# taz.de -- Kultur-Szene: Die zwei Welten des Bethanien | |
> Der Streit zwischen Besetzern und Künstlern in dem ehemaligen Kreuzberger | |
> Krankenhaus ist beigelegt - durch eine strikte räumliche Trennung. Heute | |
> stimmt der Bezirk ab. | |
Bild: Ein Platz für Rio Reiser? Ob er das gewollt hätte? | |
Die Welten prallen im zweiten Stock aufeinander, gegenüber Moonjoo Lees | |
Atelier. In der einen hat die Künstlerin aus Südkorea, Stipendiatin im | |
Künstlerhaus Bethanien, das letzte Jahr verbracht. Es ist eine Welt aus | |
weiten Fluren mit gewölbten Decken, in denen die Schritte auf dem | |
Dielenboden hallen, so dass man unwillkürlich leiser geht. Aus Studios und | |
Ateliers, die wie ihres voll sind mit Fotografien, Farben, Staffeleien. | |
"Hochkultur" nennen das die aus der anderen Welt. | |
Die beginnt zwei Glastüren weiter, im Südflügel des Bethanien am | |
Mariannenplatz: die Welt der "Soziokultur", wie sie in zahlreichen | |
Entwürfen für die zukünftige Nutzung des Gebäudes heißt. Im Flur zwischen | |
den Türen hat jemand den Rauch-Haus-Song der Band Ton, Steine, Scherben an | |
die Wand geschrieben: "Und die Leute im besetzten Haus schrien: Ihr kriegt | |
uns hier nicht raus " | |
"New Yorck" steht über der zweiten Tür, die mit unzähligen Plakaten | |
zugeklebt ist, gegen Atomkraft, G 8, fürs Sozialforum Berlin. "Eigentlich | |
ist es eine Schande, dass wir hier Tür an Tür leben und überhaupt keinen | |
Kontakt haben", sagt Lee. Und schade sei es auch. Denn eigentlich, so Lee, | |
wäre sie schon sehr neugierig, was da drüben, auf der anderen Seite der | |
Tür, passiert. Herausfinden wird Lee das nicht. Ihr Stipendium läuft aus, | |
sie verlässt in einer Woche Berlin. Vor allem aber ist nicht geplant, die | |
Tür zwischen beiden Teilen des Bethaniens zu öffnen. | |
Am heutigen Mittwoch wird die Bezirksverordneten-Versammlung (BVV) von | |
Friedrichshain-Kreuzberg beschließen, wie das Bethanien künftig verwaltet | |
und genutzt werden kann. Dieser Beschluss sieht eine Trennung des Gebäudes | |
in zwei Teile vor: Haupt- und Nordflügel für die Kunst, Südflügel für die | |
(Sozio-) Kultur. Der Kompromiss ist dennoch ein Erfolg: Er markiert - | |
zumindest vorerst - das Ende des Streits, der seit mehr als zwei Jahren um | |
die Nutzung des einstigen Krankenhauses tobt. Und alle Parteien sind | |
einigermaßen zufrieden damit - trotz der vielen öffentlich ausgetragenen | |
Konflikte. | |
Im Juni 2005 besetzten Bewohner des kurz zuvor geräumten Hausprojektes | |
"Yorck 59" zwei Etagen im leerstehenden Südflügel des Bethanien. Das | |
Bezirksamt sah von einer Räumung ab; bis heute wohnen die Besetzer im | |
oberen Stockwerk, im unteren finden sich Büros von linken Initiativen und | |
Veranstaltungsräume. Anfang 2006 startete die Initiative Zukunft Bethanien | |
(IZB) ein Bürgerbegehren, das forderte, aus dem Bethanien ein kulturelles, | |
künstlerisches, politisches und soziales Zentrum zu machen. 14.000 | |
Unterschriften sammelte die Initiative; daraufhin verabschiedete die BVV im | |
September 2006 einen Beschluss, der das Bezirksamt beauftragte, die | |
Forderungen des Bürgerbegehrens umzusetzen. | |
Seit November 2006 kam einmal im Monat der Runde Tisch Bethanien zusammen. | |
Dort trafen sich alle Beteiligten - Nutzer, an Räumen Interessierte, das | |
Bezirksamt -, um entsprechend des BVV-Beschlusses ein Konzept | |
auszuarbeiten. Im Dezember legte Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne), | |
der die Treffen moderierte, das Ergebnis vor: eine Beschlussvorlage. Diese | |
sieht zum einen vor, das Bethanien an die gemeinnützige GSE zu übergeben, | |
die es als Treuhänder verwalten soll. Zum anderen sollen die beiden | |
Bereiche des Bethanien auch "baulich" getrennt werden - das hatte Christoph | |
Tannert, Geschäftsführer der Künstlerhaus GmbH, als Voraussetzung für einen | |
Verbleib des Künstlerhauses im Bethanien gefordert. | |
In Tannerts Büro im dritten Stock des Nordflügels steht ein Modell des | |
Bethanien. Mit gläsernem Eingang, einer baulichen Öffnung zwischen den | |
beiden Flügeln, "damit mehr Licht in den Mittelbau fällt". So hätte das | |
Haus aussehen können als privates Künstlerzentrum - der Bezirk plante bis | |
2005, das Bethanien als solches an einen privaten Investor zur veräußern. | |
Die Besetzung und das Bürgerbegehren machten diese Pläne zunichte. Darüber, | |
sagt Tannert, sei er schon "ziemlich enttäuscht". | |
Vielleicht ist das ein Grund, warum er und die Initiative seit ihrem | |
Entstehen eine innige Feindschaft verbindet. Als "Kiezdödel" hat er | |
Mitglieder des AnwohnerInnenforums Sofa bezeichnet, die "Kulturlosigkeit" | |
des Bethanien seit der Besetzung beklagt. "Wir haben eine vollkommen andere | |
Sicht auf dieses Haus", sagt Tannert. "Das geht einfach nicht zusammen." | |
Die Besetzer und die IZB wollten mit missionarischem Eifer ihr Verständnis | |
allen anderen Nutzern überstülpen. Aber für eine Umwandlung des Bethanien | |
in ein soziokulturelles Zentrum, so Tannert, sei er nicht zu haben. "Seit | |
zwei Jahren redet die ganze Welt über das Bethanien, aber nicht als | |
Künstlerhaus, sondern als Besetzerhochburg." Darunter leide das Image des | |
Hauses, sagt Tannert, es seien bereits Sponsoren abgesprungen - auch wenn | |
ihm jetzt dafür kein Beispiel einfalle. Die IZB und die anderen | |
Initiativen, davon gehe er aus, seien ohnehin nur ein "Spin-off" der | |
Besetzer. | |
Aus dem Arbeit am runden Tisch sind Tannert und Mathias Mrowka, Leiter der | |
ebenfalls im Bethanien beheimateten Druckwerkstatt, nach einem halben Jahr | |
ausgestiegen. "Unsere Positionen wurden nicht gehört", so Tannert. Zudem | |
sei der Moderator des Prozesses, Bürgermeister Schulz, völlig parteiisch | |
gewesen, auf Seiten der Besetzer und der IZB. "Man kann Künstlern doch | |
nicht vorschreiben, wie sie zu arbeiten haben", sagt Tannert. | |
Zwar halte er soziale Arbeit und Workshops für Jugendliche an sich für | |
sinnvoll. Aber vermischen sollen die sich nicht. "Die Kunst, die wir hier | |
machen, bewegt sich ja auf einem ganz anderen Niveau, sie soll sich ja | |
gerade von der Sphäre der täglichen Arbeit abheben", betont Tannert. | |
Dennoch könne das Künstlerhaus mit der vorgesehen Trennung leben - wenn sie | |
nicht nur baulich, sondern auch "im Geiste" vollzogen wird. Man werde sich | |
die künftige Entwicklung ansehen, ein Auszug - wie mehrfach angedroht - sei | |
noch immer nicht ausgeschlossen. | |
"Tannert und Mrowka haben von Anfang an versucht, den Prozess zu | |
torpedieren", kritisiert Simone Kypke von der IZB. Sie hätten genau | |
gewusst, dass der runde Tisch nicht funktioniere, wenn das Künstlerhaus und | |
die Druckwerkstatt als größte Nutzer aussteigen. "Und den Auszug haben sie | |
als Drohmittel benutzt, um ihre Interessen durchzusetzen", sagt Kypke. Sie | |
glaube Tannert, dass er, wenn er könnte, gern mit dem Künstlerhaus | |
ausziehen würde - aber das habe nichts mit den Besetzern zu tun. Anders als | |
sein Vorgänger Michael Haerdter, der in den 80er-Jahren betont hatte, das | |
Künstlerhaus müsse genau an diesem Ort angesiedelt sein, ärgere es Tannert | |
doch seit Jahren dass seine Institution am Mariannenplatz liege, einer | |
"B-Lage", einer der ärmsten Ecken Berlins. | |
Dass aufgrund des Widerstandes von Künstlerhaus und Druckwerkstatt nun | |
keine Zusammenarbeit, keine Mischung zwischen Sozialem und Kunst | |
stattfindet, wie es der BVV-Beschluss von 2006 eigentlich vorsieht, ist für | |
Kypke einer der Misserfolge des Prozesses: "Es ist schade, dass sich die | |
Wertigkeit unserer Gesellschaft nun auch in der Aufteilung des Hauses | |
niederschlägt: auf der einen Seite die Hochkultur und davon getrennt ein | |
Ort für die Marginalisierten, für Arme, Migrantinnen." | |
Viele Gruppen und Initiativen, die sich für Räume im Bethanien | |
interessierten und über die Ideenwerkstätten zum Prozess hinzugestoßen | |
waren, seien im Konflikt zwischen Künstlerhaus und Besetzern zerrieben | |
worden, so Kypke. Sogar einige BVV-Fraktionen hätten Tannert geglaubt und | |
die vielen Projekte für eine Erfindung der Besetzer gehalten, die gern in | |
den leerstehenden Flächen im Haupthaus arbeiten würden: verschiedene | |
Theater, das Medienprojekt Formatwechsel, das mit jungen migrantischen | |
Frauen arbeitet, der Filmemacher-Verein platura, ein deutsch-türkisches | |
Musikkonservatorium, der Arbeitskreis Kreuzberger Künster. "Der Südflügel | |
ist überbelegt", sagt Kypke. "Das Problem, wo all diese Projekte Räume im | |
Bezirk finden, bleibt weiter bestehen." | |
Doch auch Kypke vermeldet eine Menge positiver Ergebnisse: Das Bethanien | |
werde nicht privatisiert, die Gespräche mit der GSE ließen eine gute | |
Zusammenarbeit erwarten. "Und ganz wichtig: Es muss niemand gehen." Nicht | |
die Besetzer im Südflügel, nicht die Initiativen, die dort Räume gefunden, | |
aber auch nicht die Künstler, die Musikschule, die Kita. Und das sei | |
keineswegs selbstverständlich gewesen: "Zum Zeitpunkt der Besetzung lagen | |
der Kita und dem Sportjugendclub die Kündigung vor, und wäre das Haus | |
privatisiert worden, hätten auch Einrichtungen wie die Musikschule dort | |
keinen Platz mehr gehabt", ist sie sich sicher. | |
Für die Besetzer ist vor allem wichtig, dass sie bald Mietverträge bekommen | |
sollen: "Das gibt den Initiativen, die hier ihre Büros haben, mehr | |
Sicherheit", sagt Claudia Neuber. Sie hat schon in der Yorck 59 gewohnt, | |
seit 2005 lebt sie im Bethanien. Anders als in den Medien oft berichtet, | |
hätten sich die Besetzer von Anfang an bemüht, kostendeckende Verträge zu | |
bekommen, so Neuber. Das Bezirksamt wollte ihnen aber wegen der unsicheren | |
Zukunft des Hauses keine geben. "Jetzt ist es verpflichtet, mit uns | |
Verträge abzuschließen. Das ist auf jeden Fall ein Erfolg", sagt Neuber. | |
Von Erfolg spricht schließlich auch Bürgermeister Schulz, wenn es um das | |
Bethanien geht. Die Ausgangslage sei schwierig gewesen, mit solch einer | |
heterogenen, konfliktträchtigen Mischung von Nutzern. "Aber aus der | |
Quadratur des Kreises ist doch ein sehr vernünftiger Kompromiss | |
hervorgegangen." Das künftige Betreibermodell sei geklärt, dem Bezirk werde | |
das Bethanien nicht mehr als finanzielle Last angerechnet, die Soziokultur | |
finde Platz im Südflügel. "Und für das Künstlerhaus und andere | |
Kunstproduzenten bedeutet der Beschluss ja nicht nur den Erhalt des Status | |
quo, sondern eine räumliche und organisatorische Verbesserung", so Schulz. | |
Die Trennung des Hauses in zwei Teile sei unvermeidlich gewesen: "Das war | |
klar, nachdem ein moderiertes Gespräch zwischen Künstlerhaus und Besetzern | |
im November gescheitert ist." | |
Bedauerlich finde er auch, dass es nicht gelungen sei, sich auf ein | |
gemeinsames Image des Bethanien zu verständigen. "Dazu ist es sicherlich | |
nochmal nötig, grundsätzlich über das Kunst- und Kulturverständnis der | |
einzelnen Nutzergruppen zu diskutieren", meint Schulz. "Aber so etwas lässt | |
sich nicht in wenigen Wochen lösen." | |
Zeit für weitere Gespräche dürfte den Gruppen von Nutzern bleiben: Wenn die | |
BVV am Mittwochabend das Konzept mit den Änderungsvorschlägen aus den | |
Fachausschüssen beschließt, muss nur noch die Senatsverwaltung für Finanzen | |
ihr Okay geben. Dann, meint Schulz, könne in einem halben Jahr der | |
Treuhandvertrag mit der GSE abgeschlossen sein; parallel dazu würden schon | |
die Verträge mit den Nutzergruppen verhandelt. "Das Haus hat jetzt endlich | |
wieder eine klarere Perspektive", sagt Schulz. "Jetzt können sich | |
hoffentlich alle Gruppen wieder auf ihre eigentlichen Aufgaben | |
konzentrieren." Kunst zu machen, Politik, Kultur. Für Kreuzberg und Berlin. | |
27 Feb 2008 | |
## AUTOREN | |
Juliane Schumacher | |
Juliane Schumacher | |
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Rio Reiser | |
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