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# taz.de -- Debatte Milieuhäuser: Der Trend zur Parallelgesellschaft
> Die Stadtplanung hat sich längst vom Ideal der sozialen Durchmischung
> verabschiedet. Nicht die Trennung der Milieus ist das Problem, sondern
> die Verarmung vieler Quartiere.
Bild: "Wir setzen auf einheitliche ethnische Nachbarschaften": Türkinnen beim …
Eigentlich muss man der "Nassauischen Heimstätte" dankbar sein. Als ruchbar
wurde, dass die hessische Wohnungsbaugesellschaft plane, ihre Mieter
künftig nach ethnischer Herkunft sortieren zu wollen, regte sich sofort
Protest. Ein Haus für Deutsche, eins für Türken, eins für Russlanddeutsche?
Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) reagierte prompt und erteilte
"Milieuhäusern homogener Kulturkreise" eine klare Absage.
Auch für die meisten Stadtplaner stellte der Vorstoß der hessischen
Wohnungsbaugesellschaft einen Verstoß gegen das Leitbild der sozialen,
ethnischen und kulturellen Durchmischung. Dankbar sollte man der
Nassauischen Heimstätte trotzdem sein. Denn sie hat eine zentrale Frage
aufgeworfen: Was, wenn die Realität das Leitbild längst überholt hat?
Machen wir uns nichts vor. Wir leben alle nicht nach dem Lehrbuch der
Stadttheorie - also in Quartieren, in denen sich einander Fremde begegnen,
sich in Toleranz üben und soziale Nachbarschaft praktizieren. Die einen
zieht es in alternative Wohlfühlviertel wie Hamburg-Eimsbüttel,
Berlin-Prenzlauer Berg oder das Leipziger Theaterviertel. Andere machen
gleich den Sprung auf die grüne Wiese. Dort ist es zwar etwas langweilig,
dafür haben die Kinder die Natur vor der Tür und bessere schulische
Chancen. Erst die "selektive Abwanderung" von Besserverdienenden und
Familien bringt jene homogenen Quartiere hervor, aus denen die Städte von
heute bestehen. Wer einer Wohnungsbaugesellschaft wie der Nassauischen
Heimstätte Kapitulation vor der schwierigen Aufgabe der gesellschaftlichen
Integration vorwirft, der sollte sich zuerst an die eigene Nase fassen.
Welches Ausmaß die soziale Entmischung bereits angenommen hat, lässt sich
in Berlin beobachten. Eine seit 1998 im Zweijahresrhythmus fortgeschriebene
Studie zur räumlichen Verteilung von Armut und Reichtum hat ergeben, dass
die Tendenz zur Parallelgesellschaft wächst. Bessere Viertel werden immer
besser, ärmere immer ärmer. Wenn es in angesagten Stadtvierteln noch eine
Mischung gibt, dann sieht sie aus wie in den Kreuzberger Paul-Lincke-Höfen.
Dort baut ein Investor gerade "Carlofts" - das sind Luxuswohnungen mit
außenliegendem Autoaufzug, damit der Porschefahrer nicht riskieren muss,
sein Lieblingsspielzeug der Straße zu überlassen.
Noch ernüchternder ist der Blick ins europäische Ausland. Noch vor einigen
Jahren galt Frankreich als europäisches Land mit den meisten "gated
communities". Mittlerweile gibt es allein in Warschau mehr Luxussiedlungen
mit Hochsicherheitsstandard als in ganz Frankreich. Die wachsende
Einkommenskluft macht auch vor unseren Städten nicht Halt; erst recht nicht
vor den Leitbildern gutmeinender Planer und Politiker.
Da mag der hessische Ministerpräsident noch so sehr vor "Milieuhäusern"
warnen: Die Stadtentwicklungspolitik der meisten Großstädte bestärkt den
Zerfall der Quartiere in arme und reiche Viertel. Von Hamburg bis München,
von Berlin bis ins Ruhrgebiet werden derzeit Townhouses, Lofts und neue
"urbane" Quartiere geplant und gebaut. Viele von ihnen entstehen auf
ehemals öffentlichen Grundstücken. So glauben die finanziell klammen
Kommunen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Zum einen spült
der Verkauf der innerstädtischen Filetgrundstücke an private Investoren
Geld in ihre Kassen. Zum anderen sorgen innerstädtische Wohnviertel für
mehr Leben auf den Straßen und schaffen damit eine Alternative zur
Abwanderung auf die grüne Wiese.
Was dabei übersehen wird: Die Stadtentwicklungspolitik in den Rathäusern
macht damit nichts anderes, als es die Vermietungsabteilung der
Nassauischen Heimstätte vorhatte. Sie reagiert auf Trends auf dem
Wohnungsmarkt, die mehr und mehr darauf hinauslaufen, "unter sich" sein zu
wollen. Dem "anderen", dem "Fremden" begegnet man noch immer früh genug: in
den Einkaufszentren, auf den Straßen, in den Parks.
Hat man die Lebenslüge von der durchmischten Stadt erst einmal hinter sich
gelassen, stellt sich die Frage: Wie soll die Stadt des 21. Jahrhunderts
aussehen, deren Bewohner sich, so gut es geht, aus dem Weg gehen? Nicht nur
im direkten Wohnumfeld, sondern auch beim Einkaufen und am Arbeitsplatz.
Ist das dann überhaupt noch eine Stadt? Oder wird die urbane Kultur wieder
das, weswegen so viele in die Städte ziehen: vorstädtisch, sogar dörflich?
Keinesfalls. Mehr denn je ist die Stadt ein Erfolgsmodell. Die Renaissance
des Urbanen zeigt, dass sich das Bedürfnis nach Stadt und das Bedürfnis
nach homogenen Quartieren nicht ausschließen müssen. Nicht die Stadt hat
sich also überlebt, sondern die normative Vorstellung ihrer Planer. Wenn
eine Wohnungsbaugesellschaft die russlanddeutsche Oma in einem anderen Haus
wohnen lässt als die türkische Facharbeiterfamilie oder den deutschen
Arbeitslosen, dann ist das weder Entmischung noch Rassismus. Es ist eine
Entscheidung, die ganz offenbar den Wünschen der Bewohner selbst
entspricht. Was sollte dagegen einzuwenden sein, wenn damit die Zahl der
Konflikte sinkt, das Wohlbefinden dagegen steigt?
Etwas ganz anderes wäre es, wenn Wohnungsbaugesellschaften dazu übergingen,
die "guten" Häuser an Deutsche vermieteten, die "schlechten" aber an
Nichtdeutsche. Genau diese Gefahr - die Guten ins Töpfchen, die Schlechten
ins Kröpfchen - droht aber auf gesamtstädtischer Ebene. Anders als bei der
Ausweisung von Standorten für hochwertiges Wohnen, fehlt es den Kommunen
nämlich an überzeugenden Ideen für den Umgang mit den zahlreicher werdenden
Problemquartieren. Die Gefahr, dass in den sozialen "Brennpunkten" bald nur
noch Feuerwehrpolitik betrieben wird, sie wächst.
Mit dem Bundesprogramm "soziale Stadt" und der Einführung von
Quartiersmanagern ist ein wichtiger Schritt gemacht gemacht. Beiden
Initiativen geht es darum, den benachteiligten Quartieren und den Menschen,
die dort leben, mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Das bedeutet, nicht nur in
Beton, sondern auch in Bildung zu investieren, und die lokalen - auch
ethnischen - Ökonomien zu stärken.
Doch je weiter sich die Schere zwischen Arm und Reich öffnet, desto
deutlicher werden die Grenzen einer solchen "Notstandspolitik". Umso
wichtiger ist es, die Debatte um die Zukunft der Stadt fortzusetzen. Nicht
die Entmischung ist das Problem, sondern die rasante Verarmung zahlreicher
Quartiere. Wenn die Städte aber nicht genauso - zum Beispiel mit
Mikrokrediten - in ihre Problemquartiere investieren wie in ihre Lofts und
Townhouses, zerfallen nicht nur Nachbarschaften - dann zerfällt auch die
Stadt.
Höchste Zeit also, sich von alten Lebenslügen zu trennen und sich dem
entscheidenden Thema zuzuwenden. Eine soziale Stadt kostet Geld. Wer es
nicht investiert, riskiert mehr als ein paar homogene Wohnblocks. Die
brennenden französischen Vorstädte sind ein Menetekel.
1 Dec 2007
## AUTOREN
Uwe Rada
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