# taz.de -- Interview mit Wiktor Schenderowitsch: "Eine Inszenierung aus der St… | |
> Putin sei "ein banaler autoritärer Politiker, der nicht abtreten möchte", | |
> sagt Wiktor Schenderowitsch. Ein Gespräch mit Russlands bekanntestem | |
> Satiriker. | |
Bild: "Seit Putin regiert, wirkt die russische Politik so lebendig wie ein Leic… | |
taz: Herr Schenderowitsch, Präsident Putin nimmt an den Dumawahlen teil und | |
schließt nicht aus, Premierminister zu werden. Folgt auf die Dynastie der | |
Romanows die der Putins? | |
Wiktor Schenderowitsch: Wir wissen jetzt hundertprozentig: Putin bleibt. | |
Herrschaftstechnisch sind die Einzelheiten wohl noch nicht ganz geklärt. | |
Diese Inszenierung hat Unterhaltungswert. Aber sind die russischen Bürger | |
nicht sauer, dass sie so offenkundig an der Nase herumgeführt werden? | |
Ich kann nicht für die Mehrheit der Bürger sprechen. In meiner Umgebung | |
aber sind die Leute schockiert. Sie schämen sich regelrecht, dass der | |
Kongress der Kremlpartei eine solche Retro-Veranstaltung war. Die | |
Dramaturgie begnügte sich nicht damit, auf die symbolischen Formen der | |
Breschnew-Zeit zurückzugreifen. Sie ging gleich bis zu Stalin zurück. | |
Minutenlange stehende Ovationen; eine Weberin als Vertreterin der | |
Werktätigen, die den Kremlchef bittet, im Amt zu bleiben; ein Delegierter | |
aus der Provinz, der dem Präsidenten vorschlägt, dem Volk einen Gefallen zu | |
tun und Ministerpräsident zu werden. Dieses Drehbuch stammt aus der | |
Stalin-Zeit. So deutlich war es noch nie. Dafür muss man sich einfach | |
schämen. | |
Ist das typisch russisch? | |
Nein. Typisch russisch sind Tolstoi und Tschaikowsky. Politiker, die | |
einfach ein Leben lang an der Macht bleiben wollen, gibt es auch anderswo - | |
in Nordkorea und Weißrussland, in Kuba und Simbabwe. Wladimir Putin hat | |
nicht Unvergleichliches oder Besonderes. Er ist ein banaler autoritärer | |
Politiker, der nicht abtreten möchte. | |
Wladimir Putin hat acht Jahre auf Stabilität hingearbeitet. Das ist sein | |
Schlüsselbegriff, die zentrale Rechtfertigung seiner Politik. Deshalb kann | |
er auch nicht abtreten, denn er muss ja für Stabilität sorgen. Was bedeutet | |
diese Stabilität? | |
Es gibt verschiedene Formen von Stabilität. Ein Baum ist stabil: Er lebt, | |
Teile sterben ab, andere wachsen nach. Das ist Stabilität durch | |
Veränderung. Unsere Stabilität hingegen ist die eines Leichenschauhauses, | |
in dem die Toten immer an derselben Stelle liegen, mit einem gelben | |
Schildchen an den Zehen. Nichts tut sich, alles ist leblos. Dafür wissen | |
aber alle, wo die Schildchen zu finden sind und wo die Leichen hingehören. | |
Stabilität auf Russisch bedeutet, dass es keine Politik gibt und die | |
Atmosphäre eines Kühlfachs herrscht. | |
Die neue Staatspartei "Geeintes Russland" präsentiert sich im Stil der | |
KPdSU. War die KPdSU der Gorbatschow-Zeit im Vergleich zur Kremlpartei | |
nicht geradezu transparent und pluralistisch? | |
Na, nun mal nicht übertreiben. Es gab unterschiedliche Phasen der KPdSU, | |
aber von Pluralismus konnte dort nie die Rede sein. Dennoch ähnelt das | |
jetzige System dem damaligen. Auch früher gab es keine alternativen | |
Informationsquellen. Die Vertikale der Macht und die aggressive | |
Unterwürfigkeit der Untergebenen haben sich auch nicht verändert. Ein | |
wesentlicher Unterschied ist aber: Dem Homo sovieticus in der ausgehenden | |
Sowjetzeit war klar, wie idiotisch und blödsinnig das System war. Er hatte | |
alles entschlüsselt. Das steht uns noch bevor. Wir stehen da erst am | |
Anfang. | |
Immerhin haben die Kremlinszenierungen einen gewissen Unterhaltungswert | |
Ja, und das Volk hat Vergnügen daran. Das gehört zu unserer Tradition und | |
entspricht den russischen Vorstellungen von Politik. Demokratische | |
Spielregeln straft man bei uns mit Verachtung. So war es und so ist es. | |
Die Elite greift auf kommunistische Herrschaftsinszenierung zurück. | |
Vielleicht steckt da die Sehnsucht nach der verlorenen Jugend hinter? | |
Nein, glaube ich nicht. Sie können einfach nicht anders. | |
In der Regierung hat eine Umbildung stattgefunden. Minister gehen, andere | |
kommen. Bedeutet das etwas? | |
Nein, rein gar nichts. Anderswo wird das Kabinett umgebildet, wenn die | |
Politik sich ändern soll. Bei uns nicht. Es ist ein rein technokratischer | |
Vorgang, der dem Machterhalt dient. | |
Im Dezember wählt Russland eine neue Duma. Nachdem der Präsident die | |
Kremlpartei anführt, wird diese Wahl zu einem Plebiszit für Putin | |
Freie Wahlen waren von vornherein nicht geplant. Jetzt schrumpft alles zu | |
einem Vorgang, der die Machtverhältnisse juristisch legitimieren soll. | |
Seit Putin an der Macht ist, sind Sie aus dem Fernsehen verschwunden. Wie | |
halten Sie das aus? | |
Ich habe mir als Satiriker und Kommentator eine Menge Frechheiten erlaubt - | |
zugegeben. Wenn der Staat so aufdringlich ist, ergibt sich das einfach. Als | |
Putin auftauchte, war sofort klar, dass er und ich, dass wir beide nicht in | |
diesen einen Fernseher reinpassen. Jetzt schreibe ich wieder. Das ist auch | |
nicht schlecht. | |
4 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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