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# taz.de -- Autobiografie von Wir Sind Helden: Kotzeimer nur für Schwangere
> In einem Buch erzählt die Konsens-Band Wir Sind Helden die Geschichte
> ihres Aufstiegs - und kokettiert bei der Präsentation mit ihrer
> Uncoolness.
Bild: Wir-Sind-Helden-Sängerin Holofernes: "Dieses Missverständnis ist mir ei…
BERLIN taz Wir sind Helden haben ein Buch geschrieben. Über sich selbst.
400 Seiten dick ist es geworden - eine Veröffentlichung ihrer
Tourtagebücher, gespickt mit Anmerkungen, die sich lesen wie ein sehr sehr
langes, abendliches Küchentischgespräch, an dem die Band einmal ganz von
Anfang erzählt, wie das alles früher mal so war. Wie damals Sängerin Judith
Holofernes Schlagzeuger Pola Roy und Keyborder Jean-Michel Tourette auf
einem Musikworkshop in Hamburg für die Band aufgerissen hat. Wie sie die
erste Tour vor leeren Hallen spielten, aber sich die Laune nicht verderben
ließen. Wie Bassist Mark seine Karriere als Arzt aufgab, um bei Wir sind
Helden zu spielen. Wie der "Guten Tag"-Erfolg sie überrollte und sie mit
der zweiten Platte haderten. Und so weiter und so weiter. Und wie sie
schließlich ein Bandbaby bekamen.
Am Mittwoch Abend sitzen die vier im vollgepackten Berliner Kino "Babylon"
und lesen ein paar lustige Zoten aus dem Buch. Wie Plattenfirmen sie
umwarben mit den Worten "Wir breaken euch topdown in GSA" was so viel hieß
wie: Wir machen euch bekannt in Germany, Swizzerland, Austria - und zwar
so, dass ihr ganz oben in die Charts einsteigt. "Wenn dann einer sagt 'Die
ganze Firma burnt für euch' wurde eine innere Notiz gemacht: Alles klar -
tschü-üss", liest Judith Holofernes mit einem Grinsen im Mundwinkel vor.
Ein paar Minuten später folgt die Geschichte, wie Wir sind Helden plötzlich
einmal Headliner von Rock am Ring wurden, weil die Crossover-Band Limp
Bizkit abgesagt hatten - aber tierisch Angst vor dem Konzert hatten, weil
sie im Internet vorher von bösen Rockern übelst beschimpft worden sind. Die
Helden lesen mit verteilten Rollen. Jeder ist mal dran - und wenn ein
Übergang nicht klappt, machen alle alberne Sprüche und giggeln ein
bisschen. Mal wieder erhebt die Band sympathischen Dilletantismus zur
Tugend.
Das Publikum giggelt mit - entweder über die Zoten oder über die albernen
Band-Schnappschüsse, über die Köpfe der Band projiziert werden - Fotos von
Jean-Michel und Pola ohne Hosen, Holofernes beim Grimassen-Schneiden.
"Genau der Effekt, den wir haben wollten - dann starrt ihr uns nicht die
ganze Zeit an", meint Holofernes. Und damit auch wirklich alle an diesem
Abend zufriedengestellt werden, spielt die Band einen hübschen kleinen
Akkustik-Gig ihrer größten Hits und signiert am Ende noch Bücher.
Ach, die Nettigkeit dieser Band... Eine Tugend, mit der in den letzten
Jahren viele deutsche Bands, darunter auch die Sportfreunde Stiller oder
die Beatsteaks punkten konnten. Wir sind Helden sind allerdings so nett,
unkompliziert und politisch korrekt, dass es viele in den letzten Jahren
ordentlich auf den Geist gegangen ist - so, dass die Band schließlich als
"langweiliger Gewerkschaftspop" beschimpft wurde. "Dieses Missverständnis,
dass Freundlichkeit mit Harmlosigkeit gleichzusetzen ist, ist mir ein
totaler Schmerz in der Hüfte", ärgert sich Holofernes und sagt, dass sie
dieses Klischee noch mehr nervt als das Protestband-Label, das der Band
seit der ersten Platte anklebt. Andererseits gibt sie im Buch zu, dass ihr
nach einem langen Interviewtag die eigene "vermaledeite Aufrichtigkeit und
Knopfäugigkeit" an den Ohren heraushängt - einfach nur der ständigen
Wiederholung wegen.
Wenn Tomte ihren Touralltag mit einem Konterbier beginnen, fragen Wir sind
Helden erst mal nach dem Streichelzoo, witzelt Tomte-Sänger Thees Uhlmann
im Buch. Tatsächlich feiern die Helden in ihrem Buch mal wieder die eigene
Uncoolness - schreiben über "blaue Stunden", in denen die Band über ihren
Gemütszustand spricht, über Meditation statt Saufeskapaden. Rockstarposen
fehlen. "Ich glaube das liegt daran, dass wir am Anfang ganz kurz sehr
Indie waren und dann sehr schnell sehr nicht", meint Judith Holofernes:
Nach dem kommerziellen Erfolg der Band fragten sich viele, ob man die Band
noch hören dürfe - Coolnessbefindlichkeiten anderer Leute, von denen sich
Holofernes und ihre Band freimachen wollten.
Darum schreiben Wir sind Helden auch über die unangenehme Momente der
Bandgeschichte - etwa das Angebot einer Plattenfirma, Judith unter Vertrag
zu nehmen, wenn sie alle anderen Bandmitglieder rauswirft. Oder darüber,
wie Judith zu Beginn ihrer Schwangerschaft mit Kotzeimern neben dem
Bühneneingang Konzerte durchstand. Oder wie der ausgebildete Arzt und
Helden-Bassist Mark einmal Josh Homme von den Queens of the Stone Age
behandelte. Oder wie es war, als ihnen mitten in der Veröffentlichungsphase
ihrer dritten Platte das Label pleite gegangen ist.
"Wir wollten wirklich einmal lückenlos unsere Geschichte aufarbeiten", sagt
Bassist Jean-Michel Tourette, wenn man ihn fragt, warum die Band dieses
Buch überhaupt geschrieben hat. Manchmal wäre mehr Lücke wohl auch mehr
gewesen. Denn auf 400 Seiten verteilt kann absolute Aufrichtigkeit auch
ganz schön anstrengend sein.
28 Feb 2008
## AUTOREN
Meike Laaff
Meike Laaff
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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