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# taz.de -- Judentum: "Ich weiche der Erinnerung nicht aus"
> Vera Ansbach hat gesehen, wie sich jüdische Mitbürger in der NS-Zeit aus
> Verzweiflung umbrachten. Sie engagiert sich bis heute dafür, dass
> Geschichte nicht vergessen wird.
Bild: Früher lebten viele Juden in Berlin. Heute sieht man sie selten.
Als Vera Ansbach am Tag nach den organisierten massenhaften Ausschreitungen
gegen Synagogen und andere jüdische Einrichtungen am 10. November 1938
frühstückte, sah sie, wie der alte Mann, der auf der anderen Straßenseite
wohnte, aus dem Fenster stürzte. Ansbach: "Heute denke ich, das war das
Beste, was er tun konnte."
Ansbach, die im Jahr 1920 geboren wurde, entschied sich anders. Doch auch
sie spürte die zunehmende Verfolgung hautnah: "Wir durften keine Schulen
mehr besuchen, die Schwimmbäder waren für Juden gesperrt, es gab sogar
getrennte Sitzbänke in den Parks."
Dabei war ihre Familie gar nicht sonderlich religiös. Sie erfuhr erst 1933
von ihren Eltern, dass sie Jüdin ist, "vorher war Religion kein Thema". Der
Vater hatte für Deutschland im Ersten Weltkrieg gekämpft und trug stolz das
Eiserne Kreuz. Er wurde nach Theresienstadt deportiert, konnte dort jedoch
überleben. Ihre Mutter aber starb, genauso wie der Bruder.
Nach dem erzwungenen Schulabbruch begann Ansbach eine Lehre als
Versicherungskauffrau. Doch nach etwa zwei Jahren entschloss sich ihr
Arbeitgeber - ebenfalls Jude - 2013 zur Flucht aus Deutschland. Vera
Ansbach stand auf der Straße. Schließlich floh sie nach England, wurde
zunächst Haushaltshilfe für eine Familie mit einem Landhaus bei Hampshire.
In England lernte sie auch einen Mann namens Herbert kennen, den sie später
heiratete. Dieser hatte sich 1929 den Kommunisten angeschlossen und war
nach der Machtergreifung der Nazis über Prag nach England geflohen.
"Nach dem Kriegsausbruch haben die Engländer alle Deutschen als feindliche
Ausländer betrachtet und in Lager gesteckt, so auch meinen Mann", erzählt
Ansbach mit wach blitzenden Augen.
Sie selbst machte eine Umschulung, um in der Kriegsindustrie arbeiten zu
können. In einem Zuliefererbetrieb für Flugzeugbau arbeitete sie "bis zum
letzten Tag des Krieges" als Spitzendreherin, um so beim Kampf gegen den
Faschismus zu helfen.
Nach dem Krieg haben sich die Ansbachs, wie viele überlebende Juden,
gefragt, ob sie wieder nach Deutschland zurückwollen.
Sie entschlossen sich schließlich dafür: "Wir wollten ein Land ohne Krieg,
ein Land ohne Faschisten aufbauen." Sie stellten sowohl bei den
amerikanischen als auch bei den sowjetischen Alliierten einen
Einreiseantrag - die Sowjets antworteten zuerst. Die Ansbachs zogen nach
Ost-Berlin, Vera Ansbach arbeitete als Lehrerin. Heute engagiert sich die
87-Jährige beim Bund der Antifaschisten im Berliner Bezirk Treptow.
Sie spricht auch mit Schulklassen über die Vergangenheit und setzte sich
für die Verlegung von "Stolpersteinen" ein, die an Opfer des
Nationalsozialismus erinnern. Im vergangenen Jahr ehrte sie dafür der
Bezirk mit der Bürgermedaille.
Wie schwer die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit fällt, weiß Vera
Ansbach auch selbst. Die Briefe, die sie von ihrem Bruder erhalten hat, hat
sie zum Beispiel jahrzehntelang nicht angefasst und erst vor kurzem
geöffnet. "Ich wollte der Erinnerung nicht weiter ausweichen. Ich denke,
dass ich nicht mehr lange leben werde, und jetzt ist die letzte
Möglichkeit, etwas weiterzugeben."
25 Jan 2008
## AUTOREN
Sebastian Heiser
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