# taz.de -- Gender-Budgeting hilft Frauen: Weibliche Finanzspritze | |
> Frauen können von gezielten Hilfsmaßnahmen im Arbeitsmarkt profitieren. | |
> Wie zum Beispiel in Österreich. Dort rutschen sie nicht mehr so schnell | |
> in prekäre Arbeitsverhältnisse. | |
Bild: Wie Politik funktioniert: Angela Merkels Handtasche, darin Puderdose und … | |
In Österreich hatte eine Analyse der Arbeitsmarktpolitik ergeben, dass dort | |
Frauen seltener als Männer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilnahmen. | |
Frauen fanden keine oder nur prekäre Teilzeitjobs. Männer hingegen konnten | |
durchaus von der Arbeitsmarktpolitik profitieren. Das muss anders laufen, | |
fanden daraufhin die Politiker. Heute gehen 50 Prozent der Mittel an | |
Frauen. Begründet wurde dieser Schritt nicht nur mit internationalen | |
Gleichstellungsverpflichtungen, sondern auch mit einer höheren Effizienz | |
der Arbeitsmarktpolitik. | |
Denn Frauen werden heute in Österreich durch arbeitsmarktpolitische | |
Maßnahmen nicht mehr so schnell in prekäre Arbeitsverhältnisse abgedrängt. | |
Sie finden aufgrund ihrer besseren Qualifikation feste Jobs in Vollzeit. | |
Und das rechnet sich auch für den Staat. Zum einen beseitigt er auf diese | |
Weise den Fachkräftemangel, zum anderen profitiert er durch zusätzliche | |
Steuereinnahmen. "Das ist letztlich nachhaltige und effiziente | |
Arbeitsmarktpolitik", findet die Berliner Gender-Expertin Regina Frey. Und | |
es ist ein gutes Beispiel für praktiziertes Gender-Budgeting. | |
Verwaltungen können Gleichstellung mithilfe ihrer Haushaltspolitik | |
befördern. Und sie können darauf achten, dass bei der Verteilung der | |
Ressource Geld Frauen und Männer gleichermaßen profitieren. Das ist die | |
zentrale Idee der internationalen Strategie des Gender-Budgetings, die 1995 | |
bei der Frauenkonferenz in Peking erdacht wurde. Um dieses Gender-Budgeting | |
auf Bundesebene umzusetzen, wurde in Österreich im August 2007 eine | |
Änderung des Bundesverfassungsgesetzes eingebracht. Künftig heißt es in | |
diesem Gesetz: "Bund, Länder und Gemeinden haben bei ihrer Haushaltsführung | |
die Grundsätze des Gender Budgeting zu berücksichtigen." | |
"Gerechtigkeit herstellen" | |
"Beim Gender-Budgeting geht es darum, Gerechtigkeit herzustellen", sagt | |
Gender-Expertin Frey. Es geht nicht um die klassische | |
Gleichstellungspolitik, die mithilfe von Fördermaßnahmen Diskriminierung | |
abmildern soll. Es geht um die Wirkung von politischen Entscheidungen, von | |
Finanzentscheidungen und von Gesetzen. "Kenne ich die Wirkung und stelle | |
ich Ungerechtigkeiten fest", so Frey, "dann kann ich politisch | |
gegensteuern. So wie in Österreich geschehen." Erste praktische Erfahrungen | |
mit dieser Strategie in anderen Ländern oder in Berlin beweisen, dass es | |
funktioniert. In Berlin etwa wurde Gender-Budgeting von der rot-roten | |
Regierung noch während Gregor Gysis kurzer Ära als Wirtschafts- und | |
Frauensenator implementiert. | |
Seit 2002 führt die Berliner Verwaltung die Gender-Strategie in ihr | |
Haushaltsverfahren ein. Untersucht wurden beispielsweise die Berliner | |
Bibliotheken. Wer leiht sich hier eigentlich welche Bücher aus, lautete | |
hier die erste Frage. Heraus kam: Berlins Bibliotheken werden in erster | |
Linie von Mädchen und Frauen genutzt. Jungen kommen so gut wie nie, Jungen | |
lesen also nicht. In Berlins Bibliotheken findet inzwischen ein Umdenken | |
statt. Immerhin sind sie Serviceeinrichtungen für alle Berlinerinnen und | |
Berliner. Also versucht man, Jungen zum Lesen zu motivieren. Und dazu wird | |
auch im Haushalt umgesteuert. So schafften die Bibliothekare in | |
Berlin-Lichtenberg neue Bücher und andere Medien an, mit denen sie die | |
Jungs nun locken wollen. | |
Diese Art der geschlechtsspezifischen Haushaltssteuerung würde sogar beim | |
Bundeshaushalt funktionieren. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine | |
Studie, die noch im Auftrag der rot-grünen Bundesregierung erarbeitet und | |
jetzt veröffentlicht wurde. Die Politologin Christine Färber, die diese | |
Studie zusammen mit anderen erstellte, ist sich sicher, dass es sich auch | |
für Deutschland lohnen würde: "Gesellschaftspolitisch ist es doch wichtig | |
zu wissen, wohin die Milliarden und Abermilliarden des Bundeshaushalts | |
fließen und was sie bewirken." | |
Doch die jetzige Bundesregierung sieht zurzeit keine große Veranlassung, | |
sich ernsthaft mit der Einführung der Gender-Haushaltsführung zu befassen. | |
In ihren Anmerkungen zu der sogenannten Machbarkeitsstudie heißt es: "Die | |
Bundesregierung ist der Auffassung, das die Vorschläge zum Teil mit | |
erheblichem bürokratischem Aufwand verbunden sind." Auf die Frage, ob | |
Gender-Budgeting dennoch eingeführt werden soll, heißt es: "Die | |
Bundesregierung hält es nicht für sinnvoll, Gender-Budgeting in das | |
bestehende, sehr komplexe Haushaltsverfahren einzuführen, das dem Grunde | |
nach in seiner Struktur nicht nach Zielen ausgerichtet ist." Und man stellt | |
in Aussicht: "Stattdessen soll für weitere Überlegungen die Prüfung einer | |
grundsätzlichen Reform des Haushalts- und Rechnungswesens abgewartet | |
werden." Eine solche grundsätzliche Reform, da widerspricht kein Kenner der | |
Materie, wird noch geraume Zeit auf sich warten lassen. | |
Klare Vorgaben der EU | |
Den Grünen schmeckt diese zeitliche Perspektive gar nicht. | |
"Gender-Budgeting bringt nicht nur mehr Geschlechtergerechtigkeit", meint | |
die Bundestagsabgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk, "sondern auch mehr | |
Effizienz bei der Ausgabe öffentlicher Mittel." Im Übrigen, so glaubt die | |
grüne Frauenpolitikerin, "hat die Bundesregierung gar nicht die Wahl, ob | |
sie Gender-Budgeting umsetzt oder nicht. Es gibt europäische Vorgaben, an | |
die sie sich halten muss." Die Regierung sieht das anders. Außerdem stößt | |
man sich an den Anglizismen: Gender-Mainstreaming und Gender-Budgeting, | |
diese Begriffe sind Bundesfrauenministerin Ursula von der Leyen (CDU) und | |
ihrer Regierung seit geraumer Zeit suspekt. Spätestens seit einige der | |
deutschen Mainstreammedien das Gender-Mainstreaming der Regierung in langen | |
Lamentos diskreditierten, scheint von der Leyen zu kuschen. Spiegel, FAZ | |
und sogar die rechtsnationale Junge Freiheit haben sich das Gender-Bashing | |
auf ihre Fahnen geschrieben. Sie machen die Politikstrategie mit lustigen | |
kleinen Beispielen lächerlich - mit ihrer Hilfe wolle man doch nur den Mann | |
abschaffen. | |
Der Spiegel vermutet gar, es ginge bei all dem Gegendere um die Schaffung | |
eines "neuen Menschen". "Wenn das Geschlecht nur ein Lernprogramm" sei, | |
könne man es wohl "im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit umschreiben". Da | |
fürchten die Herren der Schöpfung natürlich Schlimmes. Etwa, dass künftig | |
Jungen und Männer in unlukrative Jobs wie Krankenpfleger oder Erzieher | |
gedrängt werden könnten. Wo doch Mädchen parallel dazu mithilfe der Girls | |
Days zu Flugzeugmechanikerinnen oder Managerinnen mutierten. In von der | |
Leyens Ministerium heißt es seither hinter vorgehaltener Hand, der Spiegel | |
habe das Thema kaputt gemacht. Die interministerielle Arbeitsgruppe | |
Gender-Mainstreaming, die den Prozess begleitete, existiert inzwischen | |
nicht mehr. Das zuständige Referat im Ministerium wurde stark verkleinert. | |
Und in Reden oder Papieren der Regierung, wie zuletzt etwa dem | |
Cedaw-Staatenbericht, der die Entwicklung der Gleichstellungspolitik in | |
Deutschland dokumentiert und alle vier Jahre der UNO vorgelegt wird, | |
tauchen die Begriffe Gender-Mainstreaming und Gender-Budgeting gar nicht | |
mehr auf. | |
Stattdessen, so bestätigt auch Jochen Geppert, Mitarbeiter im | |
Genderkompetenzzentrum an der Humboldt-Universität, heißt es inzwischen bei | |
von der Leyen: "Gleichstellung als Querschnittsaufgabe". Auch das trifft | |
eigentlich den Kern der Sache, denn Gender-Mainstreaming und -Budgeting | |
sind Politikstrategien, die Gleichstellung zur Querschnittsaufgabe machen. | |
Doch im Ministerium ist bisher noch nicht klar, wie es mit dieser | |
Querschnittsaufgabe weitergehen soll. "Sie entwickeln bisher noch immer | |
eine neue Strategie", sagt Geppert. | |
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat hier längst eine eigene | |
Strategie entwickelt. Mädchen, so die Erfahrung, interessieren sich nur | |
selten wirklich für Politik. Um dem abzuhelfen, investierte die | |
Bundeszentrale in ein politisches Kinderprojekt im Internet. In | |
Onlinespielen, -comics oder -animationen wird Kindern hier erklärt, wie | |
Politik funktioniert. Und da findet sich dann auch die Handtasche der | |
Bundeskanzlerin: Lippenstift, Parfum und Puderdose gehören natürlich zu | |
ihrer Ausstattung. Doch in dem Täschchen der Kanzlerin findet sich auch | |
noch ein Schweizer Taschenmesser, eine Luftpumpe und Flickzeug. Mädchen | |
finden das toll: "Ich finde es richtig gut, dass es diese Seite gibt. Erst | |
hier habe ich viele Sachen über die Regierung in Deutschland verstanden!!! | |
Danke dafür hat mir wirklich weitergeholfen!!", schreibt etwa die | |
zwölfjährige Anna im Chatroom. | |
28 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Karin Flothmann | |
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Schwerpunkt Coronavirus | |
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