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# taz.de -- Virchows Sammlung: Das geht an die Nieren
> Mehr als ein monströser Totentanz: Das Medizinhistorische Museum der
> Charité eröffnet heute nach Umbau und Erweiterung mit einer neuen
> Dauerausstellung und nimmt mit auf eine Reise ins Innere des Körpers. Das
> ist nichts für empfindliche Seelen
Bild: Die Sammlung von Moulagen, Wachsabgüssen von Krankheitsbildern, im Mediz…
Natürlich geht niemand gern hierher oder gar freiwillig. Hierher, wo es
nach Krankenhaus riecht, nach Krankenhaus aussieht und zudem vor
Krankheiten nur so wimmelt. Von überall springen diese den Besucher
förmlich an: von den Regalen die Krebsgeschwüre und Missbildungen; aus
Vitrinen die zerfressenen Lungenflügel oder die blutenden Augen; und von
der Bilderwand herüber die Abszesse und Entzündungen. Ist das nicht
schrecklich? Nein. Es ist wunderbar.
Wenn am heutigen Donnerstag das Medizinhistorische Museum der Charité nach
seiner Neugestaltung und Erweiterung mit der Ausstellung "Dem Leben auf der
Spur" eröffnet, begegnen jene Präparate nur leicht besaiteten Besuchern als
Sammelsurium des pathologischen Horrors. Denn nach einem Jahr Umbauzeit
führt die jetzige Schau recht akademisch durch die Geschichte der modernen
Heilkunst sowie Anatomie in Berlin und ihres Begründers Rudolf Virchows
(1821-1902). Und sie verweist - das unterstreicht der Titel der Ausstellung
- schließlich auf die eigentliche Bestimmung aller Medizin: das Leben vor
Krankheiten zu schützen und zu heilen.
Dass dies natürlich nicht ganz ohne so genannte operative Eingriffe in die
gängigen Muster unserer Wahrnehmung und Gefühle stattfinden kann, ist
evident. Die Schau nimmt ihre Besucher, wie Museumsdirektor Thomas Schnalke
es ausdrückt, "mit durch eine 300 Jahre dauernde Reise, die, wie die Spitze
eines Skalpells, unter die Haut geht".
Das hört sich blutrünstig und sensationslüstern an, als wäre man in einem
Ableger der "Körperwelten" des Plastinators Gunther von Hagens angelangt.
Gemeint aber ist ein Rundgang "en detail" durch die Forschungsgeschichte
und Lehre der Pathologie, die nun einmal die Reise bis ins Innere unserer
wunderschönen, aber oft auch kranken Zellen und Tiefen des Körpers macht
und heute als computergestützte "Seziermethode" à la Röntgenstrahlung,
Ultraschall und Computertomografie fortbesteht.
So gesehen gibt die Ausstellung eine klare Antwort auf von Hagens
eventhascherischen Totentanz. Im Medizinhistorischen Museum stehen die -
wahrlich auch schaurigen - Leichen, verwachsenen Embryonen, Muskel- und
Körperteile, Organ-, Hirn- und Schädelmassen sowie Seziergeräte "in einem
Kontext", sagt Schnalke. "Wir fragen, warum hat die Medizin die Körper von
toten Menschen aufgeschnitten, untersucht und präpariert. Und wir versuchen
eine Antwort zu geben: Weil sie verstehen wollte."
Das klingt nach Schulmedizin. Ist auch so gemeint. Darum ist der neue
Rundgang auf 800 Quadratmetern vorbei an 1.400 Objekten recht sachlich,
manchmal spröde inszeniert. Er beginnt bei der Berliner
Krankenhausgeschichte und den beginnenden Hygiene- und Heilmaßnahmen für
große Teile der Bevölkerung im 18. Jahrhundert. Es folgt der Aufbau des
Berliner "Anatomischen Theaters", geht weiter in einen nachempfundenen
Seziersaal des Pathologen samt seiner spitzen Gerätschaften. Die
Präparate-Sammlung Rudolf Virchows mit seinen in Formalin getränkten
Organen, Krankheitsbildern, Monstern und menschlichen Fehlbildungen ist der
Schwerpunkt der Schau. Diese läuft aus in der dritten Etage mit Bildern und
Modellen vom menschlichen Körper, seiner Diagnostik und Therapie durch
heutige medizinischen Forschungs- und Laboreinrichtungen. Am Ende steht man
im einstigen Hörsaal Virchows - noch immer eine Ruine - und ist vollgepackt
mit Bildern des Schmerzes, monströser Tumoren, aber auch der Chancen, die
die Medizin bietet. Das reicht - mehr will man auch nicht aushalten.
Es ist gut, dass die Kuratoren begonnen haben, das Museumskonzept aus den
1970er-Jahren zu erweitern. So wird jetzt etwa die NS-Geschichte des
Pathologischen Instituts beleuchtet.
Die Erweiterung nimmt damit Kurs auf den einstigen Museumsumfang, dessen
Bestände gewaltig waren. Sammelte schon Virchow ("Jeden Tag ein Präparat")
an dem für ihn 1856 gegründeten Institut für Pathologie nebst Museum (1899)
eine pathologisch-anatomische Sammlung mit 20.800 Feucht- und
Trockenpräparaten, so brachten es seine Nachfolger bis 1939 auf fast 26.000
Objekte. Es war die weltweit größte Sammlung und das Museum zugleich Symbol
moderner, an den Naturwissenschaften orientierter Medizin.
Durch die Bombenschäden des Zweiten Weltkriegs verlor das Museum erhebliche
Ausstellungsteile. Eine Schätzung ergab, dass nur etwa 2.500 Objekte das
Inferno überdauert hatten. Erst nach dem Fall der Mauer wurde die Idee
entwickelt, das Haus wieder komplett als Museum zu nutzen. 10.000 Präparate
bilden heute den Grundstock, neue Objekte kommen hinzu. Man ist noch nicht
am Ziel, aber zum wichtigen Teil der Museumslandschaft Berlins gewachsen.
25 Oct 2007
## AUTOREN
Rolf Lautenschläger
## TAGS
Theater
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