| # taz.de -- Meyerhoff im Wiener Burgtheater: Nordwestliches Nirwana | |
| > Der Schauspieler Joachim Meyerhoff erzählt sein Leben in einer | |
| > schillernden Mischung von Fakt und Fiktion. Bei seinem Soloabend "Alle | |
| > Toten fliegen hoch"- | |
| Bild: Joachim Meyerhoff: als Mephisto, 2004. | |
| Spätestens seit der Auszeichnung zum Schauspieler des Jahres ist Joachim | |
| Meyerhoff kein heimlicher Star mehr. Am Wiener Burgtheater, wo er seit zwei | |
| Jahren fest engagiert ist, sieht man ihn auf der großen Bühne oder im | |
| Akademietheater, kleiner geht eigentlich nicht mehr. Trotzdem oder gerade | |
| deshalb hat er sich jetzt einen Soloabend in der kleinsten Spielstätte der | |
| Burg gegönnt. Im Vestibül im linken Seitenflügel des mächtigen | |
| Hauptgebäudes zeigt man vor maximal sechzig Zuschauern gelegentlich neue | |
| Dramatik oder hauseigene Schauspielgrößen mit kleinen Projekten. Ignaz | |
| Kirchner liest aus den Briefen Vincent van Goghs, Philipp Hochmair | |
| monologisiert Kafkas "Der Prozess", und immer wieder gern wird dort auch | |
| musiziert und gesungen. | |
| Joachim Meyerhoff geht einen Schritt weiter als die Kollegen - oder auch | |
| nicht: Er erzählt von sich selbst. In früheren Tagen hat Meyerhoff immer | |
| dann zu eigenen Projekten gegriffen, wenn er als Schauspieler nicht ganz | |
| zufrieden war, sich in mittelmäßigen Rollen plagte oder eine "Überprüfung" | |
| des eigenen Theatertuns anstand. Nun ist er in Wien aktuell alles andere | |
| als unzufrieden - und doch wieder interessiert am Ausprobieren. Allerdings | |
| geht es nicht mehr darum, den eigenen Resonanzraum zu vergrößern. Wer in | |
| Paraderollen - etwa als Ariel in Barbara Freys Inszenierung des "Sturm" | |
| oder als Benedict in Jan Bosses Inszenierung von "Viel Lärm um nichts" - | |
| die Burg bespielt, muss sich um Aufmerksamkeit nicht sorgen - sondern um | |
| den kalkulierten Rückzug ins fast Private. | |
| Mit seiner mehrteiligen Reihe "Alle Toten fliegen hoch" versucht sich | |
| Meyerhoff in dieser Saison als autobiografischer Erzähler. Das tut er nicht | |
| zum ersten Mal. In Berlin, Hamburg und Zürich hat er bereits Varianten | |
| ausprobiert. Mit Nähkästchenplaudereien hat das nichts zu tun. Akribisch | |
| skizziert er Erinnerungen und entwirft Geschichten, für die der | |
| Vierzigjährige als sein eigener Zeuge einsteht. Deshalb ist das Ganze auch | |
| kein Hörbuch, sondern ein Theaterabend, aus dem irgendwann vielleicht | |
| einmal ein Roman wird. | |
| Zunächst aber setzt sich der große, schlaksige Meyerhoff auf einen zu | |
| kleinen Salonsessel, links neben sich ein Beistelltisch mit fein sortierter | |
| Briefpost, rechts neben sich eine Vitrine, in der sich ein schmutziggrüner | |
| Wollpullover dreht. An die Wand werden alte Fotografien projiziert - weite | |
| Landschaften und Bilder aus dem Schuljahrbuch, die schnell klar werden | |
| lassen: Hier geht es um die 80er-Jahre. Wann sonst wurden so unbedarft | |
| solche Frisuren wie auf den Fotos getragen? | |
| Mit "America" ist der erste Teil der Reihe überschrieben, der von | |
| Meyerhoffs Austauschjahr in den USA berichtet und dabei das Ende der | |
| Unschuld erzählt. Kalifornien, New York, Chicago - ins gelobte Land will | |
| der 18-Jährige aus Schleswig und landet in einer strenggläubigen | |
| Gastfamilie außerhalb von Laramie, Wyoming. Im nordwestlichen Nirwana hört | |
| er die Wölfe heulen, vergnügt er sich bei Orgien in mobilen Whirlpools im | |
| Schnee der Rocky Mountains und trifft skurrile Figuren wie Parker, den | |
| Basketballtrainer mit der Vorliebe für Schäferhunde und kantige Kommandos | |
| auf Deutsch, oder Coach Schuhmacher, der Selbstbewusstsein als Schulfach | |
| unterrichtet. Mit dem Coach geht es schließlich auch zum Sightseeing ins | |
| Staatsgefängnis, wo der Teenager im Todestrakt einen Deutschamerikaner | |
| trifft, der ihm bald ausufernde Briefe schreibt. | |
| Meyerhoff gibt dem Zuhörer gerade so viele Details, dass seine Geschichten | |
| plausibel erscheinen, aber unverifizierbar bleiben. Ruhig, fast schon | |
| lakonisch und doch plaudernd liest er seinen Text vor, und nur schleichend | |
| ahnt man, dass man es hier mit einem virtuos unzuverlässigen Erzähler zu | |
| tun hat. Immer wieder holt Meyerhoff Artefakte hervor, etwa einen | |
| zerknitterten Zettel mit der Adresse des Todeskandidaten oder dessen | |
| Briefe, um das Erzählte zu bestätigen. Mit Lockenperücke, Sonnenbrille, | |
| Jeansjacke und Jogginghose stellt er eines der projizierten Fotos nach und | |
| holt schließlich den grünen Pullover aus der Vitrine, ein Kleidungsstück | |
| seines Bruders, der während des Auslandsjahres bei einem Autounfall stirbt. | |
| Mit diesen Irritationen verschiebt sich die leicht erzählte Geschichte | |
| unmerklich in einen Spannungszustand. Überall scheinen Tote zu lauern. | |
| Hinter den lustigen Storys über amerikanische Absurditäten blitzt | |
| lebenserfahrene Melancholie auf. Dabei hat man längst aufgegeben, Fakt und | |
| Fiktion trennen zu wollen, und sich auf die Kunstfigur Meyerhoff | |
| eingelassen. Erst als sich ein schüchterner älterer Mann mit | |
| Cowboystiefeln, abstehenden Ohren und Glatze erhebt und freundschaftlich | |
| als ebenjener briefschreibende und irgendwann begnadigte Doppelmörder | |
| begrüßt wird, stellt sich ziemlich authentische Beklemmung ein. Sehr | |
| wahrscheinlich ist der Mann ein Statist, aber der charmante Erzähler | |
| Meyerhoff hat in Zusammenarbeit mit dem Theatermacher Meyerhoff und dem | |
| Schauspieler Meyerhoff einen abschüssigen Geschichtenreigen eröffnet, der | |
| Lust auf mehr macht - und auch ein wenig Angst. | |
| 17 Oct 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Kristin Becker | |
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| Literatur | |
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