# taz.de -- Apfelbaumsterben: Tod auf der Streuobstwiese | |
> In Hessen gehen einzeln stehende Apfelbäume an einer mysteriösen | |
> Krankheit ein. Sind Bakterien oder PIlze schuld? Wissenschaftler suchen | |
> fieberhaft nach dem Verursacher. | |
Bild: Das Sinnbild für Fruchtbarkeit: In Hessen auf dem absterbenden Ast | |
Ein sterbender Baum ist ein trauriger Anblick. Wenn es auch noch Apfelbäume | |
sind, die eingehen, so hat das eine schwer lastende, symbolische Bedeutung: | |
Als Sinnbild der Liebe, der Sexualität, der Fruchtbarkeit und sogar der | |
Hoffnung hat der Apfel in der abendländischen Kultur eine lange Karriere | |
hinter sich. Die reicht vom Apfel der Aphrodite, also dem Preis der | |
Liebesgöttin, über Evas Apfel im Paradies, jenen vom Baum der Erkenntnis, | |
bis zu dem Apfelbäumchen, das Martin Luther rasch noch pflanzen wollte, | |
würde am nächsten Tag die Welt untergehen. | |
Weltuntergang ist zwar nicht angesagt in Hessen, aber im Main-Taunus-Kreis | |
wird ein erschreckendes Phänomen beobachtet: "Streuobst-Apfelbäume sterben | |
ohne erkennbaren Grund einfach ab", so fasst Roswitha Ulrich vom Wetzlarer | |
Pflanzenschutzdienst die Misere zusammen. | |
Ob Gravensteiner, Boskop, Cox Orange oder eine der vielen regionalen | |
Sorten: Quer durch alle Apfelbaumsorten grassiert ein langsames Verkümmern. | |
Dabei heilen die kleineren und größeren, in der Natur normalen Wunden der | |
Bäume nicht mehr, und die Bäume trocknen aus. Am Anfang erscheint das | |
Symptom noch banal, doch beim unaufhaltsamen Progress der Krankheit sterben | |
die Bäume nach einigen Jahren ab. | |
Ulrich: "Seit 2003 beobachten wir das an einzeln stehenden Bäumen, seit | |
2006 ist es ein virulentes Problem bei uns." Besonders hart trifft es fünf- | |
bis zehnjährige Bäume. Jüngere Pflanzen scheinen unempfindlich, und ältere | |
leben mit dem chronischen Schaden noch relativ lange. | |
Woran das nun liegt, ist noch nicht erforscht, ebenso wenig wie die | |
Ursache: "Wir wissen wenig, sehr wenig, wenn man ehrlich ist", sagt Peter | |
Braun vom Fachgebiet Obstbau der Forschungsanstalt Geisenheim. Dennoch ist | |
er zuversichtlich, dass in ein, zwei Jahren die Ursache erkannt und dann | |
gebannt werden kann. | |
Denn immerhin deutet einiges auf einen natürlich mutierten neuen Erreger | |
hin, etwa einen Pilz. Zufällig könnte sich eine auf Apfelbaum | |
spezialisierte Erregervariante herausgebildet haben, die bei den vielen | |
Streuobstbäumen in Hessen besonders gute Ausbreitungschancen hat. | |
Dass gerade in Hessen die Apfelbäume befallen sind, ließe sich mit der | |
Dichte dieser Obstsorte dort erklären: Wegen des beliebten "Äppelwois", des | |
alkoholischen Apfelmostgetränks, stehen in Hessen auch außerhalb des | |
Plantagenanbaus viele Apfelbäume auf den Wiesen. Und nur diese einzeln | |
stehenden sind von der neuen Baumkrankheit betroffen. Plantagenbäume, auch | |
solche aus ökologischem Anbau, blieben bisher verschont. | |
Braun erklärt sich das mit der besseren Pflege der professionell umsorgten | |
Bäume. Wegen der Düngung und Behandlung gegen andere Krankheiten seien sie | |
wohl unempfindlich gegen den neuen Angreifer, mutmaßt er. Dabei könnte der | |
Erreger aber auch aus einer Quelle stammen, die den Plantagen fern ist, | |
etwa aus schimmelndem Tierkot der auf den Baumwiesen gehaltenen Schafe, | |
Rinder, Ziegen. | |
"In jedem Fall hilft es, die Immunabwehr der Bäume zu stärken", weiß Braun | |
und empfiehlt Besitzern von erkrankten Bäumen, diese ausreichend mit | |
Nährstoffen zu versorgen und bekannte Krankheiten rechtzeitig zu bekämpfen, | |
zum Beispiel mit Fungiziden, um dem Pilzbefall vorzubeugen. | |
Auch der Einsatz spezieller pflanzlicher Wundheilmittel wie Baumwachs sei | |
sinnvoll. Wildwuchs am Stamm sollte unbedingt entfernt oder niedrig | |
gehalten werden, damit sich dort keine Feuchtigkeit hält. Sie wäre ein | |
optimales "Nest" für Pilze und Bakterien. | |
Als "Apfelbaum-Aids" könne man die neue Baumseuche aber nicht bezeichnen, | |
denn Sekundärinfektionen sind, so Braun, auffallend selten. Ob es nun ein | |
Pilz, ein Virus oder ein Bakterium ist, wird sich in detailreicher | |
Forschungsarbeit herausstellen: "Wir arbeiten in Freilandversuchen nach dem | |
Ausschlussverfahren, derzeit laufen Infektionsversuche mit Pilzen", so | |
Braun. | |
Vielen todgeweihten Bäumen vor Ort wird das vermutlich nicht mehr helfen: | |
Tausende "Baumleichen" und "Halbtote" stehen in Hessen auf den Wiesen, | |
vertrocknet, verkrumpelt, verdorrt. Bei ihnen werden aus kleinen Rissen in | |
der Rinde mit der Zeit große trockene Spalten, bis die einst kräftigen | |
Bäume ganz absterben. | |
Dass außerhalb des relativ fest umrissenen Gebiets, das etwa 100 bis 150 | |
Quadratkilometer umfasst, keine Apfelbäume auf die neue Art erkranken, | |
spricht dafür, dass der Erreger auf eine direkte und zügige Übertragung | |
angewiesen ist, etwa von lebendem Gewebe auf lebendes Gewebe. | |
So was ist gar nicht mal beispiellos: In Baden-Württemberg gab es vor | |
einigen Jahren ein zunächst rätselhaftes Absterben von Pflaumenbäumen, als | |
dessen Ursache ein Bakterium identifiziert werden konnte. Wäre der Erreger | |
aber resistent gegen Transporte und Trockenheit, so wären auch die üblichen | |
Freilandversuche gefährlich und wäre eine weitere Verbreitung der Krankheit | |
kaum zu verhindern. Für Europa könnte das folgenreich sein: Auf unserem | |
Kontinent ist der Apfel der wichtigste Obstbaum. Und nicht nur in Hessen | |
stellt er einen schier unverzichtbaren Kultur-, Genuss- und | |
Wirtschaftsfaktor dar. | |
Wie genau der Apfelbaumkiller funktioniert, ist indes noch unbekannt. | |
Wahrscheinlich behindert er die Wasserversorgung des Baumes, der über ein | |
kompliziertes Leitungssystem mit Kapillaren und osmotischen Zellen verfügt. | |
Der Baum "verhungert" und "verdurstet", trotz ausreichenden | |
Nahrungsangebots. Solange es ihm möglich ist, trägt er jedoch noch Obst - | |
und das ist laut Braun problemlos ess- und nutzbar. | |
Dem wissenden Verbraucher schmecken wohl dennoch Früchte von gesunden | |
Bäumen besser. Denn dann sind Apfelbäume nicht nur Symbolträger für | |
Hoffnung, sondern haben selbst noch eine Zukunft. | |
2 Nov 2007 | |
## AUTOREN | |
Gisela Sonnenburg | |
## TAGS | |
Äpfel | |
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