# taz.de -- Homophobie unter Migranten: "Wie in einem bayerischen Dorf" | |
> Viele Migranten sprechen auf seinen Seminaren das erste Mal über | |
> Homosexualität, erzählt Gürkan Buyurucu. Sie sind unwissend - nicht | |
> homophob. Er ist schwul, Türke und steht den Kids Rede und Antwort. | |
Bild: Homosexualität? Nie gehört. | |
taz: Herr Buyurucu, in Ihren Seminaren sprechen Sie mit Jugendlichen über | |
Geschlechterrollen und Homosexualität. Wie reagieren die Schüler? | |
Gürkan Buyurucu: Oft erlebe ich schockierte Blicke, Empörung oder auch | |
Hass. Das legt sich aber irgendwann. Bisher hat sich bei mir noch kein | |
Teilnehmer bis zum Schluss verweigert. Wenn sie blöde Kommentare machen, | |
kann man einhaken. | |
Wie muss man sich eine Antivorurteilsstunde vorstellen? | |
Wir schauen zum Beispiel gemeinsam mit den Jugendlichen Filme wie | |
"Meeresfrüchte" oder "Out of Istanbul" an, die das Schwulsein behandeln. Am | |
Anfang finden die Schüler die Handlungen oft eklig. Dann diskutieren wir | |
darüber. Was ist typisch männlich? Wie ist ein Schwuler? Was ist ein Türke? | |
Wir haben auch Spiele entwickelt, wir drehen mit den Schülern Filme oder | |
spielen Puppentheater. | |
Was wollen Sie mit Filmen und Spielen erreichen? | |
Ich will die Gedanken der Jugendlichen durcheinanderwerfen, sie verwirren. | |
Sie sollen ihr Denken neu sortieren. Wir müssen Fragen wecken. Aber wir | |
müssen auch die Antworten der Jugendlichen überprüfen. | |
Reicht denn ein Wochenendseminar aus, um Jugendliche Toleranz zu lehren? | |
Es bringt natürlich nichts, wenn eine Klasse einmal im Jahr ein Seminar | |
macht. Das muss in der Schule weiter behandelt werden. Hier geht es um | |
soziales Lernen. Man muss auch in Jugendhäuser, in die Familien gehen. Aber | |
es ist schwierig, an die Eltern heranzukommen, sie verweigern sich | |
teilweise ganz. | |
Wie soll sich das ändern? | |
Ich wünsche mir, dass sich in der türkischen Gemeinde mehr Leute | |
engagieren. Dort wird über Homosexualität nicht geredet. Das ist in einem | |
bayerischen Dorf auch nicht anders. Wir müssen positiver an die Sache | |
rangehen. Jetzt heißt es: "Ihr seid homophob." Aber man müsste sagen: "Der | |
Junge ist euer Freund und er ist schwul. Seid glücklich." Türkische und | |
arabische Jugendliche dürfen nicht abgestempelt werden. Das ist es, was | |
unsere Arbeit noch schwieriger macht. | |
Wollen Sie damit sagen, dass arabische Jugendliche keine Probleme mit | |
Schwulen haben? | |
Natürlich gibt es homophobe türkisch- und arabischstämmige Jugendliche. | |
Aber die meisten sprechen auf unseren Seminaren das erste Mal über Trans-, | |
Bi- oder Homosexualität. Die wissen gar nicht, was das ist. Ich kann das | |
nicht Homophobie nennen. Das ist auch Unwissenheit. | |
Und kulturelle Prägung? | |
Nein, es ist eine Frage der Bildung. Schicht ist wichtiger als | |
Nationalität. | |
Die Studie sagt, dass es einen Zusammenhang zwischen Herkunft und | |
Vorurteilen gibt. | |
Ich kann nicht bestätigen, dass türkischstämmige Jugendliche zu 80 Prozent | |
homophob sind. Diese Aussage ärgert mich. Jetzt sind Jugendliche mit | |
Migrationshintergrund nicht nur potenzielle Kriminelle, sondern auch noch | |
homophob. Ich glaube nicht, dass Deutsche weniger Probleme mit Schwulen | |
haben. Aber sie wissen, dass diese Einstellung von der Gesellschaft nicht | |
erwünscht ist. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind ehrlicher, | |
emotionaler. | |
Haben Sie selbst schon negative Erfahrungen gemacht? | |
In der Türkei habe ich kein Problem mit ehemaligen Kommilitonen - aber mit | |
dem Mann am Kiosk. Das ist hier nicht anders. Auch in Berlin können Schwule | |
nicht in jedem Stadtteil Hand in Hand laufen. | |
Wenn es nur an der Bildung liegt: Warum gibt es dann so wenig Türken, die | |
offen dazu stehen, schwul zu sein? | |
Das Thema Homosexualität wird in der Türkei ignoriert. Zwei Männer haben | |
Sex miteinander, aber sie bezeichnen sich nicht als schwul. Die türkische | |
Gesellschaft muss erst ein Bewusstsein dafür entwickeln, was Homosexualität | |
ist. Das ändert sich langsam. Und natürlich gibt es Vorurteile. In | |
Deutschland sind schwule Türken mutiger. Das liegt am offeneren Lebensstil. | |
Hilft es Ihnen beim Umgang mit den Jugendlichen, dass Sie aus der Türkei | |
stammen? | |
Klar. Ich bin sozusagen einer von ihnen. Und wenn ein Schüler sagt: "Wer | |
schwul ist, ist kein Türke", stehe ich vor ihm: schwul und Türke. | |
Outen Sie sich vor den Klassen? | |
Meistens erzähle ich, dass mein Bruder schwul ist. Dann heißt es: "Bei mir | |
würde so was nie passieren." Oder doch? Und schon bleibt ein Fragezeichen | |
hängen. Manchmal habe ich mich aber auch vor Schülern zu meiner | |
Homosexualität bekannt. Sie haben mich anschließend mit Fragen überhäuft, | |
auch nach Stellungen oder Sexpartner. Ich habe fast alle beantwortet, das | |
war ich ihnen schuldig. So entsteht Dialog INTERVIEW: PETRA KILIAN | |
25 Sep 2007 | |
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