals zur Genüge. | |
Fragen zu diesem Thema beantwortete er nicht. Er kann sich bis heute, da | |
die UCI ihn wegen Dopingverdachts von der Weltmeisterschaft ausschließen | |
will, der Rückendeckung seines Teams Caisse dEpargne und seines Nationalen | |
Verbandes sicher sein und will seinen Start in Stuttgart vor dem | |
Internationalen Sportgerichtshof im Lausanne einklagen. Danilo di Luca wird | |
bei der WM nicht dabei sein. Er wartet auf das Ende der Saison. Dann wird | |
er sich als Sieger der ProTour-Jahreswertung der UCI feiern lassen. Di Luca | |
führt das Klassement mit großem Vorsprung an. | |
Der große Reinfall | |
Als die Tour de France in London gestartet wurde, hatten die Veranstalter | |
bereits eine schwere Niederlage einstecken müssen. Ihr Vorhaben, nur Fahrer | |
an den Start gehen zu lassen, die über jeden Dopingverdacht erhaben sind, | |
die nichts mit Fuentes Blutdopingpraxis zu tun hatten, war grandios | |
gescheitert. Die Szene war zwar aufgewühlt, weil der deutsche Profi Jörg | |
Jaksche detailliert geschildert hat, wie er zu Epo- und Eigenblutdoping | |
gekommen ist, doch geläutert zeigte sie sich nicht. Es wurde gelogen und | |
betrogen wie eh und je. Matthias Kessler und Patrick Sinkewitz arbeiteten | |
im Vorfeld der Tour mit illegalen Substanzen und flogen auf. Der | |
kasachische Kraftradler Alexander Winokurow raste mit fremdem Blut in den | |
Adern zu zwei Etappensiegen. Der Däne Michael Rasmussen fuhr lange souverän | |
in Gelb, bis bekannt wurde, dass er sich während seiner Tour-Vorbereitung | |
auf einer Art Dauerflucht vor Dopingkontrolleuren befand. Der Italiener | |
Cristian Moreni glaubte, nicht ohne Testosteron über die Pyrenäen zu | |
kommen. Und am Ende gewann einer, dessen Name auf der Liste des | |
berüchtigten Eufemiano Fuentes stand: Alberto Contador. | |
Gaga-Rudi | |
Das Wort Neuanfang wurde seitdem arg strapaziert. Einer, der ganz vorne | |
mitmarschieren wollte auf dem Weg zu einem neuen Radsport, ist Rudolf | |
Scharping, Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR). Er berief eine | |
Anti-Doping-Kommission, versprach allerhand und hielt nichts. Mangels | |
finanzieller Ausstattung löste sich das Gremium auf. Als BDR-Vizepräsident | |
Udo Sprenger beschuldigt wird, für sein ehemaliges Team Nürnberger | |
Dopingmittel besorgt zu haben, hält Scharping schützend die Hand über | |
seinen Stellvertreter, anstatt den Fall zu untersuchen. Der ehemalige | |
Busenfreund aller Telekom-Radler hatte nichts dagegen einzuwenden, dass der | |
bekennende Doper Erik Zabel bei der WM an den Start geht, will ihn, der ja | |
"tätige Reue" zeige, gar als Vorbild in den Antidopingkampf einbinden. Ein | |
anderer BDR-Vize, Dieter Kühnle, erklärte nach Zabels Nominierung seinen | |
Rücktritt. Begründung "Ein Neuanfang sieht anders aus." | |
25 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
## TAGS | |
Doping | |
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