# taz.de -- Maßnahmen gegen Jugendkriminalität: "Viele Maßnahmen sind nutzlo… | |
> Harte Strafen machen Jugendliche noch gewalttätiger, sagt die | |
> Gefängnisforscherin Daniela Hosser. Aber auch viele derzeitige Therapien | |
> seien nutzlos. | |
Bild: Verantwortung, Sport und eine Ausbildung senken die Rückvollquote gewalt… | |
taz: Frau Hosser, nicht nur die CDU, sondern auch die SPD will jetzt eine | |
härtere Gangart gegen gewalttätige Jugendliche. Lernen die tatsächlich, | |
sich besser zu benehmen, wenn sie länger im Gefängnis sind? | |
Daniela Hosser: Nein, überhaupt nicht. Wir untersuchen seit mehr als zehn | |
Jahren die Auswirkungen der Haft auf junge Männer in vier Bundesländern. | |
Wir befragen dafür Straftäter an sämtlichen Jugendhaftanstalten in | |
Niedersachsen und Sachsen-Anhalt und in einigen Gefängnissen in Bremen und | |
Hamburg. Dabei ist klar geworden, dass längere Strafen nicht zu einer | |
positiven Veränderung des Verhaltens führen. Eher das Gegenteil ist der | |
Fall: Je repressiver die Anstalten, desto eher schließen sich die | |
Inhaftierten in einer Subkultur zusammen. Sie lehnen die Regeln der | |
Mehrheitsgesellschaft noch mehr ab, werden gewalttätiger und damit sehr | |
viel anfälliger für Rückfälle. | |
Die Alternative sind dann Antigewalttrainings und andere pädagogische | |
Maßnahmen, die aber offenbar nichts nutzen, wenn man sich die hohen | |
Rückfallquoten von bis zu 80 Prozent anschaut. | |
Eine recht schlichte Sichtweise. Strukturierte Verhaltenstrainings wie | |
einige Antigewalttrainings und Sozialtherapie sind effektiv. Derzeit gibt | |
es dafür allerdings kaum Behandlungsplätze obwohl seit Jahren etwa die | |
Hälfte aller jugendlichen Häftlinge wegen Gewaltdelikten einsitzen. Anhand | |
der Gewalttrainings lässt sich gut illustrieren, was im Jugendstrafvollzug | |
schiefläuft. | |
Und das wäre? | |
Es gibt in den Gefängnissen eine Menge von Einzelmaßnahmen wie | |
Schuldnerberatung oder soziale Trainings, aber selten werden sie durch | |
sinnvolle Konzepte verknüpft. Und von vielen Maßnahmen wissen wir, dass sie | |
nutzlos sind. | |
Warum? | |
Sie haben nicht das Gesamtverhalten der Täter im Blick, sondern nur | |
isolierte Problemausschnitte, und setzen daher falsch an. Diese Beratungen | |
oder Trainings sind außerdem nicht intensiv genug. Da treffen sich die | |
Häftlinge einmal in der Woche. Davon bleibt nichts hängen. | |
Was würden Sie als Gefängnisdirektorin ändern? | |
Internationale Studien zeigen, dass sich bei intensiver Betreuung | |
jugendlicher Straftäter die Rückfallquote um bis zu 30 Prozent senken | |
lässt. Also würde ich verstärkt auf Behandlung und Wohngruppenvollzug | |
setzen. Die Häftlinge sitzen immer noch in Einzelzellen, haben aber | |
Gemeinschaftsräume, in denen sie lernen, ihren Alltag zu organisieren und | |
Verantwortung zu übernehmen. Wer macht sauber? Wer kocht? - Solche Fragen | |
müssen da geklärt werden. Dazu viel Sport und eine Ausbildung mit | |
Perspektive. Idealerweise würden die Jugendlichen auch nach der Haft noch | |
ein, zwei Jahre weiterbetreut und bekämen einen Job vermittelt. Arbeit | |
senkt die Rückfallquote nämlich enorm. | |
Und wie soll das bezahlt werden? | |
Kosten-Nutzen-Analysen aus den USA zeigen, dass ein solcher Strafvollzug | |
billiger wäre als das derzeitige Modell. Wenn man immer mehr Jugendliche | |
einsperren muss, dann kostet das sehr viel Geld. Zusätzliche Kosten | |
entstehen noch durch die Gerichtsverfahren, das Leiden der Opfer ist hier | |
noch gar nicht einkalkuliert. Im Übrigen bin ich nicht dafür, immer gleich | |
nach mehr Geld zu rufen. Wenn die Gefängnisse die erwiesenermaßen nutzlosen | |
Maßnahmen streichen würden, dann gäbe es Ressourcen für Effektiveres. | |
Seit 2007 sind die Länder für den Jugendstrafvollzug zuständig. Kritiker | |
fürchten, dass besonders bei den pädagogischen Maßnahmen gestrichen wird. | |
Haben sie recht? | |
Bis Ende des Jahres mussten die Bundesländer neue Gesetze für den | |
Jugendstrafvollzug erlassen. Und richtig: Die Gefahr besteht, dass | |
Behandlung im Strafvollzug jetzt eher nach Haushaltslage oder politischer | |
Großwetterlage erfolgt. Ein Paradebeispiel für Letzteres ist, dass einige | |
Ländergesetze sehr restriktive Regelungen sowohl für den offenen Vollzug | |
als auch für Vollzugslockerungen vorsehen. Dabei wissen wir doch, wie | |
wichtig es für die Gefangenen ist, das in der Haft Erlernte auch in der | |
realen Welt erproben zu können. Dabei müssen sie aber engmaschig betreut | |
und begleitet werden. Es würde den Einstieg ins normale Leben sicherlich | |
erleichtern, wenn die Möglichkeit zu offeneren Vollzugsformen bestünde. | |
Sind Sie im Gefängnis eigentlich auf die berüchtigte 68er-Kuschelpädagogik | |
gestoßen? | |
Ich weiß gar nicht, was das sein soll. Diesen Begriff definiert auch | |
niemand, wahrscheinlich würde er sonst nicht mehr so schön als Kampfvokabel | |
taugen. Wer ihn benutzt, sollte sich allerdings an den Mord im Gefängnis | |
von Siegburg erinnern und zumindest versuchen zu begreifen, dass | |
Gefängnisse Orte der Repression und leider oft auch der Gewalt sind. Daran | |
haben auch die 68er nichts geändert. | |
10 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
Daniel Schulz | |
## TAGS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gefängnis für Jugendliche: Amin ist wieder da | |
Unser Autor arbeitete als Abteilungsleiter in der JVA Adelsheim. Immer | |
wieder begegnete ihm dort Amin. Kann jungen Männern so geholfen werden? |