# taz.de -- Debatte Vertriebenenzentrum: Zeichen des Kompromisses | |
> Über Erika Steinbachs Rolle im geplanten "Zentrum gegen Vertreibungen" | |
> gibt es Streit. Doch erst sollte die Koalition klären, wem sie die | |
> Verwirklichung des Projekts überträgt. | |
Bild: Unperson in Macherpose: Erika Steinbach. | |
Was bedeutet eigentlich das "sichtbare Zeichen", mittels dessen Flucht und | |
Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten | |
dokumentiert werden sollen, von dem im Koalitionsvertrag die Rede ist? Der | |
jetzige Beschluss der Koalition, wie dieses "Zeichen" realisiert werden | |
soll, zeigt deutlich die Spuren eines Kompromisses zwischen schwer | |
vereinbaren politischen Positionen. Deshalb signalisiert er auch nicht das | |
glückliche Ende der mehrjährigen Streits um das "Zentrum gegen | |
Vertreibungen," sondern läutet nur eine weitere Runde der | |
Auseinandersetzungen ein. | |
Ursprünglich war die Idee eines solchen "Zentrums" einer Initiative von | |
Erika Steinbach entsprungen, der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen | |
(BdV). Nach deren Bekunden sollte das Projekt ein Ort der Erinnerung und | |
des Gedenkens werden - so gestaltet, dass er von den Vertriebenen und deren | |
Nachkommen "angenommen" werden könne. Steinbach argumentierte, dem | |
Schicksal der Vertriebenen sei in Deutschland jahrzehntelang mit | |
Gleichgültigkeit begegnet worden, das Zentrum folglich ein später Akt der | |
Wiedergutmachung. Dem Vorwurf, die Opferrolle der Vertriebenen | |
festzuschreiben und an einem deutschen Opfermythos zu stricken, begegnete | |
Steinbach mit der Ausstellung "Erzwungene Wege": einem groß angelegten | |
Panorama der Vertreibungen und Fluchtbewegungen im 20. Jahrhundert. Das | |
Projekt eines "Zentrums gegen Vertreibungen" sah die BdV-Vorsitzende als | |
ein Kind ihrer Organisation an, das vom Staat zu alimentieren sei. | |
Gegen Steinbachs Projekt wurden zahlreiche Einwände erhoben. Warum gerade | |
der Bund der Vertriebenen als Ausrichter? Dessen Geschichte war schließlich | |
von der Ablehnung der Entspannungspolitik gegenüber Osteuropa | |
gekennzeichnet, in seinen Reihen werden nach wie vor | |
Entschädigungsansprüche für verlorenes Vermögen in den ehemaligen | |
Ostgebieten geltend gemacht. Ein anderer Einwand lautete, dass man Flucht | |
und Vertreibung der Deutschen nicht aus dem Kontext des historischen | |
"davor" und "danach" lösen könne. Mit einer Einbettung in das | |
internationale Vertriebenenschicksal des 20. Jahrhunderts werde nichts | |
gewonnen. Denn die komplexe Vor- und Verlaufsgeschichte der verschiedenen | |
ethnischen Säuberungen lasse sich nur dann auf einen Nenner bringen, wenn | |
an Stelle historischer Einsicht bloße unkritische Einfühlung trete. Auch | |
jede noch so nachdrückliche Verurteilung des Naziregimes könne deshalb | |
nicht verhindern, dass die Vertreibung beim Projekt des BdV ihre spezifisch | |
deutsche Vorgeschichte verlieren und damit enthistorisiert werde. In einer | |
solchen Perspektive verschwinde auch die Differenz zwischen ethnischen | |
Säuberungen und Völkermorden, worin wohl ein beabsichtigter | |
Entlastungseffekt läge. Und schließlich die Frage: Warum gerade Berlin, wo | |
die nazistische Ausrottungspolitik geplant wurde, als Standort? | |
Die Ausstellung "Flucht, Vertreibung, Integration" im Bonner "Haus der | |
Geschichte" trug einem Teil dieser Bedenken Rechnung. Der wichtigste Ertrag | |
dieser Ausstellung war, Flucht und Vertreibung wieder in den Zusammenhang | |
der deutschen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte zu stellen - und dass, ohne | |
irgendeinen Abstrich an der Möglichkeit sinnlicher Erfahrung, ein | |
Verstehenshorizont geöffnet wurde. Schließlich zeigte das | |
Ausstellungskapitel "Integration" die mühselige, aber letztlich | |
erfolgreiche "Ankunft" der Vertriebenen in der neuen Heimat. Diese | |
Integration bahnte einer Politik der Verständigung und Anerkennung der | |
deutschen Ostgrenzen den Weg. | |
Der Entscheid der Koalition, die Bonner Ausstellung zur Basis einer | |
künftigen Dauerausstellung zu nehmen, kann deshalb nur begrüßt werden. | |
Allerdings sind damit zwei gravierende Konzessionen an Steinbachs Konzept | |
verbunden. Zum einen weist der jetzt in Aussicht genommene Standort im | |
"Deutschlandhaus" in Berlin eine allzu große Nähe zu den | |
Vertriebenenverbänden auf. Die Wahl Berlins birgt zudem die Gefahr, dass | |
die dezentralen polnisch-deutschen oder tschechisch-deutschen Erinnerungs- | |
und Versöhnungsinitiativen, die oft unabhängig vom BdV entstanden sind, zu | |
Gunsten des zentralen Projekts an Unterstützung verlieren. Es wäre | |
sinnvoller gewesen, Flucht und Vertreibung innerhalb des Hauses der | |
Geschichte in Bonn, das den Zeitraum nach 1945 umfasst, in gebührender | |
Ausführlichkeit darzustellen. Und wenn schon auf einem eigenen | |
Dokumentationszentrum bestanden wurde, dann hätten sich andere Orte in | |
Deutschland oder Osteuropa weit eher angeboten. | |
Mit der Rechtsform einer unselbstständigen Stiftung unter dem Dach des | |
Deutschen Historischen Museums - eine Folge der Wahl Berlins als | |
Ausstellungsort - und der ausschließlichen Finanzierung hat der Bund zwar | |
klargestellt, dass es sich bei dem "sichtbaren Zeichen" nicht um ein | |
Unternehmen des BdV handelt, was positiv zu werten ist. Allerdings wirft | |
dies die Frage auf, welche Rolle der BdV und speziell Erika Steinbach denn | |
in Zukunft dabei spielen sollen. Genau hierüber entbrannte unmittelbar nach | |
Veröffentlichung des Koalitionsbeschlusses eine politische Kontroverse: | |
Nicht die Beteiligung des BdV an einem zukünftigen Kuratorium stand dabei | |
in Frage, sondern die Person Erika Steinbachs. | |
Das Hauptargument gegen Steinbach war, dass sie selbst für gutwillige und | |
dem Dokumentationszentrum gegenüber aufgeschlossene Polen oder Tschechen | |
"ein rotes Tuch" sei: ein ungeschicktes Argument, gelinde gesagt. Denn zum | |
einen gibt es in Polen wie in Tschechien genügend Politiker und | |
Intellektuelle, die das Propaganda-Trommelfeuer gegen Steinbach mit der | |
Funktion vergleichen, die die hysterische Revanchismus-Propaganda | |
seinerzeit für die Herrschaftssicherung der Realsozialisten hatte: Es ging | |
und geht um systematische Angstproduktion in nationalistischer Absicht. Zum | |
anderen aber sollte, selbst wenn es stimmen würde, das Argument nur in | |
zweiter Linie verwandt werden. Denn es kommt doch vor allem darauf an, wie | |
wir selbst den möglichen Schaden einschätzen, der durch die Einbeziehung | |
Erika Steinbachs für die Glaubwürdigkeit des "Zeichens" entstehen könnte. | |
Dabei wird viel davon abhängen, welche Rolle den einzelnen Institutionen | |
des künftigen "Zeichens" zukommen soll. Kurz gesagt: Weder Erika Steinbach | |
noch ein anderer Vertriebenenfunktionär sollte entscheidenden Einfluss auf | |
die Verwirklichung des Projekts gewinnen. | |
Der Koalitionsbeschluss befürwortet, dass vor allem polnische und | |
tschechische Wissenschaftler und interessierte Persönlichkeiten schon in | |
den Planungsprozess für das "Zeichen" einbezogen werden. Ein für den Anfang | |
des Jahres angesetztes Symposion soll den Auftakt bilden. Erfolgreich wird | |
diese Einbeziehung allerdings nur sein, wenn den Teilnehmern aus | |
Ostmitteleuropa kein fix-und-fertiges Konzept vorgelegt wird, sondern sie | |
als gleichberechtigte Partner bei dessen Ausarbeitung behandelt werden. | |
2 Nov 2007 | |
## AUTOREN | |
Christian Semler | |
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