# taz.de -- Kolumne Schlagloch: Dogmatisch sein ist in Ordnung | |
> Der alte Feminismus war zu streng, der neue ist zu lax und der Mittelweg | |
> keine Lösung. | |
Als ich Teenager war, galt sie noch als Ikone. Jenes berühmte | |
Schwarzweißfoto, auf dem sie mit lackierten Fingernägeln und Zigarette in | |
irgendeinem Pariser Café saß, war der Inbegriff von weiblicher | |
Intellektualität, gelebter Gesellschaftskritik, bewundernswert amoralischem | |
Verhalten, kurz: Emanzipation. Als Studentinnen gingen wir schonungsloser | |
mit Simone de Beauvoir um; in ihrem einstigen Klassiker "Das Andere | |
Geschlecht" schien nicht mehr vieles den prüfenden Blicken unseren | |
avancierten feministischen Theorien standhalten zu können. Zu sehr war ihr | |
Ideal von Freiheit insgeheim an dem des männlichen Heros orientiert, zu | |
deutlich wurde in jenen Passagen über den weiblichen Körper und die | |
Menstruation, dass sich uns der Eros eher trotz, nicht wegen unseres | |
"Anderen Geschlechts" zuwende. | |
Doch gab es in diesem Werk zwei Stellen, die mich bis heute beschäftigen. | |
Wenn ein Außerirdischer unsere Erde besuchte, so de Beauvoirs erste | |
Bemerkung, würde er allein an Kleidung oder Gang sofort merken, dass es | |
zwei Sorten von Menschen gibt: Männer und Frauen. An anderer Stelle schrieb | |
sie ungefähr, dass Frauen die einzige unterdrückte Klasse seien, deren | |
Angehörige mit ihren Unterdrückern freiwillig ins Bett gehen. | |
Die Beobachtung des fiktiven Marsianers stimmt bis heute, und sogar, das | |
ist das Verblüffendste, in den Seminaren der Universitäten, in denen Judith | |
Butlers "Unbehagen der Geschlechter" das "Andere Geschlecht" als Bibel | |
abgelöst hat. Butler wird gemeinhin als Kronzeugin für die These | |
aufgerufen, dass es keine zwei unverrückbaren biologischen Geschlechter | |
gebe und eine bestimmte politische Praxis darin bestehen könnte, eine | |
größere Bandbreite von Geschlechtlichkeit lebbar und sichtbar zu machen. | |
So weit die Theorie. Die Einzigen aber, die auf das im Seminar Gelernte | |
auch eine Praxis folgen lassen, sind eine Handvoll Lesben, die mit kurzen | |
Haaren, derben Schuhen und "burschikosem" Auftreten zwischen all den | |
anderen traditionellen Männleins und Weibleins auffallen wie ein bunter | |
Hund. Ansonsten glotzt jeder blöd, sobald ein Mann mal einen Rock oder | |
Lippenstift trägt, und habe er auch die schönsten Beine respektive Lippen. | |
Auch wundert sich niemand darüber, dass es in jedem Schuhgeschäft eine | |
Männer- und eine Frauenabteilung gibt, obwohl sich doch die Fußgrößen der | |
Geschlechter bei 40 und 41 überschneiden. Man lacht über deutsch-türkische | |
Eltern, die ihre Töchter vom gemischt-geschlechtlichen Schwimmunterricht | |
fernhalten wollen, aber gemeinsame Umkleidekabinen für Jungs und Mädchen | |
oder gar Nacktschwimmen sind auch für die Deutsch-Deutschen tabu. Butler | |
hin, de Beauvoir her: Zweigeschlechtlichkeit ist ein konstitutives Dogma | |
auch der postmodernen westlichen Welt. | |
Das zweite Beauvoir-Zitat ist zu voraussetzungsreich, um es in einem | |
Schwung zu diskutieren; machen wir daher einmal einen Bogen um | |
Grundsatzdiskussionen um "Frauen" und "Männer", um "Klasse" und | |
"Unterdrückung". Selbst ohne diese Begriffe bleibt von dem Satz noch genug | |
Erkenntnis übrig: Feminismus ist am Alltag verflixt nah dran. Das ist fast | |
eine logische Konsequenz der Erkenntnis, dass das Private politisch ist, | |
dass also das Politische des Geschlechterverhältnisses nicht irgendwo an | |
Wahlurnen oder in Vereinen stattfindet; sondern dass es noch unsere | |
alltäglichen, privaten und sogar intimsten Handlungen bestimmt. Die | |
entscheidende Frage ist aber, ob man den Satz auch umdrehen kann: Muss, | |
weil das Private vom Politischen heimgesucht wird, die politische | |
Veränderung vom Privaten ausgehen? Zum Teil: Ja. Und sind wir auch | |
politisch-moralisch verpflichtet, in jeder unserer privaten Handlungen | |
politische Veränderung anzustoßen? Wohl eher: Nein. | |
Der haarfeine Unterschied zwischen diesen beiden Fragen stellt wenn nicht | |
die, dann eine entscheidende Schwelle dar, über die der klassische | |
Feminismus schließlich gestolpert ist. Man will sich eben nicht, wenn man | |
sich gerade auf einer Demo sonst was abgefroren hat, Vorhaltungen machen | |
lassen, von wem und wie man sich zu Hause wieder aufwärmen lässt | |
Zwei harmlose Beispiele für diejenigen, denen nebulös ist, wovon ich rede: | |
Anfang der 90er besaß ich ein enges rotes Kleid, das die Genossinnen, ohne | |
jede Bösartigkeit, als "sexistisches Kleid" bespöttelten. Und recht hatten | |
sie: Denn es ist wirklich der weibliche Körper, der sich, frei nach Luce | |
Irigaray, dem (imaginären) männlichen Blicke andient und zum Anschauen und | |
Anfassen preisgibt. Das ist aber nun mal genau die Sorte Anerkennung, auf | |
die wir real existierenden Heteras bisweilen aus sind! | |
Zur ungefähr selben Zeit hatte eine Freundin von mir auf einer Parkbank ihr | |
erstes Date mit einem Bekannten. Der Kampf gegen die weibliche Pflicht zur | |
Beinrasur schien damals noch nicht ganz verloren; und es kam eine | |
entsprechend behaarte Zeitgenossin vorbei. Das sehe ja scheußlich aus, | |
sagte meiner Freundin Begleiter - während sie selbst in langen Hosen | |
genauso unrasiert daneben saß. Mit diesem jungen Mann ließ sie es nie zur | |
Feuerprobe kommen. Allerdings kaufte sie sich kurz darauf ihr erstes | |
Epiliergerät. | |
Im Nachhinein mag man solche Konflikte als läppisch abtun, Doch stellt sich | |
im Kern dieselbe Problematik heute noch bei der Arbeitsteilung im Haushalt, | |
bei der Frage, wer von zweien den Halbtagsjob beantragt und die | |
Kinderbetreuung übernimmt, und bei der Entscheidung, ob sich eine | |
Abiturientin für Mathematik oder für Geisteswissenschaften einschreiben | |
will. Oft genug können wir das, was aus der Vogelperspektive eine klare | |
Sache schien, in der Perspektive von Frosch und Prinzessin nicht mehr | |
wiedererkennen; und wenn doch, ist die Konsequenz meist eine eher | |
ungemütliche. | |
Der von manchen diagnostizierte Widerspruch zwischen alten "solidarischen" | |
und heutigen "egoistischen" Feministinnen scheint mir daher wenn nicht | |
falsch, so zumindest schief beschrieben. Zugespitzt könnte man sagen, der | |
Feminismus in der Nachfolge von 68 machte sich irrige Vorstellungen von der | |
allzu engen Kurzführung von Theorie und Praxis; und wer heute zig Mal | |
"Post-" vor das Wort Feminismus hängen muss, macht sich offenbar lieber gar | |
keine. Die Ersteren muteten sich zu viel zu, die letzten zu wenig. | |
Die Lösung bestünde nun darin, eine Art und Weise zu finden, wie sich | |
allgemeine, strukturelle Erkenntnis ("geschlechtsspezifische Erziehung | |
mindert das Vertrauen der Mädchen in ihre mathematischen Fähigkeiten") so | |
in den eigenen Kontext übersetzen ließe, dass sie auch dem Einzelnen nicht | |
als Vorwurf oder Imperativ ("du musst Mathe studieren, wenn du emanzipiert | |
sein willst") entgegen träte, sondern mehr Wahlfreiheit eröffnet. | |
Allerdings scheint mir das Problem zu grundsätzlich für einen Mittelweg, | |
der einfach empfiehlt: Sei halt bisschen weniger dogmatisch. - Nein! Die | |
alten Dogmen mögen nämlich immer noch stimmen, bloß ein neuer Weg ist | |
(noch) nicht gefunden: ein Dilemma. | |
13 Nov 2007 | |
## AUTOREN | |
Hilal Sezgin | |
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