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# taz.de -- Comicverfilmung "Persepolis": Punk is not dead in Teheran
> Marjane Satrapi hat ihr autobiografisches Comic verfilmt: "Persepolis"
> erzählt von Iron Maiden, Mullahs und einer Wanderung zwischen den Welten.
Bild: Flächiges Schwarz-Weiß, aber keine bequeme Zweiteilung der Welt.
Die Frauen in Schwarz sind zu einer Art Markenzeichen von "Persepolis"
geworden: gespensterhafte Wesen, erst auf den zweiten Blick als Tschador
tragende Frauen zu erkennen. Im meistzitierten Bild des Films fallen diese
schwarzen Gespenster über ein kleines Mädchen her, das zwar ebenfalls
Kopftuch trägt, sich aber die Extravaganz erlaubt, auf dem Rücken die
Botschaft "Punk is not dead" zu tragen. Das flächige Schwarz-Weiß des
Comics verbindet sich in diesem Bild fast zu gut mit dem vorgeblichen Thema
des Films. Wer von "Persepolis" jedoch einen Beitrag zur leidigen
Kopftuchfrage oder gar über den Fundamentalismus erwartet, wird
unweigerlich enttäuscht sein.
Die Perspektive des Films ist nämlich durchweg weniger politisch als sehr
persönlich: Die in Teheran geborene und heute in Paris lebende
Comiczeichnerin Marjane Satrapi erzählt von ihrer Kindheit im Iran, vom
Aufwachsen in der Zeit nach dem Sturz des Schahs, vom folgenden
Iran-Irak-Krieg und vom Exil, in das ihre Eltern sie schicken, als sie
immer rebellischer reagiert in einer repressiver werdenden Gesellschaft.
Mit derselben Ausführlichkeit, mit der sie von den Enttäuschungen nach der
islamistischen Revolution berichtet, schildert sie die Schwierigkeiten des
jungen Mädchens, sich alleine im westlichen Ausland zurechtzufinden. In
Wien muss sie mit unfreundlichen Vermieterinnen klarkommen und im
Achtziger-Jahre-Milieu punkiger Mitschüler Freunde finden. Ihre
Lebenssituation dort erweist sich als so prekär, dass der erste
Liebeskummer sie in eine tiefe Krise stürzt. Mit wunder Seele kehrt sie
nach Teheran zurück und versucht sich einzurichten in einer Gesellschaft,
die sich ihrerseits eingerichtet hat in den Regeln einer Diktatur und
diversen Ritualen ihrer Überschreitung. Durch eine frühe Heirat will sie
sich Autonomie verschaffen. Als sie aber auch damit scheitert, besteigt sie
erneut das Flugzeug nach Paris. Mit ihrer Ankunft dort, am Beginn eines
neuen, aber vollkommen unbekannten Lebens, setzt übrigens der Film ein, um
dann zurückzuspringen zu jenem kleinen Mädchen, das im Wohnzimmer der
Eltern große Politik nachspielt und mit Inbrunst fordert: "Nieder mit dem
Schah!"
"Persepolis" ist ein ausgesprochen kunstvoller Comicfilm, der elegant und
treffsicher mit den fürs Genre notwendigen Vereinfachungen umgeht. Satrapis
Zeichenstil nimmt die Tiefe aus den Räumen, betont die Zweidimensionalität
und gibt den Figuren gleichzeitig eine sich in den Vordergrund drängende
Präsenz. Wie oft im Zeichentrick ist es gerade die Künstlichkeit, die
Unähnlichkeit mit der realen Welt, die eine originelle und dadurch wieder
besonders lebensnahe Darstellung ermöglicht. Jede Szene beinhaltet eine
karikaturenhafte Zuspitzung: das resolute Temperament der 10-Jährigen, die
für Bruce Lee schwärmt, die Bilder der erwähnten schwarzen Gespenster, die
sich auf sie stürzen, als sie auf dem Schwarzmarkt eine Platte der Iron
Maiden erwirbt, genauso wie die Ohrring tragenden Punker später in Wien.
Die Zeichnungen an sich sind bereits "witzig", weil sie gut beobachtete
Details vergrößern und herausstellen. Im Film kommen noch ein effektvoll
ausgewählter Soundtrack und knapp geschriebene Dialoge voll trockenen
Humors dazu. Der Großteil des Dialogwitzes geht übrigens auf das Konto der
Figur der Großmutter, die einerseits die ehrwürdige Tradition der Familie
verkörpert, andererseits aber eine verblüffend vulgäre Bodenständigkeit
offenbart, wenn sie als Ursache einer gescheiterten Ehe im Bekanntenkreis
angibt: "Sein Piepmatz war zu klein."
Der persönlich gehaltene Erzählton von "Persepolis" ist dabei keine Maske,
kein Verfahren, um irgendwie vermittelt den Aufstieg des Fundamentalismus
oder gar den mit der iranischen Revolution erst ins allgemeine Bewusstsein
gerückten "Kampf der Kulturen" zu beschreiben. Wie gesagt: Wer sich neue
Erkenntnisse zur großen Islamdebatte verspricht, wird eher enttäuscht sein.
Auf diese Enttäuschung scheint Satrapi nachgerade zu setzen, denn wer ihrer
Geschichte folgt, kann unmöglich die Trennung in "wir" und "sie"
aufrechterhalten, die die Diskussion der letzten Jahre zunehmend bestimmt.
Marjanes ganz persönliche und keineswegs einfache Geschichte handelt
nämlich in der Hauptsache davon, dass sie selbst ein für allemal ohne diese
bequeme Zweiteilung der Welt auskommen muss: Egal ob das "Wir" von den
Schulkameraden in Wien ausgesprochen wird oder von den Studienkolleginnen
in Teheran, sie gehört immer auf die andere Seite.
Dabei hat Satrapi der Versuchung widerstanden, aus ihrer Figur eine Heldin
der Unangepasstheit zu machen. Ganz im Gegenteil: "Persepolis" zeichnet
sich gerade durch die Schonungslosigkeit aus, mit der hier die Hauptperson
auch das eigene inkonsequente, unschöne und manchmal sogar schäbige
Verhalten schildert - das zudem oft vom verzweifelten Wunsch motiviert ist,
doch noch irgendwie dazuzugehören. Sketchhaft von Erlebnis zu Erlebnis
springend, reiht der Film Witziges und Erschütterndes, Banales und
Hochbedeutsames aneinander und erscheint in der Summe ausgesprochen
lebensweise. Für die Bewältigung von Liebeskummer gibt es genauso wenig ein
Rezept wie für das Zurechtkommen mit revolutionären Veränderungen. Doch
selbst wenn die jugendliche Marjane mit ihrem Schicksal hadert und den
Himmel anschreit, wird der Ton des Films nie selbstmitleidig. "Die Freiheit
hat ihren Preis", redet ihr die Großmutter gelassen zu, als sie sich einmal
selbst fast wünscht, einen weniger nach Emanzipation strebenden Charakter
zu besitzen.
Auf seine Weise stellt Satrapis Comicroman, sei es als Buch oder als Film,
eine doch noch gelungene Integration dar: Um ihren Lebensweg zwischen den
Kulturen von Ost und West zu schildern, scheint sie in der "graphic novel"
die richtige Ausdrucksweise gefunden zu haben.
21 Nov 2007
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
Interview
Comic
Graphic Novel
Graphic Novel
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