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# taz.de -- Debatte Roma: Die vergessene Minderheit
> Zwischen Italien und Rumänien hat der Massenexodus von Roma zum Streit
> geführt. Die EU muss dafür sorgen, dass die Roma in ihren Heimatländern
> integriert werden
Bild: Nicht überall geht es so einfach.
Der Streit entzündete sich an einem Interview, das Mussolinis Enkelin
Alessandra einer italienischen Zeitung gab. Darin hatte sie den
italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi dafür gelobt, dass er Roma
aus Rumänen im Schnellverfahren aus seinem Land abschieben lassen wollte.
Recht so, argumentierte Alessandra Mussolini, denn "die Rumänen" hätten aus
der Kriminalität einen Lebensstil gemacht.
Die Abgeordneten der "Großrumänen-Partei", mit denen Alessandra Mussolinis
Partei im EU-Parlament bis dahin eine gemeinsame Fraktion bildete, hätten
mit diesem Interview wohl kein Problem gehabt - wenn, ja wenn Mussolini
ihre Angriffe auf "kriminelle Zigeuner" beschränkt hätte, wie der bisherige
stellvertretende Fraktionsvorsitzende Eugen Milhäesciu schäumte. Die
pauschale Diffamierung ihrer Landsleute aber fanden die fünf rumänischen
Faschisten inakzeptabel und traten daraufhin aus Protest aus der
ITS-Fraktion aus.
Seit zwölf Jahren hatte das kleine Häuflein am rechtsextremen Rand im
EU-Parlament nicht mehr die erforderliche Mindestzahl von zwanzig
Mitgliedern zusammengebracht, die es braucht, um eine Fraktion zu bilden.
Erst der EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien hatte sieben zusätzliche
Volksvertreter chauvinistischer und rassistischer Parteien ins Hohe Haus
gespült. Doch nun hat sie den begehrten Fraktionsstatus, der mit
Privilegien und höheren Zuschüssen verbunden ist, wieder verloren.
Zähneknirschend hatten die demokratischen Fraktionen akzeptieren müssen,
dass zusätzliche Steuergelder und Selbstdarstellungsmöglichkeiten gerade
denen zuflossen, die europäischer Toleranz und Vielfalt den Kampf angesagt
haben - eine indirekte Folge der EU-Erweiterung. Die vor knapp einem Jahr
gegründete ITS-Fraktion im Europaparlament sei an ihrem eigenen Rassismus
zerbrochen, kommentierte die grüne EU-Abgeordnete Angelika Beer deshalb nun
schadenfroh.
Zur Schadenfreude besteht aber kein Anlass. Denn die demokratischen
Parteien in Europa müssen selbst aufpassen, dass sie sich nicht in den
Fallstricken der Xenophobie verfangen. Die Frage, wie mit Minderheiten
umzugehen ist und für welche gesellschaftlichen Probleme die Gemeinschaft
Verantwortung übernehmen soll, bleibt akut. Denn Alessandra Mussolini hatte
in ihrem Interview ja nur verkürzt ausgesprochen, was inzwischen viele
Italiener denken: Wäre Rumänien nicht EU-Mitglied geworden, dann wären auch
die kriminellen Rumänen zu Hause geblieben.
Wer so denkt, nimmt zwar nicht zur Kenntnis, dass bereits vor dem
EU-Beitritt viele Rumänen ins Land kamen. Ihr Anteil an der italienischen
Kriminalstatistik ist auch nicht höher, als es ihrem Anteil an der
Bevölkerung entspricht. Es gibt deshalb keinen Grund, allen Rumänen
pauschal Kriminalität zu unterstellen. Richtig ist aber, dass sich unter
den rumänischen Zuwanderern in Italien viele Roma finden, die vor
rassistischen Vorurteilen, sozialer Benachteiligung und wirtschaftlicher
Perspektivlosigkeit aus ihrer Heimat geflüchtet sind. In Italien sehen sie
sich nun wieder genau denselben Problemen gegenüber.
Mit zehn Millionen Menschen bildet die Volksgruppe der Roma seit der
Erweiterung die größte Minderheit in der EU. Hätten die alten
EU-Mitgliedsländer wissen wollen, welche Verantwortung dadurch auf sie
zukommt - ein Blick in die Fortschrittsberichte der EU-Kommission hätte
genügt. Jedes Jahr wurde dort aufs Neue die Diskriminierung der Roma in der
Slowakei, Bulgarien, Rumänien und Tschechien gerügt. Doch die Gemeinschaft
entschloss sich trotz dieser Defizite, die Kandidaten aufzunehmen. Im
letzten Bericht vor dem Beitritt Rumäniens ist von Polizeirazzien gegen
Roma, von Vertreibungen und der Zerstörung ihrer Unterkünfte die Rede.
Ähnliche Vorwürfe muss sich nun Italien gefallen lassen. Statt mit gutem
Beispiel voranzugehen, machen sich die alten Mitgliedsstaaten die Unsitten
der Neulinge zu eigen.
Auch nach dem Beitritt setzen viele Staaten Mittel- und Osteuropas die
Antidiskriminierungsrichtlinie und die Europäische Menschenrechtskonvention
nicht richtig um, wie ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte zeigt. Am 13. November verurteilte dieses Gericht
Tschechien dazu, acht Roma-Klägern je 14.000 Euro Schadenersatz zu zahlen.
Diese hatten sich dagegen gewehrt, allein aufgrund ihrer Herkunft in
Sonderschulen abgeschoben zu werden. Diese Praxis ist in vielen
osteuropäischen Staaten üblich: Nach einer neuen Studie von amnesty
international werden auch im Osten der Slowakei noch heute alle Romakinder
auf Sonderschulen geschickt. Dies aber stelle eine ungesetzliche
Diskriminierung und eine Verletzung der Grundrechte der Romakinder dar,
urteilte das Gericht.
Kurz nach dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens hatte Viktória Mohácsi,
eine ungarische Roma-Abgeordnete im EU-Parlament, vor einer Fluchtwelle von
Roma aus den neuen Mitgliedsstaaten in die alte EU gewarnt. Neunzig Prozent
dieser Volksgruppe seien in ihren Heimatländern von Diskriminierung,
sozialer Ausgrenzung und Armut betroffen. Ein Ortswechsel werde ihre Lage
nicht verbessern, sondern nur die Vorurteile und Ressentiments gegen sie
verstärken, sagte Mohácsi voraus. Im Interesse aller Mitgliedsstaaten müsse
die EU dafür sorgen, dass die Roma in ihren Heimatländern eine
Zukunftsperspektive bekämen.
Die düstere Prognose hat sich nun bewahrheitet, und fast wären Rumänien und
Italien darüber in eine diplomatische Krise geraten. Der Konflikt kann aber
nur auf europäischer Ebene gelöst werden. Sowohl die Regierungschefs beider
Länder als auch einige Parteien im Europaparlament fordern nun einen
speziellen Integrationsfonds für Roma. Das ist richtig, denn die normale
EU-Strukturförderung kommt in den Romagemeinden nicht an. Bereits zu
Jahresbeginn wiesen gleich mehrere Menschenrechtsorganisationen in Bezug
auf Bulgarien nach, dass Programme, die speziell Beschäftigung und Bildung
fördern und soziale Ausgrenzung mindern sollen, die Roma nicht erreichen.
Dabei sind sie ohne Zweifel die ärmste und am stärksten betroffene Gruppe
bulgarischer Staatsbürger.
Natürlich kann die EU-Kommission verlangen, dass der Zuschnitt eines
Projekts geändert wird, bevor sie Mittel aus dem Strukturfonds freigibt.
Sie hat aber wenig Einfluss darauf, wie ein Mitgliedsstaat das Programm vor
Ort umsetzt und welche Bevölkerungsgruppen davon profitieren. Ein
Integrationsfonds für Roma hingegen könnte direkt von der EU-Kommission
verwaltet werden - in enger Kooperation mit engagierten Organisationen vor
Ort. Gegen zusätzliches Geld aus Brüssel hätten die betroffenen Länder ganz
sicher nichts einzuwenden, und den übrigen EU-Mitgliedern müsste die
zusätzliche Ausgabe leichtfallen. Eine Alternative gibt es nicht: Der Blick
nach Italien zeigt, dass sie dem Problem ohnehin nicht ausweichen können.
22 Nov 2007
## AUTOREN
Daniela Weingärtner
## TAGS
EU-Richtlinien
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