Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- "Tosca" als Poprevue an der Volksbühne: Mit Kühnheit und Coraggio
> Sebastian Baumgarten hat an der Berliner Volksbühne Puccinis "Tosca" als
> rasante Revue mit viel Blut inszeniert, in der auch Pop und House Platz
> haben.
Bild: Lars Rudoplh und Kathrin Angerer.
Das Problem mit dem zeitgenössischen Theater ist womöglich ein Zuviel an
Überbau. Im Programm von Sebastian Baumgartens Tosca-Inszenierung an der
Volksbühne gibt es unter anderem Texte von Baudrillard, Kluge, Þiþek, Hakim
Bey und ein Gespräch mit Kippenberger zu lesen. Das Stück selbst will auf
Verweise auf Kardinal Meisner, Antiglobalisierungskrawalle und Irakkrieg
nicht verzichten. Aber muss auf der Bühne ständig zeitdiagnostisches
Diskurspotenzial zur Schau gestellt werden?
Muss es nicht, weil Baumgarten im Wesentlichen seiner Inszenierung alles
richtig macht. Erstens hat er sich von Robert Lippok und Alexander Wolf
eine grandiose Bühne bauen lassen, die, als Quader auf die Drehbühne
gestellt, ihre Runden dreht. Mal zeigt sich also die ochsenblutrote Wohnung
Toscas mit punkminimalistischem David-Lynch-Appeal: Eine Küchenzeile mit
Herd, Spüle und Dunstabzugshaube, ein Küchentisch, zwei Stühle, eine runde
Wandlampe und ein Wandtelefon sind hier zu sehen. Dann wieder kommt die
gegenüberliegende Front zum Vorschein. Hier sitzt das Deutsche
Filmorchester Babelsberg unter der Leitung von Max Renne, das zwischen
Baugerüstelementen spielt, auf denen die Schauspieler recht akrobatisch
herumturnen.
Auf dritten Seite hängt ein Riesenwerbeplakat der UniCredit Bank, und Seite
vier dient als Projektionsfläche für die präzise eingesetzten Videos von
Chris Kondek, die hin und wieder den ganzen Bühnenaufbau mit
Tom-und-Jerry-Verfolgungsjagden überziehen. Sie sind das filmische
Äquivalent zur Hysterie des Liebespaars Tosca/Cavaradossi und den Schüsseln
voller Blut, die über Leute geschüttet werden, die dann tot sind, und
anderen schönen Inszenierungseinfällen Baumgartens. Der hat wie gewohnt mit
leichter Hand sein Personal choreografiert, was viel Spaß beim Zusehen
macht: Der emotionale Ernst des Originals, die große Oper der Gefühle wird
hier nach allen Regeln der Kunst übersteigert und in kleine Teile zerlegt,
und zwar tatsächlich mit "Kühnheit, Coraggio, Geschwindigkeit", wie über
dem Orchester zu lesen ist.
Das ist das eine. Zweitens zeigt Baumgarten wie schon bei seinem "Orest"
von Händel in der Berliner Komischen Oper, um wie viel produktiver es ist,
die Oper vom Theater her zu denken. So spielt das Orchester große Teile von
Puccinis Oper, deren Arrangements und Melodien so manchen gefühlsstarken
Hollywood-Score vorweggenommen hat, meist nur als Soundtrack zu den
Dialogen. Abgesehen von einigen zentralen Arien, die von Schauspielern wie
Kathrin Angerer (Sängerin Floria Tosca), Thorsten Merten (Polizeichef
Scarpia) und Lars Rudolph (der Künstler und Tosca-Liebhaber Mario
Cavaradossi) gesungen werden, die gar keine Oper singen können. Womit die
Oper, die schon Puccini als "wirkungsvolles Theater" dachte, vom
Virtuosentum befreit wird, das ohne den inszenatorischen Kitsch anscheinend
nicht zu haben ist, der das Genre heute jedem halbwegs ästhetisch denkenden
Menschen verleidet.
Dazu hat Baumgarten mit Tarwater eine Band gewonnenen, die der alten Oper
schöne neue Sounds und Popsongs beiseite gestellt hat. Einer der schönsten
Momente ist, wenn die Talkmasterin Orlonia, von Angie Reed ganz wunderbar
im Stil einer TV-Personality aus Berlusconi-Italien gespielt, zu einem
Housestück - völlig richtig: was, wenn nicht House Music, kommt der Haltung
der Oper heute nahe! - ihre schöne Medienwelt erklärt. Wir sind Teil eines
Systems, das Probleme löst, die es eben erst erfunden hat. Hier kommt
Baumgartens Transposition von "Tosca" ins Hier und Jetzt auf ihren Punkt,
wenn sich die obszöne Manipulation der demokratischen Öffentlichkeit durch
die moderne Macht eben genau darin zeigt, dass sie diese auch noch offen
aus- und als alternativlos hinstellt.
Der Bestseller Victorien Sardous, der Puccini wie Baumgarten als Vorlage
diente, spielt nämlich während der monarchistischen Gewaltherrschaft von
Rom, die von Polizeichef Scarpia verkörpert wird, der allerdings schon vor
den näherrückenden Truppen Napoleons und somit der siegreichen
republikanischen Idee Angst haben muss. Mit der wiederum sympathisiert der
Künstler Cavaradossi, hier interpretiert als anarchistischer Künstlertyp.
Er gewährt dem entflohenen politischen Gefangenen Angelotti vor den
Schergen von Staat und Kirche Unterschlupf. Auf Angelottis Schwester ist
die an einer neurotischen Religiosität leidende Diva Tosca eifersüchtig.
Was wiederum dem machtgeilen Scarpia in die Hände spielt, der aus
ebendiesem Grund die Tosca begehrt, was ihn ruinieren muss. Denn im
Gegensatz zu den republikanischen französischen Soldaten, die ihr
Geschlechtsteil zu ihrem Vergnügen zu benutzen imstande sind, kann Scarpia
gar nicht wirklich begehren: "Der Mächtige ist dissoziiert, die
Gehorchenden sind assoziiert."
So nimmt das Verhängnis seinen Lauf, einer nach dem anderen muss sterben,
nachher sitzen die toten Männer wie schlafende Zombies auf einer Bank. Der
Selbstmord Toscas aber scheint auszufallen, sie hat ja einen Therapeuten.
Am Schluss ist die Bühne in rotes Licht getaucht, eine Discokugel wirft
Sterne ans Firmament der Bühnenkuppel, und Frau Tosca singt einen letzten,
melancholischen Tarwater-Song, das ist glamouröser Pop und großes Theater.
Doch anstatt die letzten Worte und Töne in die Stille hauchen zu lassen,
hat sich der Baumgarten entschieden, wie schon mehrmals vorher nun auch als
Schlusspointe den akustischen Slapstickeffekt eines sich beschleunigen
Tonbands einzusetzen. Anfängerfehler! Daher dauert es auch einen Moment,
bis der Premierenapplaus an Fahrt gewinnt und schließlich, zu Recht, doch
ganz freundlich ausfällt.
3 Feb 2008
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
Ulrich Gutmair
## TAGS
Theater
## ARTIKEL ZUM THEMA
Edutainment als Körper-Theater: Wilde Party im Verdauungstrakt
„Es war einmal … das Leben“: In Hannover wird aus dem 80er-Jahre
Zeichentrick drogengesättigtes Thriller-Theater.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.