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# taz.de -- Prozess gegen Khaled El Masri: In die einsame Freiheit
> El Masri ist draußen. Zwei Jahre Bewährung verhängte das Memminger
> Gericht wegen Brandstiftung gegen die Ex-CIA-Geisel. Der Gutachter sieht
> ihn an der Grenze zum Wahnhaften.
Bild: Ein Zeichen des Bedauerns seitens der Bundesregierung, und El Masris Seel…
In diesem Gesicht lässt sich nicht lesen. Selbst in dem Moment, als Richter
Götz Helms die Aussetzung der zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung
verkündet - als mit einem Mal die Freiheit ruft, die Rückkehr zur Familie
-, verzieht Khaled El Masri keine Miene. Er verlässt den Memminger
Gerichtssaal, wie er gekommen ist: scheinbar unbeteiligt, ohne Geste. Kein
Freund, kein Verwandter von ihm sitzt im Zuschauerraum. El Masri hat schon
lange keine Freunde mehr.
In seiner Wahrnehmung dürfte der 44-Jährige an diesem Dienstagabend
lediglich einen Zwischenerfolg im lange währenden Kampf gegen die
Geheimdienste erreicht haben. Es ist ein Kampf außerhalb der Begrenzungen
deutschen Rechts, einer, der aus El Masris Sicht allein nicht zu gewinnen
ist: Die Angriffe der CIA und des BND werden mit den Methoden des Verrats
und der gezielten Desinformation geführt, notfalls müssen sie mit dem
Mittel der Gewalt beantwortet werden. Das ist die Logik dieses Angeklagten,
der nun wieder frei ist.
Das Denken eines Verrückten, ließe sich schlussfolgern. Doch ist nicht auch
die Vorgeschichte dieses Straftäters verrückt? Im Dezember 2003 wurde
Khaled El Masri auf einer Busfahrt nach Skopje in Mazedonien von
Sicherheitskräften festgesetzt und 23 Tage später von CIA-Agenten in einem
Flugzeug nach Afghanistan verschleppt. Die Namen der 13 Agenten sind
bekannt, die Münchner Staatsanwaltschaft hat Haftbefehle erlassen. Doch die
Bundesregierung hat sie, mit Verweis auf die Aussichtslosigkeit des
Unterfangens, nie an die Amerikaner weitergeleitet. Fünf Monate verbrachte
El Masri in einem Kerker, bis er an der albanisch-mazedonischen Grenze
wieder in die Freiheit gestoßen wurde. In Gefangenschaft war er immer
wieder nach den Vorgängen und Personen im Neu-Ulmer Mulitikulturhaus
gefragt worden, einer Moschee, in der er früher oft war. Der jetzt
verbotene Verein galt als islamistische Zelle.
Erlebnisse aus dieser Haftzeit hat El Masri dem Gericht geschildert.
Einmal, als er mit seiner leisen Stimme, die keine Modulation kennt, von
der Folterung eines Zellennachbarn berichtet, bricht seine Rede ab. Aus
seinem Gesicht rollen Tränen, durch kein Schluchzen angekündigt, ganz
unerwartet, wie aus einer Steinbüste. Richter Helms, der dem Angeklagten
interessiert und geduldig zuhört, ordnet eine zehnminütige Pause an.
Die bis heute ungeahndete Entführung ist nicht nur für El Masris
Verteidiger Manfred Gnjidic die Wurzel alles weiteren Unglücks, das sein
Mandant erlitten und schließlich auch anderen zugefügt hat. Auch der vom
Landgericht hinzugezogene psychiatrische Gutachter kommt zu diesem
Ergebnis. Er attestiert dem Angeklagten eine "andauernde
Persönlichkeitsveränderung nach einer Extrembelastung". Seit seiner
Rückkehr aus Afghanistan fühlt sich El Masri eingekreist von
Geheimdienstleuten, er hat eine feindselige Grundhaltung allen Menschen
gegenüber entwickelt. Davon blieb auch sein Anwalt Gnjidic nicht verschont,
er hatte den Kontakt zu seinem Mandanten zeitweise verloren.
Vor allem aber hat El Masri seine Reaktionen nicht mehr unter Kontrolle.
Der Gutachter hat keinen Zweifel daran, dass es die Entführung durch die
CIA und die Misshandlungen durch Kälte und Nahrungsentzug im Kerker
tatsächlich gegeben hat.
El Masri selbst will nicht, dass man ihn für verrückt hält. Siebenmal seit
2004 haben die Krankenkassen Anträge seines Anwalts abgelehnt, seinen
Mandanten zu therapieren. Im Januar 2006 kam es schließlich zu einigen
Sitzungen im Ulmer Behandlungszentrum für Folteropfer. "Viel zu spät",
befindet in Memmingen der Gutachter, zu diesem Zeitpunkt sei der Angeklagte
bereits in Denkmuster verfallen, die an der Grenze zur Wahnhaftigkeit
gelegen hätten. Eines Nachts, erzählt El Masri dem Gericht, sei er mit
seiner Familie auf der Autobahn gefahren, als sein Wagen von vier
Limousinen eingekeilt wurde. Kilometerlang habe ihn der Konvoi verfolgt,
dann sei er im Dunkeln verschwunden.
Die einzige Behörde, die sich in dieser Phase intensiv um El Masri kümmert,
ist das Arbeitsamt in Neu-Ulm. Die Mitarbeiter wollen ihn, den
Hartz-IV-Empfänger, zwingen, endlich wieder zu arbeiten. Er muss an einer
Fahrerschulung des Kfz-Prüfunternehmens Dekra in Ulm teilnehmen. "Ich
wollte das nicht", sagt El Masri vor Gericht. Er fehlt unentschuldigt, soll
das schriftlich begründen. Unwirsch schreibt er von einem Treffen mit einer
"Blondine", das er habe wahrnehmen müssen. Der Dekra-Projektleiter ruft ihn
in sein Büro und will ihm eine Abmahnung in die Hand drücken. Masri
zerreißt sie, es kommt zum Wortwechsel, dann schlägt der 1,80 Meter große
und 112 Kilogramm schwere Mann zu und verletzt den Vorgesetzten am Kopf. Es
ist der 29. Januar.
El Masri hat jetzt eine Strafanzeige wegen Körperverletzung am Hals, doch
ihn beschäftigen weiter die mysteriösen "Zwischenfälle" in seinem Alltag.
Einmal ist er sicher, seine Wohnung sei durchsucht worden. Dann, Anfang
April, geht er in den Metro-Markt in Neu-Ulm. Er will einen MP3-Player
zurückgeben, aus dem "eine schwarze Flüssigkeit" ausgetreten sei. Die
Verkäuferin zweifelt, fragt nach, will genau wissen, wie und was El Masri
mit dem Gerät, mit den Batterien getan habe. Er schreit die Frau an, sie
solle sie sich "in den Arsch schieben", und geht. Daraufhin wird seine
Kundenkarte gesperrt, er bekommt Hausverbot.
Am 12. April kehrt er zurück, verlangt, erneut die Verkäuferin zu sprechen.
Er spuckt ihr ins Gesicht. Der Sicherheitsdienst wird gerufen, doch El
Masri setzt sich in die Cafeteria des Markts und verlangt, in Ruhe gelassen
zu werden. Eine Polizeistreife muss ihn abführen. Damit hat er sich auch
eine Anzeige wegen Beleidigung und Hausfriedensbruch eingehandelt.
Doch seine innere Logik führt ihn zu ganz eigenen Schlüssen. War er nicht
bei dem Streit mit der Verkäuferin von einem dritten Mann beobachtet
worden? Sollte er hier bewusst in eine "Falle" gelockt und danach als
Gewalttäter und Querulant abgestempelt werden? Schon im Fall des
verprügelten Dekra-Lehrers war der Vorgang verdächtig schnell der Presse
zugespielt worden. Er habe gedacht, sagt El Masri vor Gericht, die
Verkäuferin sei entweder direkt ein Mitglied der Geheimdienste oder eine
"Marionette".
Schließlich, am 16. Mai, soll die CIA endlich seine Antwort bekommen. Am
frühen Morgen kauft El Masri an einer Tankstelle drei Kanister mit Benzin
und fährt zum Metro-Markt. Doch im Innern sieht er Menschen. Er ändert den
Plan und kehrt am 17. Mai zurück. Mit dem Heck seines Wagens kracht er in
die Eingangstür, dann stürmt er mit einem Beil und dem Benzin in den ersten
Stock, auf der Suche nach den Büros. Er findet sie nicht und entzündet das
Benzin schließlich an vier Stellen im Erdgeschoss, längst schrillt die
Alarmanlage. Als die Polizei ihn festnimmt, wehrt er sich nicht.
"Ich musste was machen, um mich und meine Sicherheit zu verteidigen",
begründet El Masri vor Gericht. "Ich musste irgendwas tun, um den Plan,
das, was die vorhaben, zu zerstören."
Der Metro-Markt öffnet am 18. Mai wieder, anfangs ist von einem Schaden von
500.000 Euro die Rede. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft
Memmingen sind es noch etwas mehr als 300.000 Euro. Vor Gericht wird klar:
Es entstand ein Schaden in Höhe von 89.000 Euro - verursacht durch das
Löschwasser der Sprinkleranlage. Die Staatsanwaltschaft spricht lapidar von
einem "Schreibfehler", ein Gutachter sagt, die Gefahr eines Großbrandes
habe nie bestanden.
Der Ausbruch ist da
El Masri wird in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung des
Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren untergebracht, eine Therapie findet nicht
statt. Monate vergehen, während er auf das Ergebnis des psychiatrischen
Gutachtens wartet, an dessen Erstellung er willig mitarbeitet. Am 2.
September kommt es zu einem Ausbruch. Er verlangt, einen Richter, einen
Staatsanwalt und einen Arabischdolmetscher zu sprechen. Er ist überzeugt,
das Gutachten werde absichtlich verzögert, die Ärzte arbeiteten mit der CIA
zusammen, seine medizinischen Daten würden an diese weitergeleitet. Er
spricht nur noch Arabisch. Bis zum Prozessbeginn wird er in eine
Justizvollzugsanstalt verlegt.
Am Ende der Verhandlung spricht Richter Götz Helms ein mildes Urteil. Er
macht deutlich, dass er die Entführung nach Afghanistan nicht nur für
glaubhaft hält, sondern auch für ursächlich für die Straftaten des
Angeklagten. Der kann zurück zu seiner Frau und seinen mittlerweile sechs
Kindern. Zurück in seine Isolation, seine Geldnot und seine Ängste.
Einmal fragt Verteidiger Gnjidic den psychiatrischen Gutachter, was
geschehen könnte, wenn sein Mandant weiter allein gelassen wird. "Es
besteht die Gefahr, dass hier eine wahnhafte Entwicklung stattfinden kann",
lautet die Antwort. Der Anwalt will wissen, ob El Masris Seele geholfen
worden wäre, wenn ihm die Bundesregierung irgendwann mal eine
Entschuldigung, irgendein Zeichen des Bedauerns, der Anteilnahme hätte
zukommen lassen. "Ja, sicher", sagt der Gutachter sichtlich erstaunt - als
sei es dumm, etwas anderes anzunehmen.
13 Dec 2007
## AUTOREN
Rüdiger Bässler
## TAGS
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
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