# taz.de -- Land der Superlative: Willkommen in Europa | |
> Unterwegs im schönsten Land der Welt, mit der tiefsten Schlucht, dem | |
> saubersten Wasser | |
Bild: Sauberstes Wasser in tiefster Schlucht: Durmitormassiv | |
Ich muss ihn hier Dragan nennen, denn mit seinem richtigen Namen bekäme er | |
sonst Schwierigkeiten. Dragan ist anerkannter Asylbewerber (AA) aus | |
Montenegro, einer von ganz wenigen, denen das Bundesamt für Flüchtlinge in | |
Nürnberg dieses Gütesiegel verpasste. Ich möchte nicht schuld daran sein | |
sein, dass ihm die strenge Behörde dieses Prädikat wieder entzieht. Deshalb | |
Dragan. | |
Dragan schwärmt mir schon seit drei Jahren von Montenegro vor. Schönstes | |
Land der Welt. Tiefste Schlucht Europas. Sauberstes Wasser auf dem Balkan. | |
Auf meinem Schreibtisch stapelten sich allmählich die Reisprospekte, die | |
Montenegro mal als "Perle am Mittelmeer" dann wieder als "Träne Europas" | |
priesen. Die Fotos waren wirklich eindrucksvoll, und so gab ich irgendwann | |
seinem Drängen nach und versprach: "Ja, okay, ich schau mir dein Land mal | |
an, aber nur mit dir zusammen." | |
Vor drei Wochen war es so weit. Dragan durfte als anerkannter Flüchtling | |
natürlich nicht offiziell einreisen in das Land, das ihn verfolgte. Das sei | |
aber kein wirkliches Problem für ihn, erklärte er mir: Er überquere die | |
Grenze mit einem Ruderboot von Bosnien aus, und wir träfen uns dann am | |
Flughafen von Podgorica. So heißt die Hauptstadt des jüngsten Staates von | |
Europa, eine gute letzte Frage für "Wer wird Millionär?". | |
Dragan stand dann tatsächlich da und winkte. | |
Fast eine Woche lang fuhren wir durch Montenegro, schönstes Land der Welt, | |
tiefste Schlucht Europas, sauberstes Wasser auf dem Balkan. Wir hatten | |
einen Wagen mit bosnischen Kennzeichen, Dragan besaß keinen Führerschein, | |
fuhr aber sehr professionell. Es war in den Tagen kurz vor dem Referendum, | |
in dem eine knappe Mehrheit der Montenegriner für die Unabhängigkeit | |
abstimmten und überall die Nationalflagge mit einem doppelköpfigen Adler | |
hing, der ängstlich in alle Richtungen blickte. | |
Den letzten Abend verbrachten wir in einer Diskothek in der Hauptstadt | |
Podgorica, deren Fußgängerzone mir etwas kleiner zu sein schien als die von | |
Metzingen (Württemberg). Die Stimmung am Vorabend der zu erwartenden | |
Unabhängigkeit war ausgelassen, die Mädchen tanzten, die Jungs schauten zu, | |
und aus den Lautsprechern dröhnten montenegrinische Lieder die alle, soweit | |
ich verstand, von der tiefsten Schlucht und dem saubersten Wasser | |
handelten. Dragan und ich tranken viele Gläser Gin Tonic und merkten erst | |
beim Verlassen der Diskothek gegen vier Uhr morgens, dass es wohl zu viele | |
waren. | |
Dragan fuhr in Richtung unseres Hotels, als uns ein Polizist mit rotem | |
Leuchtstab zum Anhalten aufforderte. "Wo kommt ihr her?" - "Aus der | |
Diskothek. Es hat meinem deutschen Freund dort sehr gefallen." - "Oh, das | |
freut mich. Gefällt ihm Montenegro?" Dragan übersetzte. "Oh ja, sagte ich. | |
Montenegro ist das schönste Land mit der tiefsten Schlucht und dem | |
saubersten Wasser auf dem Balkan", lallte ich. Der Polizist war inzwischen | |
neben der herunter gekurbelten Fahrerscheibe in die Knie gegangen und | |
hatte, um sich besser mit uns unterhalten zu können, seinen Leuchtstab | |
Dragan in den Schoß gelegt: "Und wie gefallen deinem deutschen Freund die | |
Mädchen in Montenegro?" Ich machte eine Geste mit zusammengepressten | |
Daumen, Mittel- und Zeigefinger und sagte: "Sie sind unbeschreiblich | |
schön." Der Polizist kramte sein Foto-Handy heraus und zeigte mir das Bild | |
seiner Frau. "Wirklich sehr hübsch", sagte ich, und Dragan übersetzte. "Es | |
ist nicht die Einzige, die ich habe", gab der Uniformierte an. An der Küste | |
und im Gebirge habe er noch Freundinnen, die seiner Frau an Form und Farbe | |
in nichts nachstünden. So redeten wir noch eine ganze Weile weiter, ein | |
zweiter Polizist wartete geduldig im Polizeiauto. "Kommt doch öfter hier | |
vorbei", bat der Polizist, "ich habe fast jede Nacht Schicht an dieser | |
Ausfallstraße", sagte er. "Machen wir", lallten wir - der Asylant ohne | |
Ausweise und Führerschein und ich. "Kommt gut heim!", wünschte uns der | |
Verkehrspolizist, nein, der freundlichste Verkehrspolizist der Welt im | |
schönsten Land der usw. usf. | |
27 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Philipp Mausshardt | |
## TAGS | |
Reiseland Montenegro | |
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