# taz.de -- Autor de Luca über Neapels Müllkrise: "Prodi ist Komplize der Ink… | |
> Die Müllkrise zeigt, woran Italien krankt. Politiker ignorieren, wenn die | |
> Gesundheit der Bevölkerung Schaden nimmt und machen mit der Mafia | |
> Geschäfte, so der Schriftsteller Erri de Luca. | |
Bild: Anwohner räumen ihre Straße in Neapel frei. | |
taz: Herr De Luca, Ministerpräsident Prodi hat zur Müllkrise von Neapel | |
erklärt, er werde jetzt das Problem "ein für alle Mal" lösen? Glauben Sie | |
das? | |
Erri De Luca: Nein, ich glaube ihm nicht, ich glaube ihnen allen nicht. Das | |
beginnt beim angeblichen "Notstand". Ein wirklicher Notstand in Neapel ist, | |
wenn eine Epidemie oder wenn der Vulkan ausbricht. Die Abfuhr des Mülls ist | |
nie und nimmer ein Notstand, sondern Verwaltungsalltag. Wenn eine | |
politische Klasse einen gewöhnlichen Akt wie die Müllabfuhr in den Rang | |
eines Notstandes erhebt, erklärt sie bloß ihre totale Inkompetenz. Prodi | |
ist Komplize dieser allgemeinen Inkompetenz. | |
Wieso das? | |
Weil er einer Regierung vorsteht, die einfach nichts getan hat in diesen | |
Jahren, das macht ihn zum Komplizen, zusammen mit den in Neapel vor Ort | |
Regierenden und mit der Vorgängerregierung in Rom. Seit 15 Jahren kann die | |
Camorra ungestört ihre Geschäfte mit dem Müll machen. | |
Jetzt wurde doch aber sogar das Militär geschickt, um die Müllberge | |
wegzuräumen. Ein bloß symbolischer Akt? | |
Keineswegs. Das Heer hat hervorragendes Gerät für die Räumarbeiten, und es | |
ist gut, dass die zum Einsatz kommen. Das Problem ist nur: Es schafft den | |
Müll einfach von einer Stelle zu einer anderen, wo er provisorisch | |
zwischengelagert wird. Es kann die Straßen freimachen, nicht aber den Müll | |
wirklich beseitigen. | |
Die Medien machen die Bürger Neapels und Kampaniens als Hauptschuldige aus, | |
weil sie sich zum Beispiel gegen neue Deponien wehren wie jetzt in Pianura | |
vor den Toren Neapels. Ein korrekter Befund? | |
Nehmen wir das Beispiel Pianura, da gibt es eine vor zehn Jahren | |
geschlossene riesige Deponie, die 40 Jahre lang in Betrieb war - und | |
zugleich gibt es weit überdurchschnittliche Krebsraten. Jetzt soll die | |
Deponie wieder geöffnet werden; die Menschen reagieren darauf mit reiner | |
Notwehr. Das hat nichts mit mangelnder Verantwortlichkeit der Bürger zu | |
tun, sondern allein mit der Verantwortungslosigkeit der Politiker. Solange | |
es um Arbeitslosigkeit oder schlecht funktionierende Schulen geht, haben | |
die Bürger Geduld, nicht aber, wenn es um ihre Gesundheit geht. Der Staat | |
weiß nicht einmal die Volksgesundheit zu verteidigen, das ist unser Drama. | |
Gilt das auch, wenn die Bürger gegen Müllverbrennungsanlagen Front machen? | |
Ich frage mich, warum die Politiker nicht den Weg gehen, solche Lösungen | |
attraktiv zu machen, statt sie als Strafe erscheinen zu lassen. Warum gibt | |
es keine Anreize, um die nötige Akzeptanz für eine solche Anlage zu | |
schaffen? Steuervorteile oder ein neues Krankenhaus - dann würden die | |
Kommunen Schlange stehen. | |
Warum kommt es nicht zu solchen Versuchen? Was funktioniert nicht im | |
Verhältnis zwischen Politikern und Bürgern? | |
Von einem Verhältnis zwischen Politikern und Bürgern können wir gar nicht | |
mehr reden. An seiner Stelle finden wir das Verhältnis zwischen Satrapen | |
und ihren Untertanen. | |
Sie reden von Süditalien. | |
Nein, ich rede von ganz Italien. Denken wir an den Konflikt um die | |
Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke im Susa-Tal bei Turin. Da rebellierte | |
die gesamte Bevölkerung, nicht weil sie gegen eine neue Eisenbahnstrecke | |
war, sondern weil da ein Berg durchbohrt werden sollte, der voller Asbest | |
war. Auch da erlebten wir eine reine Notwehrhandlung. Unser Notstand ist | |
heute: Die Bevölkerung setzt sich immer dann in Bewegung, wenn es um ihre | |
Gesundheit geht, die von einer Politik aufs Spiel gesetzt wird, die bloß an | |
Geschäfte denkt. | |
Wenn man in Neapel über Geschäfte redet, ist die Camorra nicht weit. Aber | |
die seit 14 Jahren amtierenden Müllkommissare hatten doch die Hauptaufgabe, | |
die Camorra aus dem Müll-Business rauszuhalten. | |
Das haben sie einfach nicht geschafft. Die staatlichen Stellen machen vor | |
Ort weiter Geschäfte mit der Camorra. Auch die Müllkommissare haben sich | |
immer an die Unternehmen vor Ort gewandt, beginnend bei den Firmen, die in | |
Camorra-Geruch stehen. Die Regierung müsste einen drastischen Kurswechsel | |
vornehmen, sie sollte etwa den Schriftsteller Roberto Saviano zum | |
Müllkommissar ernennen, der wüsste, was zu tun ist. | |
Sie machen die Politiker durch die Bank verantwortlich. Gibt es gar keinen | |
Unterschied zwischen rechts und links? | |
Nein, sobald es um Geschäfte geht, handeln sie gleich. | |
Sie sagen, die Lösung des Müll-Problems könne nur von den Bürgern kommen. | |
Was meinten Sie damit? | |
Ich meine, dass ihre Geduld zur Neige geht. Die Bürger Neapels sind | |
unendlich geduldig. Aber in ihrer Geschichte hat diese Stadt auch immer | |
wieder heftige Revolten erlebt, als Zeichen, dass die Geduld zu Ende war. | |
Ich denke, dass eine neue Revolte auch zur Geburt einer neuen politischen | |
Klasse beitragen kann. | |
INTERVIEW: MICHAEL BRAUN | |
22 Jan 2008 | |
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Italien | |
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