Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tod eines Asylbewerbers: In Dessau gilt die Omertà
> Wie starb Oury Jalloh? In 34 Verhandlungstagen ist man der Antwort darauf
> nicht näher gekommen. Anwälte werfen der Polizei Falschaussagen vor.
Bild: Der Tod Oury Jallohs zog zahlreiche Demonstrationen nach sich
DESSAU UND BERLIN taz "Die Beamten weichen aus, lügen, antworten nicht."
Ein düsteres Bild vom Verlauf des Prozesses um den Tod des Asylbewerbers
Oury Jalloh zeichnen Anwälte nach 34 Verhandlungstagen. "Den Polizeizeugen
geht es nicht um Wahrheitsfindung. Und Zeugen außerhalb des
Polizeiapparates gibt es nicht", sagt die Berliner Anwältin Regina Götz,
die Jallohs Eltern vor Gericht vertritt.
Seit dem 27. März läuft vor dem Landgericht Dessau die Verhandlung gegen
zwei Polizisten. Dem Dienstgruppenleiter Andreas S. wirft die
Staatsanwaltschaft "gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge" vor. Er
soll den Alarm des Feuermelders zweimal abgestellt und erst beim dritten
Mal versucht haben, Jalloh zu helfen. Der Beamte Hans-Ulrich M. wird der
"fahrlässigen Tötung" beschuldigt. Er habe bei der Durchsuchung Jallohs in
dessen Hosentasche ein Feuerzeug übersehen. Damit, so die These der
Staatsanwaltschaft, habe der schwer alkoholisierte und fixierte Gefangene
die mit feuerfestem Stoff bezogene Matratze selbst in Brand gesteckt.
Für die Rechtsanwältin Götze weist diese Version "viele Unstimmigkeiten"
auf. Doch diese aufzuklären sei schwierig: "Aus falscher Solidarität bauen
die Polizisten eine Mauer des Schweigens auf." Tatsächlich hat die
Hauptbelastungszeugin, die Polizeibeamtin Beate H., die in ihrer ersten
Zeugenaussage Andreas S. belastet hatte, ihre Aussage später widerrufen -
auf Druck der Kollegen, wie Götze mutmaßt. Stattdessen bestätigte der
stellvertretende Revierleiter die Behauptung des Angeklagten S.,
unverzüglich dem Feueralarm nachgegangen zu sein. "Dabei ist mittlerweile
zweifelsfrei erwiesen, dass S. erst beim dritten Anspringen auf den Alarm
reagiert hat", sagt Götz. Besonders erbost ist sie darüber, dass es bisher
kein Ermittlungsverfahren wegen Falschaussage gegen die Beamten gab. "Gäbe
es Sanktionen, hätten wir mit Sicherheit eine andere Erkenntnislage", meint
ihr Kollege Felix Isensee. Dabei hatte der Vorsitzende Richter Manfred
Steinhoff zwischenzeitlich selbst die Nase voll von den offensichtlichen
Lügen der Polizisten: "Der Beamte, der hier falsch ausgesagt hat, muss ans
Kreuz genagelt werden", empörte er sich am 10. Prozesstag.
Laut Götz weist das Verfahren gravierende Mängel auf. So seien nur noch
wenige Minuten von einer wichtigen Videoaufzeichnung der Spurensicherung
auffindbar. Das für die Verwahrung zuständige Landeskriminalamt
Sachsen-Anhalt habe behauptet, die Kamera könnte sich "möglicherweise
selbst ausgestellt haben". Auch sei nur ein kleiner Teil der zum Zeitpunkt
des Brandes im Polizeigebäude anwesenden Beamten frühzeitig vernommen
worden. Die meisten hätten erst vor Gericht ausgesagt - mehr als zwei Jahre
nach Jallohs Tod. "Diese Zeugen sind in der Zwischenzeit alle beeinflusst
worden," ist sich Götz sicher.
Ein "ganz heißes Thema" sei ein angeblich in der Zelle gefundenes
Feuerzeug. Dies war jedoch in der ersten Asservatenliste nicht aufgeführt.
Erst Tage nach dem Brand tauchten seine Reste auf einer zweiten
Asservatenliste auf. "Wir wissen noch immer nicht, wie dieses Feuerzeug
genau gefunden worden sein soll", sagt Götz - zumal der Angeklagte
Hans-Ulrich M. ausgesagt hat, dass er bei Jallohs Durchsuchung "mit
Sicherheit" ein Feuerzeug entdeckt hätte.
15 weitere Prozesstermine sind bis Ende Februar angesetzt. Bisher wurde
weder der medizinische Sachverständige noch der Brandgutachter gehört.
Antirassistische Initiativen versprechen sich davon nicht viel. Auf zwei
Konferenzen, die sie am Wochenende aus Anlass des Todestags von Jalloh in
Berlin beziehungsweise Dessau veranstalteten, erhoben sie schwere Vorwürfe
gegen die Ermittlungsbehörden. So kritisierten Vertreter afrikanischer
Organisationen auf einem Hearing im Berliner Mehringhof die Selbstmordthese
der Staatsanwaltschaft. "Wir haben viele Erfahrungen im Umgang der Polizei
mit farbigen Menschen. Immer wieder kommen Afrikaner durch Polizeigewalt zu
Tode. Wenn jemand unter Umständen wie Oury Jalloh verbrennt, dann glauben
wir, dass es Mord war. Und zwar so lange, bis uns jemand das Gegenteil
beweist", sagte ein Sprecher des Afrika-Rates Berlin.
Eine Teilnehmerin verlas Passagen eines Artikels des US-amerikanischen
Aktivisten Mumia Abu-Jamal zu Jalloh. "Wie kann die Polizei behaupten, dass
jemand, der völlig gefesselt in einer Zelle liegt, sich selber angezündet
hat?" In der Abschlusserklärung der "Black Africa Conference" verlangten
die Unterzeichner, die Anklage auf Mord zu ändern.
7 Jan 2008
## AUTOREN
Christian Jakob
## ARTIKEL ZUM THEMA
BGH zum Oury-Jalloh-Feuertod: Freispruch könnte aufgehoben werden
Vermutlich muss der Oury-Jalloh-Prozess wiederholt werden. Die
BGH-Richterin sieht eine lückenhafte Beweiswürdigung beim Freispruch für
einen Polizisten.
Hassfigur der Dessauer Behörden: "Große charakterliche Mängel"
Mouctar Bah hatte den Tod von Oury Jalloh bekannt gemacht. Seither wird er
von den Dessauer Behörden schikaniert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.