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# taz.de -- Erderwärmung der Meere: Das Jahrhundert der Quallen
> Dank Meeresüberfischung und Klimawandel: Bisher wurde Leuchtqualle in
> wärmeren Gefilden beobachtet - jetzt vernichtete ein Riesenschwarm eine
> irische Lachsfarm.
Bild: Lecker Qualle.
Wenn ein Quallenschwarm in Irland auf die Schwimmkäfige einer Lachsfarm
trifft, kann Verschiedenes passieren: Die Quallen können harmlose
Planktonfischer sein, und die Lachse werden ein bisschen eingeschleimt -
kein Drama. Haben die Quallen allerdings Nesselzellen, geht es den Lachsen
wie den Badegästen - es juckt und brennt und man hat einen schlechten Tag -
auch noch nicht dramatisch. Hat der Quallenschwarm allerdings 200
Milliarden nesselnde Mitglieder, haben die eingesperrten Zuchtlachse, deren
Käfige sich mit den schmerzenden Glibbertieren füllen, keine
Überlebenschance. Das ist keineswegs die Absicht der Quallen, denn
europäische Quallen fressen keine Lachse. Der beobachtete Quallenschwarm
wollte auch gar nicht nach Irland, denn Quallen treiben ziellos im Meer
umher. Ihr Leben bestimmen Wind, Wassertemperatur und Nahrungsangebot.
Allerdings ist in den vergangenen Jahren weltweit eine Zunahme von Quallen
zu beobachten.
Der "Täter" aus der irischen Lachsfarm, die hübsche Leuchtqualle Pelagia
noctiluca, machte sich bisher nur im Mittelmeer unbeliebt. Sie wird etwa 8
cm breit, erzeugt nachts ein romantisches orange-gelbes Meeresleuchten, und
brennt so stark wie die Feuerqualle in der Nordsee - also schmerzhaft wie
Brennnesseln, aber nicht lebensgefährlich.
Im Frühjahr 2007 lösten Riesenschwärme dieser Leuchtqualle Alarm an
Spaniens Stränden aus. Die Regierung versuchte damals mit Absperrnetzen,
die Badegäste zu schützen. Leider brennen die Fangarme von Quallen aber
auch nach dem Abreißen vom Quallenkörper, und die ein Netz passierenden
Quallen quälten die Urlauber weiter.
Sind solche Quallenfluten die Strafe des misshandelten Meeres für die
zahllosen Umweltsünden der Zivilisation? In gewisser Weise ja, aber es
steckt kein geheimer Plan einer rächenden Kraft dahinter. Wir beobachten
den Beginn eines Zeitalters der Quallen im Meer, und die Ursachen sind
vielfältig, aber klar erkennbar.
Die maßlose Fischerei hat weltweit die natürlichen Feinde der Quallen wie
Meeresschildkröten, Tunfische und Schwertfische nahezu ausgerottet. Im
Mittelmeer werden gerade die letzten Tunfische gefangen, in die Nordsee
kommt der Fisch seit etwa 1980 nicht mehr. Eine Karettschildkröte fraß pro
Jahr etwa eine Tonne Quallen - der Schildkrötenbestand aber ist um mehr als
90 Prozent gesunken.
Neben den Feinden sind auch wichtige Nahrungskonkurrenten der Quallen wie
Sardinen und Heringe fast weltweit überfischt. Daher haben die Quallen
heute oft Nahrung im Überfluss. Die Fischerei macht die Meere zum Paradies
für Quallen. Zusätzlich trägt vielerorts der Nährstoffeintrag dazu bei,
dass Billionen glücklicher Quallen heranwachsen.
Manche Quallenplagen sind vollkommen neuer Qualität, denn mit Schiffen
verschleppte Arten erreichen fremde Meeresgebiete, wo sie sich
explosionsartig vermehren. Eine australische Quallenart überflutete im Jahr
2000 den Golf von Mexiko, während eine Rippenqualle aus dem Golf von Mexiko
bereits ab 1982 das Schwarze Meer leerfraß. 90 Prozent der dortigen
Sardinenlarven fielen den Invasoren zum Opfer, die Fischerei brach
zusammen. Seit Ende 2006 kommt diese Mexikanische Vielfraßqualle nun auch
in Nord- und Ostsee vor. Man darf gespannt sein, was passieren wird.
Die Erwärmung der Meere erleichtert den Heerscharen der Glibbertiere nicht
nur das Wachstum, sondern lässt sie auch in Gebiete driften, die bisher von
solchen Ereignissen unberührt blieben - beispielsweise wie jetzt nach
Nordirland. Die Leuchtqualle aus dem Mittelmeer kam schon immer als
Zufallsgast bis Südengland. Dort wurde etwa alle zehn Jahre die Strandung
eines kleinen Schwarmes beobachtet. Nun ist die Art aber an der Nordspitze
Irlands etwa 600 Kilometer weiter nördlich aufgetreten als früher üblich.
Keine Überraschung, wenn man die weltweite Karriere der Quallen
berücksichtigt, und ein weiteres konkretes Warnzeichen der Folgen von
Klimawandel und Überfischung.
Weltweit gibt es etwa 3.000 Arten von Schirmquallen, einige sind harmlose
Planktonfischer, andere stark nesselnde Fischjäger. Bestimmte Arten haben
sogar tödlich giftige Nesselzellen. Ein Tier, das zu 98 Prozent aus Wasser
besteht, muss überzeugende Techniken haben, um Fische zu zwingen, sich
fressen zu lassen. Quallen sind "Megaplankton", also Lebewesen, die frei im
Meer schwimmen und ziellos von den Strömungen verfrachtet werden. Den
Winter verbringen sie als millimetergroßer Polyp am Meeresgrund. Im
Frühjahr teilt jeder Polyp sich in etwa 20 Scheiben, die jede zu einer
Schirmqualle heranwachsen und durch die See schweben. Aus den Eiern und
Spermien der Quallen entstehen wiederum neue Polypen.
In der Nordsee sind derzeit fünf Schirmquallen heimisch, von denen die
Gelbe und Blaue Nesselqualle schmerzhaft brennen. Die neu eingeschleppte
Mexikanische Vielfraßqualle wird möglicherweise von der heimischen
Melonenqualle im Zaum gehalten - oder auch nicht, man wird sehen.
Vorhersagen sind schwierig, denn die Lebenszyklen vieler Quallen und ihre
ökologischen Wechselwirkungen sind bislang nur unzulänglich bekannt. Eines
aber ist klar: Die Übernutzung der Meere macht das 21. Jahrhundert zum
kommenden Zeitalter der Quallen.
22 Nov 2007
## AUTOREN
Rainer Borcherding
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
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