Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Eine Kulturgeschichte: Comeback vor Gericht
> Die Ex-Tempodrom-Chefin Irene Moessinger steht heute wegen Untreue vor
> Gericht. Betrugsvorwürfe gegen sie wurden fallen gelassen. Nun wird ihr
> vorgeworfen, sich zu viel Salär gegönnt zu haben
Bild: Irene Moessinger und ihr Betonzelt
Irene Moessinger hat wieder einen Auftritt - den ersten seit 2005. Es wird,
wie zu ihren besten Zeiten auf und hinter der Bühne des Tempodroms, eine
sicherlich lebhafte Veranstaltung werden. Denn der Ort für die Performance
ist das Moabiter Kriminalgericht. Moessinger und ihr Geschäftspartner
Norbert Waehl stehen dort ab heute vor dem Kadi. Auch wenn die
Staatsanwaltschaft die wirklich dicken Anklagepunkte, darunter
Subventionsbetrug, gegen Moessinger fallen ließ, schwingt doch die Pleite
des berühmten Kulturzelts samt Aufstieg und Fall der einstigen
Tempodrom-Chefin im Gerichtssaal mit. Ganz zu schweigen vom Rücktritt des
Berliner SPD-Vorstands und Stadtentwicklungssenators Peter Strieder, der
dem Bau am Anhalter Bahnhof besonders zugetan war.
Angeklagt sind Irene Moessinger und Waehl der mutmaßlichen Untreue in
mehreren Fällen. Die Tempodrom-Macher sollen sich laut Iris Berger,
Sprecherin des Gerichts, danach selbst mehrfach "unangemessen hohe
Gehälter" aus der Kasse der Geschäftsführung gegönnt haben. So sei ihre
Vergütung von rund 6.100 Mark monatlich im Jahr 1999 auf über 20.000 Mark
zwei Jahre später gestiegen, wodurch womöglich Mittel der Stiftung Neues
Tempodrom veruntreut worden sind.
Hinzu kommen nach Angaben des Gerichts Fälle ungeklärter Kostenrechnungen,
die statt von den Betreibergesellschaften von den beiden
Tempodrom-Vorständen eigenhändig - und damit zum Schaden der Stiftung Neues
Tempodrom - in Höhe von 26.000 Mark beglichen worden sein sollen. Die
Hauptakteure Moessinger und Kompagnon Waehl haben die Vorwürfe stets
bestritten und die Anschuldigungen zurückgewiesen.
Eine Bereicherung, so der Anwalt Moessingers, Peter Zuriel, habe nicht
stattgefunden. Die Berechnungen des Salärs, wie die Staatsanwaltschaft sie
angestellt habe und daraus eine Veruntreuung ableite, seien "völlig
falsch".
Dass von einem möglichen Großprozess um Subventionsbetrug, schwere Untreue
und weiteren drei Fällen mit Unregelmäßigkeiten - den die
Staatsanwaltschaft im Visier hatte - eine Anklage wegen Veruntreuung von
ein paar tausend Tempodrom-Märkern übrig blieb, mag die Angeklagten
erleichtern. Dennoch rückt selbst bei dieser juristischen Dimension ein
anderes Mal die Skandalgeschichte um Moessinger und das Kulturprojekt ins
Rampenlicht. Eine Skandalgeschichte - für das der Name Tempodrom am
Anhalter Bahnhof heute in Berlin synonym steht.
Es gibt Meinungen, die besagen, das Ende des Tempodroms habe schon 1992 mit
dem Umzug des alternativen Zirkuszelts aus dem Tiergarten begonnen. Damals
war das Tempodrom durch den Neubau des Kanzleramts verdrängt worden.
Moessinger erhielt eine ansehnliche Entschädigungssumme für die
Zwangsumsiedlung.
Sicher ist, dass der Anfang vom Ende des neuen Tempodroms sich an
Moessingers groß angelegten Plänen festmachen lässt, eine Arena in
Millionenhöhe zu errichten. Mit Hilfe des damaligen Bürgermeisters von
Kreuzberg und späteren SPD-Stadtentwicklungssenators Strieder gelang es
1995, eine Fläche für den Neubau auf dem Gelände des ehemaligen Anhalter
Bahnhofs zu ergattern. Architekten wurden zu Bauwettbewerben geladen.
Ausgewählt wurde ein Entwurf aus dem Hause des Hamburger Stararchitekten
Meinhard von Gerkan für ein Gebäude mit der weithin sichtbaren gezackten
Betonkrone. 16 Millionen Euro sollte der Neubau kosten. Moessinger
avancierte zu einer gefragten Kultfrau in der hippen Berliner Szene.
2001 wendete sich das Blatt. Als das Betonzelt im gleichen Jahr fertig
gestellt und bezogen wurde, waren die Kosten auf 33 Millionen Euro
angewachsen. Heraus kam auch, dass das zum hauptstädtischen Prestigeobjekt
gesteigerte Tempodrom längst nicht aus mehrheitlich privaten - wie von
Moessinger behauptet -, sondern überwiegend mit öffentlichen Geldern und
über Bürgschaften der Landesbank finanziert worden war. Wegen der
zweifelhaften Finanzspritzen des Landes zuletzt in Höhe von rund 1,7
Millionen Euro gerieten Peter Strieder und SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin
in den Verdacht der Untreue. Ein Prozess gegen beide wurde fallen gelassen,
weil die Richter keinen hinreichenden Tatverdacht bei den Politikern sahen.
Dennoch trat Strieder im April 2004 als Senator und SPD-Landeschef infolge
der Tempodrom-Affäre und seiner politischen Mitverantwortung und starken
Unterstützung des Bauvorhabens zurück. Ein parlamentarischer
Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses kam 2006 zu einem erweiterten
Ergebnis: Schuld an dem finanziell außer Kontrolle geratenen Bauwerk trügen
die Bauherren, Banken sowie Verantwortliche quer durch fast alle
politischen Lager.
2002 war das Tempodrom fast pleite und meldete schließlich Insolvenz an.
Moessinger hoffte, dass das Land Berlin ihr den Betrieb überlassen würde.
Vergebens. Das Land übergab die Immobilie einem Insolvenzverwalter und
suchte einen neuen Investor. Den gibt es bis dato nicht. Eine
Veranstaltungsfirma organisiert Konzerte, Bühnenshows oder Kongresse im
Tempodrom.
2005 wurde Irene Moessinger ihren Job endgültig los. Sie wurde aus dem
Geschäft gedrängt, die Ära der legendären rothaarigen Tempodrom-Chefin, die
1980 mit einem Zirkuszelt auf dem Potsdamer Platz das Tempodrom begründete,
war vorbei.
Ein echtes Comeback ist ihr Auftritt heute darum nicht.
8 Jan 2008
## AUTOREN
Rolf Lautenschläger
## TAGS
Hausbesetzer
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tempodrom-Gründerin Irene Moessinger: „Ich neige wenig zur Drama-Queen“
Bei der Tempodrom-Affäre wurde ihr Veruntreuung vorgeworfen. Das kränkte
sie. Jammern aber will Irene Moessinger nicht, auch nicht in ihrer
Autobiografie.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.