# taz.de -- "Raoul"-Aufführung in Bremen: "Diese Oper - das bin ich" | |
> Am Donnerstag wird in Bremen "Raoul" uraufgeführt, eine Oper über den | |
> Holocaust. "Die deutschen Feuilletons werden es hassen", sagt Komponist | |
> Kingsley. | |
Bild: Rettete tausende Juden im Zweiten Weltkrieg: Raoul Wallenberg | |
taz: Herr Kingsley, wieso haben Sie eine Oper geschrieben? | |
Gershon Kingsley: Das ist eine lange Geschichte, wahrscheinlich zu lang. | |
Allerdings ist "Raoul" nicht meine erste Oper. | |
Sondern? | |
Das war "Tierra", zum 500. Jahrestag von Columbus Amerika-Landung. Die ist | |
in München uraufgeführt worden. Wir haben auch "Raoul" dort angeboten - | |
aber der damalige Intendant Peter Jonas hat gesagt: Holocaust? Nur über my | |
dead body! | |
Ihr Name steht für den Moog-Synthesizer. Und Sie haben "Popcorn" | |
geschrieben, ein Song, den jeder in einer der 201 Coverversionen von Jean | |
Michel Jarre bis Fiddlers Green oder als Soundtrack vom Computerspiel | |
Digger kennt, den jeder singen kann | |
von wegen! Keiner kann das. "Popcorn" ist von der Form her ein klassisches | |
Lied. Das Anfangsmotiv, klar, das kann ja jeder. Aber dann wird es ziemlich | |
kompliziert: Ein ausgebildeter Sänger bekommt das vielleicht hin. Aber auch | |
meistens nur, wenn er es vorher geübt hat. | |
Aber zurück zu "Raoul"; das war ja keine Auftragsarbeit, und es gibt die | |
Oper schon seit einiger Zeit. | |
Seit 2001! Wir haben uns selbst einen Auftrag gegeben, Michael Kunze und | |
ich. Vor etwas mehr als zehn Jahren hatte ich ein Stück geschrieben, das | |
heißt "Voices From The Shadow". Dafür hatte ich nach Gedichten aus der Zeit | |
des Holocaust gesucht - von Menschen in dem Bewusstsein geschrieben: In | |
zehn Minuten gehst du in die Gaskammer, in zehn Minuten bist du tot. Die | |
habe ich vertont. Die Uraufführung war 1998 in New York. | |
Und die Oper? | |
Kunze hat eins der Konzerte besucht. Danach ist er auf mich zugekommen und | |
hat gesagt: Lass uns zusammen etwas machen. Ein paar Tage später bekam ich | |
ein kurzes Skript, zwei, drei Seiten - das war die Idee für "Raoul". | |
Ihre Titelfigur ist der schwedische Diplomat Raoul Wallenberg. | |
Es gibt in der Geschichte des Holocaust für mich zwei echte | |
Persönlichkeiten: Schindler, der ja auch egoistische Motive hatte: Er hat | |
die Leute für seine Firma gerettet. Raoul dagegen - der kommt aus einer | |
Bankiersfamilie, ist ein junger, reicher, gut aussehender Mann und | |
beschäftigt sich einfach mit einem Problem, um das er sich überhaupt nicht | |
kümmern müsste: Er vergibt schwedische Schutzpässe an Juden aus dem Ghetto | |
von Budapest. Dazu kommt das mysteriöse Verschwinden: Das ist etwas, mit | |
dem man gut kreativ arbeiten kann. | |
Wie ging es denn weiter mit der Idee? | |
Es war eine sehr ungewöhnliche Kooperation, manchmal fast zu leicht: Ich | |
habe überhaupt nichts an Kunzes Entwürfen geändert. Er schickte mir sein | |
Libretto - und ich habe die Musik dazu geschrieben. Dann war die Oper | |
fertig - und wir hatten das Problem, was machen wir damit. Wir haben also | |
versucht, sie anzubringen. Aber es ging einfach nicht. Da gibt es ganz tief | |
sitzende Vorurteile: Kunze ist bekannt durch seine Musicals und vor allem | |
die Schlagertexte aus den 1970er-Jahren. | |
Klar: "Ein Bett im Kornfeld" und Udo Jürgens | |
Da hieß es dann immer: Was, der macht eine Oper?! Unmöglich! Es tat sich | |
also lange nichts, wir haben es überall versucht - ich hatte schon | |
aufgegeben. Mensch, habe ich zu Kunze gesagt, lass es gut sein, was zählt, | |
ist: Wir haben eine Oper geschrieben. Irgendwann führen wir sie eben selbst | |
auf. Sagt er zu mir: Bist du verrückt? Wir haben eine Aufführung. Ich: Wo? | |
In Bremen. Bremen? Was ist Bremen? So kam das. | |
Schwierigkeiten habe ich, mir das mit dieser Instrumentierung vorzustellen. | |
Ich doch auch! Als ich das komponiert habe, habe ich immer an ein großes | |
Ensemble gedacht. Jetzt haben wir ein Streichquintett und ein paar Bläser. | |
Und warum besetzen Sie jetzt so kammermusikalisch? | |
Die Intendanz hat uns gesagt: Ihr kriegt 16 Leute, keinen mehr. Was soll | |
ich also tun? Ich bin ein Kompromiss-Komponist. Ich bin der | |
Kompromiss-Komponist von Bremen. | |
Und im Schauspielhaus sind Sie auch gelandet. Gar nicht in der Oper. Als | |
hätte man sich nicht getraut. | |
Stimmt. Aber vielleicht ist das auch alles ganz wunderbar. Das weiß ich | |
nicht. Das kann ich nicht sagen. | |
Die Musik hat manchmal fast Ohrwurmcharakter. | |
Absolut! Der Kapellmeister, der das einstudiert, sagt auch immer: | |
Furchtbar, ich kann nicht mehr einschlafen, ich habe die ganze Zeit diese | |
Musik im Kopf. | |
Jede Dissonanz wird aufgelöst, ein, zwei Schritte und wir sind wieder | |
geborgen beim Grundton. | |
Ja. Ich habe Freunde, die komponieren so: Bi-ba-boiiiing!, atonale Musik. | |
Ich glaube: Deren Zeit ist einfach vorüber. Das ist Musik für Musiker. Die | |
freuen sich, da ranzugehen und die Partitur zu analysieren. Ich wollte | |
bewusst nichts Intellektuelles machen, sondern etwas vom Bauch her. | |
Aber ist das nicht problematisch, bei einer Holocaust-Oper? | |
Wissen Sie, ich bin 1922 geboren. Ich bin als Jude in Deutschland | |
aufgewachsen. Ich habe den Holocaust von einer anderen Seite erlebt. Das | |
ist Teil meiner Geschichte: Kein Jude kann das je wegdenken. Die Musik, die | |
ich schreibe, klingt so, wie ich, Gershon Kingsley, das fühle und erlebt | |
habe. Da ist viel jüdische Musik drin, deutsche Musik - diese Oper ist ein | |
Resultat meines ganzen Lebens. Es ist eine Art musikalische Autobiografie. | |
Das bin ich. Ich weiß: Die deutschen Feuilletons werden es hassen. Aber es | |
ist ehrliche Musik. | |
INTERVIEW: BENNO SCHIRRMEISTER | |
20 Feb 2008 | |
## TAGS | |
Oper | |
Schweden | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Abschied nach zehn Jahren: Wo die weißen Klone wohnen | |
Markus Poschner lässt mit seiner letzten Premiere als Bremer | |
Generalmusikdirektor die Philharmoniker im Orchestergraben glänzen | |
Schwedischer Weltkriegsheld: Raoul Wallenberg für tot erklärt | |
20.000 ungarischen Juden verhalf der schwedische Diplomat im Zweiten | |
Weltkrieg zur Flucht. Dann verschwand er spurlos. Jetzt gibt es ein | |
Todesdatum. |