Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bildung von der Zeugung bis zum Abitur: Rütli zum Erfolg verdammt
> Als "Campus Rütli" soll aus der früheren Problemhauptschule ein
> Vorzeigeprojekt werden. Die Ideen sind radikal, die Finanzierung ist noch
> ungewiss.
Bild: Hier gehts ab: Musikveranstaltung an der Neuköllner Rütli-Schule
"Ach, ich mache das richtig gern!" Die Beschwingtheit, mit der Klaus
Lehnert, Oberstudiendirektor a. D., diesen Satz trällert, klingt
mitreißend. Dabei hat Lehnert, der bis zum Sommer Direktor des Neuköllner
Albert-Einsteins-Gymnasiums war und nun friedlich den Ruhestand genießen
könnte, eine geradezu abenteuerliche neue Aufgabe übernommen. Sie lautet:
Aus der Rütli-Schule, einst Horrorschule der Nation, soll ein Juwel, ein
geschliffener Diamant, werden.
"Campus Rütli CR(2)" heißt das Konzept, mit dem aus der viel geschmähten
Neuköllner Hauptschule ein bundesweit einmaliges bildungspolitisches
Vorzeigeprojekt werden soll. Die Idee einer Gemeinschaftsschule, die das
Konzept beinhaltet, ist dabei nur ein Teil des Ganzen: Die Neuköllner
wollen viel mehr als nur verschiedene Schultypen unter ein Dach holen. "Wie
einen Apfel", empfiehlt der zuständige Bildungsstadtrat Wolfgang Schimmang
(SPD), solle man sich Campus Rütli vorstellen: "Die Gemeinschaftsschule ist
der Kern." Um diesen Kern, zu dem sich neben der Rütli-Hauptschule die
direkt benachbarte Heinrich-Heine-Realschule sowie die zirka 500 Meter
entfernte Franz-Schubert-Grundschule zusammenschließen sollen, gruppieren
sich dann vielfältige weitere Angebote für Kinder, Jugendliche und deren
Familien.
So sollen auf dem Campus Rütli etwa Volkshochschule und Musikschule Platz
finden. Der Kinder- und Jugendgesundheitsdienst befindet sich bereits auf
dem Gelände und soll ebenso wie die beiden existierenden Kitas in das
Projekt einbezogen werden. Dazu wird der Sozialpädagogische Dienst vor Ort
sein. Der Jugendclub Manege gegenüber der Rütlischule, der bereits eng
kooperiert, wird auch Teil des Campus. Das im selben Gebäude arbeitende
Berufsförderungsprojekt "Passt", das vom Jugendamt und dem Jobcenter
Neukölln betrieben wird, soll ebenfalls in den Bildungsverbund integriert
werden. In einer alten Villa am Ende der Rütlistraße sollen neben
schulpsychologischen Beratungsangeboten eine Bibliothek, ein
Elterntreffpunkt sowie ein Fortbildungszentrum für Lehrer, Erzieher und
Eltern entstehen. Die Rütlistraße, die zwischen den Schulgebäuden und den
Jugendeinrichtungen verläuft, soll entwidmet und zum Zentrum des neuen
Campus Rütli werden. Auch ein Umzug der Franz-Schubert-Grundschule auf das
Gelände ist möglich, hängt aber laut Bildungsstadtrat Schimmang von der
Entwicklung der Schülerzahlen und nicht zuletzt von der Finanzierbarkeit
ab.
Der "innovative und ganzheitliche Bildungs- und Sozialisationsansatz" des
Konzepts Campus Rütli solle "alle Kräfte und Kompetenzen in einem
Sozialraum" verschmelzen, heißt es. Schimmang formuliert das Ziel
konkreter: Bildungspolitische oder soziale Hilfen zu geben, wenn Kinder zur
Schule kommen, sei ja "teilweise schon zu spät". Mit dem Campus Rütli wolle
man "im Prinzip bei der Zeugung ansetzen". So könnten beispielsweise mit
dem Angebot des Campus schon Schwangere dabei beraten werden, wie sie ihre
Kinder aufwachsen lassen und erziehen möchten. Und die wiederum werden dann
bis zum Abi oder zum Berufseintritt begleitet. Denn auch über den Aufbau
einer gymnasialen Oberstufe im Campus Rütli wird nachgedacht. Radikale
Ideen: "Radikal", erklärt Projektbüroleiter Lehnert, "heißt wörtlich
übersetzt ja nichts anderes, als das Übel bei der Wurzel zu packen". Ziel
sei es, ein Unterstützungssystem zu errichten, das Kindern
Chancengerechtigkeit in der Schule ebenso ermögliche wie zugewanderten
Familien dabei helfe, "hier klarzukommen".
Getragen und begleitet wird das anspruchsvolle Konzept von einer illustren
Steuerungsrunde, der neben Bildungssenator Jürgen Zöllner und
Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (beide SPD) die
Freudenberg-Stiftung und die Stiftung Zukunft Berlin angehören. Deren
stellvertretende Vorsitzende Christina Rau, Frau des früheren
Bundespräsidenten, hat die Schirmherrschaft über das Projekt Campus Rütli
übernommen.
Ob der erste Schritt zum Campus Rütli, die Teilnahme am Berliner
Modellprojekt Gemeinschaftsschule, gelingen wird, wird sich am Monatsende
zeigen, wenn der Senat die auserwählten künftigen Gemeinschaftsschulen
bekannt geben will. Mit einem Scheitern der Bewerbung ist kaum zu rechnen.
Und so wäre immerhin ein Teil der Finanzierung des Projekts gesichert -
woher der Rest des benötigten Gelds kommen soll, bleibt bislang ein
Geheimnis des notorisch klammen Bezirks Neukölln. Starten soll das Projekt
dann im kommenden Schuljahr. Rütli-Schulleiter Aleksander Dzembritzkis
Optimismus klingt ein wenig, als wolle er sich selbst Mut zusprechen: "Wir
sind zum Erfolg verdammt."
22 Nov 2007
## AUTOREN
Alke Wierth
Alke Wierth
## TAGS
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bildungspolitik in Berlin: Gemeinschaft macht Schule
Nach zehn Jahren Probephase wird aus der Gemeinschaftsschule endlich eine
reguläre Schulform. Der CDU passt das nicht.
Kommentar: Der neue Rütli-Schwur
Der Bezirk Neukölln will rund um die verrufene Rütli-Schule einen
Bildungscampus errichten. Doch für das richtungsweisende Projekt fehlt noch
das Geld.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.