Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Museum für Immigration: Große Nation jetzt kleinlich
> Frankreich hat ein neues Museum für Einwanderung - aber Nicolas Sarkozy
> war bisher nicht dort. Das Projekt von Jacques Chirac passt seinem
> Nachfolger nicht ins Konzept.
Bild: Kam dereinst aus Polen nach Frankreich: Die Atomphysikerin Marie Curie
Stellen Sie Sich vor, es gibt ein neues Museum - für das der Staat mehr als
20 Millionen Euro bezahlt und hochkarätige ExpertInnen engagiert hat - und
kein einziger Spitzenpolitiker geht hin. Das Schicksal widerfährt zur Zeit
in Paris der "Cité nationale de lhistoire de limmigration". Das in der Ära
Chirac beschlossene Museum im Osten der Stadt, passt heute nicht mehr in
die politische Landschaft. Zur klammheimlichen Eröffnung des neuen Museums
gab es weder Festreden noch Cocktails. Kein Minister und schon gar kein
Staatspräsident ließen sich sehen.
"Seit zwei Jahrhunderten () prägen Einwanderer das Gesicht Frankreichs",
erklärt eine große Schautafel am Eingang der Dauerausstellung. In den Sälen
illustrieren Exponate aus Alltag, Kultur und Wissenschaft die Spuren von
EinwandererInnen in Frankreich. Sie reichen von Plastikkoffern und schwer
beladenen Autos - bis hin zu der Nuklearphysik der polnischen Einwandererin
Marie Curie. Von Nähmaschinen, Akkordeons und Stockwerkbetten in
Massenunterkünften - bis hin zu dem Fahndungsplakat, mit dem die Nazis die
"Armee des Verbrechens" suchten, in der jüdische und armenische Flüchtlinge
als Résistants kämpften. Dazwischen gibt es - auf Kopfhörern -
Lebensgeschichten von Menschen, deren Französisch fremde Akzente hat: von
slawischen bis arabischen. Begleitet ist das Ganze von Tabellen mit Daten
über Wanderungsströme.
Aber das Museum ist ein Politikum. Denn die Einwanderung steht in
Frankreich gerade wieder im Zentrum der Polemik. Der neue Staatspräsident
hat sich mit einem Programm wählen lassen, zu dem das Versprechen gehörte,
die Einwanderung künftig nicht mehr zu "erleiden". Er will stattdessen die
Einwanderer "auswählen". Kaum im Amt, hat er dafür ein neues Ministerium
geschaffen, dessen Name Programm ist: das "Ministerium für Einwanderung und
nationale Identität". Dessen Chef, Brice Hortefeux, ist ein Intimus des
Staatspräsidenten. In seinen bisher vier Monaten im Amt hat der Minister
unter anderem ein Plansoll für jährliche Abschiebungen fixiert (25.000
Menschen), die Razzien an Orten intensiviert, wo besonders viele
AusländerInnen ohne Papiere sind (inklusive Schulen und Kindergärten) und
ein neues Ausländergesetzt vorgelegt. Es verfolgt das Hauptziel, die
Familienzusammenführung für AusländerInnen, die legal in Frankreich leben,
einzuschränken. Sein Nichterscheinen bei der Eröffnung des neuen Museums
Mitte Oktober erklärt Hortefeux damit, dass die Bauarbeiten "noch nicht
abgeschlossen" seien.
Die Cité Nationale de lHistoire de lImmigration befindet sich an einem Ort,
der eng mit der französischen Kolonialgeschichte verknüpft ist. Das Gebäude
an der Pariser Porte Dorée wurde für eine "Kolonialausstellung" im Jahr
1931 errichtet. Ein beeindruckendes Flachrelief auf seiner Fassade erzählt
ohne politische Korrektheit die Vorzüge eines weltumspannenden
Kolonialreiches: Es zeigt Eingeborene in Indochina, Afrika und Amerika, die
Baumwolle und Reis, Kokosnüsse und Mais ernten. Auf der gegenüberliegenden
Straßenseite erinnert ein Denkmal ebenfalls ohne jede historische Distanz
an den militärischen Aspekt der Kolonien: Die mehrere Meter hohe Skulptur
zeigt Eroberungen am Ende des 19. Jahrhunderts im Herzen von Afrika. Es
marschieren mit Lendenschurzen bekleidete afrikanische Träger neben weißen
Kolonialsoldaten unter Tropenhelmen.
Zur ersten Eröffnung des Kolonialmuseums im Jahr 1931 kam der
Kolonialminister. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mutierte das
Gebäude zum "Museum des überseeischen Frankreichs". Während des
Algerienkrieges wechselte es erneut den Namen. Ab 1959 hieß es "Museum für
afrikanische und ozeanische Künste". Bei jedem Namens- und Richtungswechsel
des Museums brach eine Polemik zwischen "altem" und "neuem" Frankreich aus.
So auch dieses Mal. Während der Staatspräsident und seine Minister das
Museum umgehen, schimpfen rechte Kommentatoren über die "Verschwendung von
Steuergeldern" und die "Instrumentalisierung der Kultur für politische
Zwecke". Die Linke pilgert hin und weist vor Ort auf die Widersprüche
zwischen den positiven Beiträgen der Einwanderung und der aktuellen
Ausländerpolitik hin. Insbesondere geißeln sie die Gentests zum Nachweis
der Familienzusammengehörigkeit, wie sie im neuen Ausländergesetzt geplant
sind.
Bislang prominentester Museumsbesucher war Jacques Chirac. Nach seiner
Besichtigung am Freitag sagte der frühere Staatspräsident und Auftraggeber
des Museums, er sei "sehr beeindruckt". Das neue Museum sei "wichtig", weil
es Dinge zurechtrücke, über die man "zu leicht und mit zu vielen
Vorurteilen" befände.
Stellen Sie Sich vor, es gibt ein neues Museum - für das der Staat mehr als
20 Millionen Euro bezahlt und hochkarätige ExpertInnen engagiert hat - und
kein einziger Spitzenpolitiker geht hin. Das Schicksal widerfährt zur Zeit
in Paris der "Cité nationale de lhistoire de limmigration". Das in der Ära
Chirac beschlossene Museum im Osten der Stadt, passt heute nicht mehr in
die politische Landschaft. Zur klammheimlichen Eröffnung des neuen Museums
gab es weder Festreden noch Cocktails. Kein Minister und schon gar kein
Staatspräsident ließen sich sehen.
"Seit zwei Jahrhunderten () prägen Einwanderer das Gesicht Frankreichs",
erklärt eine große Schautafel am Eingang der Dauerausstellung. In den Sälen
illustrieren Exponate aus Alltag, Kultur und Wissenschaft die Spuren von
EinwandererInnen in Frankreich. Sie reichen von Plastikkoffern und schwer
beladenen Autos - bis hin zu der Nuklearphysik der polnischen Einwandererin
Marie Curie. Von Nähmaschinen, Akkordeons und Stockwerkbetten in
Massenunterkünften - bis hin zu dem Fahndungsplakat, mit dem die Nazis die
"Armee des Verbrechens" suchten, in der jüdische und armenische Flüchtlinge
als Résistants kämpften. Dazwischen gibt es - auf Kopfhörern -
Lebensgeschichten von Menschen, deren Französisch fremde Akzente hat: von
slawischen bis arabischen. Begleitet ist das Ganze von Tabellen mit Daten
über Wanderungsströme.
Aber das Museum ist ein Politikum. Denn die Einwanderung steht in
Frankreich gerade wieder im Zentrum der Polemik. Der neue Staatspräsident
hat sich mit einem Programm wählen lassen, zu dem das Versprechen gehörte,
die Einwanderung künftig nicht mehr zu "erleiden". Er will stattdessen die
Einwanderer "auswählen". Kaum im Amt, hat er dafür ein neues Ministerium
geschaffen, dessen Name Programm ist: das "Ministerium für Einwanderung und
nationale Identität". Dessen Chef, Brice Hortefeux, ist ein Intimus des
Staatspräsidenten. In seinen bisher vier Monaten im Amt hat der Minister
unter anderem ein Plansoll für jährliche Abschiebungen fixiert (25.000
Menschen), die Razzien an Orten intensiviert, wo besonders viele
AusländerInnen ohne Papiere sind (inklusive Schulen und Kindergärten) und
ein neues Ausländergesetzt vorgelegt. Es verfolgt das Hauptziel, die
Familienzusammenführung für AusländerInnen, die legal in Frankreich leben,
einzuschränken. Sein Nichterscheinen bei der Eröffnung des neuen Museums
Mitte Oktober erklärt Hortefeux damit, dass die Bauarbeiten "noch nicht
abgeschlossen" seien.
Die Cité Nationale de lHistoire de lImmigration befindet sich an einem Ort,
der eng mit der französischen Kolonialgeschichte verknüpft ist. Das Gebäude
an der Pariser Porte Dorée wurde für eine "Kolonialausstellung" im Jahr
1931 errichtet. Ein beeindruckendes Flachrelief auf seiner Fassade erzählt
ohne politische Korrektheit die Vorzüge eines weltumspannenden
Kolonialreiches: Es zeigt Eingeborene in Indochina, Afrika und Amerika, die
Baumwolle und Reis, Kokosnüsse und Mais ernten. Auf der gegenüberliegenden
Straßenseite erinnert ein Denkmal ebenfalls ohne jede historische Distanz
an den militärischen Aspekt der Kolonien: Die mehrere Meter hohe Skulptur
zeigt Eroberungen am Ende des 19. Jahrhunderts im Herzen von Afrika. Es
marschieren mit Lendenschurzen bekleidete afrikanische Träger neben weißen
Kolonialsoldaten unter Tropenhelmen.
Zur ersten Eröffnung des Kolonialmuseums im Jahr 1931 kam der
Kolonialminister. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mutierte das
Gebäude zum "Museum des überseeischen Frankreichs". Während des
Algerienkrieges wechselte es erneut den Namen. Ab 1959 hieß es "Museum für
afrikanische und ozeanische Künste". Bei jedem Namens- und Richtungswechsel
des Museums brach eine Polemik zwischen "altem" und "neuem" Frankreich aus.
So auch dieses Mal. Während der Staatspräsident und seine Minister das
Museum umgehen, schimpfen rechte Kommentatoren über die "Verschwendung von
Steuergeldern" und die "Instrumentalisierung der Kultur für politische
Zwecke". Die Linke pilgert hin und weist vor Ort auf die Widersprüche
zwischen den positiven Beiträgen der Einwanderung und der aktuellen
Ausländerpolitik hin. Insbesondere geißeln sie die Gentests zum Nachweis
der Familienzusammengehörigkeit, wie sie im neuen Ausländergesetzt geplant
sind.
Bislang prominentester Museumsbesucher war Jacques Chirac. Nach seiner
Besichtigung am Freitag sagte der frühere Staatspräsident und Auftraggeber
des Museums, er sei "sehr beeindruckt". Das neue Museum sei "wichtig", weil
es Dinge zurechtrücke, über die man "zu leicht und mit zu vielen
Vorurteilen" befände.
Cité nationale de lhistoire de limmigration, 293, avenue Daumesnil, 75012
Paris, Métro: Porte Dorée
21 Oct 2007
## AUTOREN
Dorothea Hahn
## TAGS
Kolonialismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Afrobeat: Kinder des weißen Terrors
Kein marokkanischer oder algerischer Rentner heißt die Anschläge in Paris
und Brüssel gut. Aber der Terror hat eine Verbindung zu den
Kolonialkriegen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.