# taz.de -- Nachkriegsfilm auf DVD: Die privatisierte Schuld | |
> Peter Lorres Film noir "Der Verlorene" von 1951 handelt von falschen | |
> Erinnerungen im Nachkriegsdeutschland und vom | |
> Nicht-mehr-schweigen-können. | |
Bild: "M"-Darsteller Lorre war der Film "Der Verlorene" eine Herzensangelegenhe… | |
"Der Verlorene" von 1951 ist ein deutscher Film noir und mehr als das. Es | |
ist das einzige Regieprojekt des Schauspielers Peter Lorre, der als László | |
Loewenstein geboren, als Kindermörder in Fritz Langs frühem Tonfilm "M" zum | |
Star wurde. Der 1933 nicht nach Deutschland zurückkam, weil für zwei Mörder | |
wie ihn und Hitler, so schrieb er, nicht Platz sei in Deutschland. Der nach | |
Hollywood ging, dort als Mr. Moto reüssierte, unter Hitchcock spielte, im | |
"Malteser Falken", in "Casablanca" und vielen weiteren Filmen. Der sein | |
Geld in eine Produktionsfirma investierte, weil er selbst Regie führen | |
wollte. Als die Firma in Konkurs ging, musste Lorre seine Villa in | |
Kalifornien verkaufen. | |
Der Krieg war vorbei, er ging auf Lesetourneen in Europa, er ließ sich in | |
einem Sanatorium in Garmisch-Partenkirchen von seiner Morphiumsucht | |
kurieren, lehnte Brechts Angebot ab, Star am Berliner Ensemble zu werden, | |
und drehte schließlich mit dem Produzenten Arnold Pressburger "Der | |
Verlorene" - ein Film noir und ein Herzensprojekt. Und ein kommerzielles | |
Desaster. | |
Die Geschichte, die Lorre selber schrieb, gemeinsam mit dem Journalisten | |
Axel Eggebrecht und dem Franzosen Benno Vigny, rührte an alles, was man in | |
Deutschland gerne vergessen hätte, den Krieg, die Schuld, die Nazis. Es ist | |
die Geschichte des Arztes Dr. Karl Rothe (Peter Lorre), der in der | |
Erzählgegenwart unter dem angenommenen Namen Neumeister als Arzt in einem | |
deutschen Umsiedlerlager arbeitet. Dort trifft er auf einen Mann (Karl | |
John), der früher Hoesch hieß und sich jetzt Nowak nennt, der unter den | |
Nazis bei der Gestapo war. Die beiden erkennen einander, und Rothe will auf | |
Hoeschs Vorschlag, übers Vergangene zu schweigen, nicht eingehen. Also | |
erinnert er sich und redet und hört nicht mehr auf zu reden, bis alles | |
erzählt, bis alle Schuld benannt und mit allem, das unbeendet war, ein Ende | |
gemacht ist. In Rückblenden wird gezeigt, was Neumeister und Nowak als | |
Rothe und Hoesch verband. | |
Es ist das Jahr 1943. Rothe arbeitet an Tierexperimenten, deren Ergebnisse | |
seine junge Verlobte Irene (Renate Mannhardt) an die Engländer verrät. Das | |
erfährt Rothe von Hoesch. Schlimmer noch: Irene habe, um Schonung zu | |
erwirken, mit Hoesch geschlafen. Rothe kommt nach Hause zurück und spricht | |
kein Wort. In einer Art Trance erwürgt er Irene, der Film zeigt es nicht. | |
Mehrfach wird die Leinwand schwarz, wenn Lorres Körper, der Kamera sich | |
nähernd, sie voll und ganz füllt. Diese Bildentsprechung des Redenmüssens | |
über ein Schweigen, des Nicht-mehr-schweigen-Könnens, ist auch ein ins | |
Schwarze blendendes Wissen darum, dass auch das Zeigen ein Ding der | |
Unmöglichkeit sein kann. Hinterher sieht sich Rothe im Spiegel, fährt sich | |
mit der Hand übers Gesicht: Es ist blutverschmiert. | |
Die Tat wird von den Nazis vertuscht und ein weiterer Mord bleibt ebenfalls | |
ungesühnt. Eher unerwartet wechselt der Film ins Triebtäter-Register, | |
unverkennbar schiebt sich Lorres Rolle aus "M" über die zunächst rein | |
politisch motivierte Geschichte. Man kann gar nicht anders, als darin eine | |
Deck-Erinnerung zu sehen, eine Ersetzung der Schuld der ganzen Gesellschaft | |
durch eine privatisierte Schuld. Das Erstaunliche an Lorres Film, auch an | |
seiner grandiosen Darstellung der gequälten Täterfigur, ist es, dass diese | |
Psychologisierung nicht im mindesten als Verleugnung oder gar | |
Entschuldigung erscheint. Eher als Intensivierung der Ausweglosigkeit, der | |
auch die filmischen Mittel zuarbeiten. Die Erinnerung ist in starke | |
Licht-und-Schatten-Kontraste getaucht, ebenso scharf werden die | |
Gewissenlosigkeit des Gestapomanns Hoesch und seine fröhliche | |
Nachkriegswiederauferstehung gegeneinander gestellt. Die Diagnose, die "Der | |
Verlorene" seinen Figuren und damit auch Deutschland stellt, könnte klarer | |
nicht sein: Mit dieser Vergangenheit lässt sich nicht leben. | |
Die Arthaus-Edition wird der Bedeutung dieses in vieler Hinsicht | |
einzigartigen Films gerecht. Sie bietet neben einer exzellent anzusehenden | |
Digitalfassung auf einer Extra-DVD Harun Farockis klugen Filmessay "Peter | |
Lorre - Das doppelte Gesicht" und Robert Fischers sehr informative | |
Dokumentation "Displaced Person - Die Entstehung von Peter Lorres Film", in | |
der neben dem Filmemacher Romuald Karmakar unter anderen auch die | |
Nebendarstellerin Gisela Trowe zu Wort kommt. | |
2 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
## TAGS | |
Deutscher Film | |
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