# taz.de -- Russland: Ölpartei gegen Gaspartei | |
> Die Fraktionen des Kremls stecken vor den Parlamentswahlen im Dezember | |
> die Reviere ab. Festnahmen, Fahndungen und Gerichtsentscheide gehören | |
> dazu. | |
Bild: Präsident wird, wen Putin goutiert. | |
MOSKAU taz "In Petersburg kennt man ihn als tiefgläubigen Menschen und | |
Mäzen", schrieb die Iswestija noch im Juli. Die Würdigung des kremlnahen | |
Blattes galt einem Wladimir Barsukow, der bei der Befreiung zweier | |
entführter Kinder in St. Petersburg tatkräftig mitgeholfen hatte. Wochen | |
später sitzt der Held in Untersuchungshaft. Vielen Russen ist Barsukow | |
alias Wladimir Kumarin besser bekannt unter dem Spitznamen "Kum", der Pate. | |
Russlands Öffentlichkeit rätselte, warum "Kum" im Kreml so plötzlich in | |
Ungnade gefallen war. Auf die Idee, dass der Arrest etwas mit den | |
anstehenden Wahlen zu tun haben könnte, kam zunächst niemand. Im Dezember | |
wählt Russland eine neue Duma und im März einen neuen Präsidenten. | |
Überraschungen sind nicht zu erwarten. Russlands "souveräne Demokratie" | |
duldet keine Zufälle, eine komfortable Mehrheit für das "Vereinte | |
Russland", die Kremlpartei, steht außer Frage. Auch Präsident wird, wen | |
Wladimir Putin den Bürgern empfiehlt. Von Wählerseite drohen keine | |
Unwägbarkeiten. Dennoch herrscht hinter den Kulissen ein Hauen und Stechen. | |
Jeder neue Mann im Kreml birgt ein Restrisiko, auch wenn er alle | |
Loyalitätsprüfungen mühelos durchlaufen hat. Einflusssphären und | |
Besitztümer werden neu verteilt. | |
Indizien weisen darauf hin, dass Kumarins Verhaftung auch etwas mit | |
vorgezogenen Verteilungskämpfen zu tun hat. "Kum" galt als Kopf der | |
Tambower Mafia, die Petersburg in den 90er Jahre fest im Griff hielt. Er | |
ist Herr über eine Tankstellenkette, besitzt Einkaufszentren und | |
Restaurants. Vor allem gebietet er über ein Heer von düster blickenden | |
Ledernacken und die Petersburger Ölgesellschaft PTK. Kumarin kennt die aus | |
Petersburg stammende Mannschaft im Kreml gut. Besser, als vielen recht sein | |
mag. 1994 erteilte der damalige leitende Mitarbeiter in der | |
Stadtverwaltung, Wladimir Putin, der Ölgesellschaft die Lizenz, die Stadt | |
mit Benzin zu versorgen. Zuletzt hatte es der erfolgreiche Raider auf den | |
"Petersburger Ölterminal" abgesehen, der im vorigen Jahr rund elf Millionen | |
Tonnen Erdölprodukte verschiffte. | |
Allem Anschein nach steckt hinter der Festnahme des Paten die so genannte | |
"Ölpartei" - eine von zwei Gruppierungen, die um die Vorherrschaft in | |
Russland ringt. Hinter der Ölpartei stehen der Geheimdienst und der | |
stellvertretende Chef der Präsidialkanzlei Igor Setschin, der auch beim | |
staatlichen Ölproduzenten Rosneft den Vorsitz führt. Ihr Gegner ist die | |
"Gaspartei", die Anti-Setschin-Fraktion, die sich aus den anderen | |
Sicherheits- und Ordnungsministerien zusammensetzt. | |
Je mehr Vermögen die Fraktionen vor den Wahlen anhäufen, desto stärker ihre | |
Ausgangsposition für Machtkämpfe nach dem Wechsel. Auch Milliardär Michail | |
Guzerijew bekam das zu spüren. Er musste seine Ölfirma, Russneft, unter | |
Wert an den Oligarchen Oleg Deripaska verkaufen. Aluminium-Magnat Deripaska | |
erledigte den Kremlauftrag und versprach, Russneft später an Rosneft zu | |
veräußern. Kaum war die Transaktion abgeschlossen, fror ein Gericht die | |
Aktien ein. Anscheinend fürchtet die Partei des Öls, der | |
Oligarch könnte es sich im Frühjahr anders überlegen. Das Signal der | |
Ölfraktion war deutlich: Machtanspruch um jeden Preis. | |
Die führenden Pharmakonzerne werden ebenfalls zum Verkauf gedrängt. Der | |
Chef von Protek , Witali Smerdow, wurde vorsorglich wegen | |
Korruptionsverdachts in Haft genommen. Dem anderen Pharmariesen, Biotek, | |
liegt ebenfalls ein "Kaufangebot" vor. Beide Unternehmen gelten als | |
vorbildlich geführt und verhandelten gerade mit ausländischen Konzernen | |
über einen Börsengang. | |
Ganze Regionen sind von dem Zugriff betroffen. Auf der Insel Sachalin | |
entließ der Kreml über Nacht den Gouverneur und ersetzte ihn durch einen | |
Nachfolger, der dem Energieriesen Gasprom nahe steht. In Samara ernannte | |
der Kreml den früheren Chef des staatlichen Rüstungsexporteurs, | |
Rosoboronexport, zum Gouverneur. | |
Überdies wurden in den vergangenen Monaten hastig mehrere Staatsunternehmen | |
gegründet und mit ungewöhnlichen Privilegien ausgestattet. Eine dieser | |
Korporationen wird sich mit der Entwicklung von Nanotechnologien befassen, | |
an denen Wladimir Putin besonderes Interesse zeigt und eine | |
Anschubfinanzierung von fünf Milliarden Dollar versprach. Die neuen Chefs | |
der Unternehmen sind alt gediente Kremlkader. Damit die Finanzierung | |
längerfristig gewährleistet ist, verabschiedete die Duma erstmals einen | |
dreijährigen Haushaltsplan, der die Verteilungsregeln bis 2010 | |
festschreibt. | |
Festnahmen, Fahndungen und Gerichtsentscheide sind im russischen Wahlkampf | |
verlässlichere Orientierungshilfen als politische Programmatik. Die | |
"Säuberung der hohen Ebene des Staates von Oligarchen" erhob der Präsident | |
auf dem Kongress der Kremlpartei "Geeintes Russland" diese Woche zu einer | |
der Hauptaufgaben der künftigen Parteipolitik. | |
2 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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