Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ärzte gestehen erstmals Versagen: Operation gelungen, Patient tot
> Erstmals räumen deutsche Mediziner in einer Broschüre persönliches
> Versagen ein. Führt das Ärzte-Outing zur Entzauberung des Mythos vom
> Halbgott in Weiß?
Bild: Nicht unfehlbar: Ärzte am OP-Tisch.
"Wenige Tage nach der Operation wird der Patient wegen Verdachts auf
Veränderungen im unteren Abschnitt der Lunge geröntgt. Zufällig zeigt die
Aufnahme am Rand auch Teile einer Klemme im Bauch", berichtet Matthias
Rothmund, Chefarzt der Universitätsklinik Gießen und Marburg. Die Klemme
hatte ein Assistenzarzt in der Bauchhöhle des Patienten vergessen, Rothmund
als Operateur sieht sich in der Verantwortung. Und macht einen
ungewöhnlichen Schritt: Er unterrichtet nicht nur den Patienten von seinem
Irrtum, sondern auch die Öffentlichkeit. "Aus Fehlern lernen" - das ist
nicht Rothmunds persönliches Motto, sondern Titel einer am Donnerstag
vorgestellten Broschüre, finanziert vom AOK-Bundesverband, in der Ärzte und
Pflegepersonal ihre Fehltritte beichten. Eine Premiere: Bisher wurde
allenfalls hinter vorgehaltener Hand über "Ausrutscher" im Medizinmillieu
getuschelt. Löblich, diese öffentliche Selbstkritik, die vielleicht auch
eine Form der Abitte darstellt und möglichen Skandalen zuvorkommen will.
Aber einen Haken hat die Sache: Mit der Enttabuisierung geht die
Entmystifizierung einher.
Weltweit erfreut sich der Beruf des Heilers großen Ansehens. Da wäre zum
Beispiel der Schamanismus: Bis heute finden sich dessen Vertreter in weiten
Teilen Asiens und Südamerikas - vom regen Zulauf aus der New-Age-Liga ganz
zu schweigen. Schamanen sehen den Grund für Krankheiten nicht in Viren,
Bakterien oder falschem Lebenswandel, sondern in der Besessenheit des
Kranken von bösen Geistern. Um die auszutreiben, begeben sie sich oftmals
mit Hilfe von Halluzigenen und unter Einsatz des eigenen Lebens auf eine
Trance-Reise, um die Dämonen auszutreiben. Mal klappts, mal nicht, dem
Image des Schamanen schaden Misserfolge jedenfalls wenig: Er ist eine
Instanz, oftmals die letzte. Außerdem ein Wanderer zwischen den Welten von
Menschen und Göttern. Das bringt ihm vor allem eines ein: Respekt. Mit dem
Heiler legt sich keiner an, denn eins ist klar: Der Schamane kann auch
anders, verfügt er doch selbst über erhebliche Zauberkräfte, die er
potenziell gegen jeden richten kann. Respekt lebt von Furcht.
Deutsche Ärzte können nicht zaubern. Zumal Zauberei sowieso ins Mittelalter
gehört. Aber ach: Übernatürliche Fähigkeiten schreiben wir ihnen trotzdem
gerne zu, den vielbeschworenen Halbgöttern in Weiß. Sie schweben nicht nur
durch Krankenhausflure, sondern immer auch ein wenig über den Dingen. Diese
göttliche Distanz ermöglicht ihnen einen Durchblick, von dem wir
Normalsterblichen nur träumen können. Gerne gönnen wir ihnen deshalb ihren
Status quo, ihr gutes Gehalt, ihren Anspruch auf Allwissenheit. Schließlich
geht es um Leben und Tod. Und das jeden Tag. Liegt vielleicht gerade da der
Hase im Pfeffer? Haben nicht auch Ärzte ein Recht auf einen schlechten Tag?
Eigentlich nicht. Wir wollen nicht lernen müssen, nicht nur das Urteil,
sondern auch noch die Urteilsfähigkeit der Ärzte zu fürchten. Denn obwohl
man es kaum glauben mag: Auch in Deutschland, der Hightech-Nation
schlechthin, gibt es Mythen.
Image ist alles
Gerade mal drei Tage ist es her, da veröffentlichte das Allensbacher
Institut für Demoskopie eine Studie, nach der Ärzte in Deutschland von
allen Berufsgruppen das höchste Ansehen genießen: 78 Prozent der Befragten
gaben an, vor den Medizinern die meiste Achtung zu haben. Das Image könnte
jetzt bröckeln. In den USA kosten laut einer Studie des Institute of
Medicine medizinische Irrtümer jährlich 44.000 bis 98.000 Patienten das
Leben. Dort haben Ärzte mittlerweile ernsthafte Probleme, überhaupt eine
Versicherung zu finden, die bereit ist, für mögliche Patzer zu zahlen. Wie
viele Todesfälle in Deutschland auf fehlerhafte Behandlungen zurückgehen,
weiß niemand so genau.
Auf Platz zwei der Allensbacher Studie folgt übrigens ein Berufsstand, dem
manch einer das hohe Ranking gar nicht zugetraut hätte: die Pfarrer.
Wirklich verwunderlich ist das bei näherer Betrachtung nicht: Der Mensch
braucht im Alltag etwas, an das er glauben kann, darüber herrscht seltene
Eintracht zwischen Soziologen, Psychologen und Religionsvertretern. In
guten wie in schlechten Zeiten, vor allem aber in Letzteren, ist Zweifeln
nicht nur anstrengend, sondern manchmal schlichtweg unerträglich. Und ob
Geister- oder Wissenschaftsglaube, das Resultat ist das gleiche: Die
Vergottung stinknormaler Bürger, ausgestattet mit der gesellschaftlichen
Macht der Absolution. Dass auch Götter gelgentlich Fehler machen, ist
eigentlich ein alter Hut. Aber wehtut sie schon ein bisschen, die
Dekonstruktion der Perfektion. Und wer weiß: Nach der ärztlichen
Selbstdiagnose stehen die Pfarrer bei der nächsten Umfrage vielleicht
wieder auf Platz eins.
29 Feb 2008
## AUTOREN
Nele Jensch
## TAGS
Hamburg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Organspendeskandal in Hamburg: Ein Winterkorn im weißen Kittel
Ein Expertenbericht deckt Ungereimtheiten bei Lungentransplantationen im
Hamburger Uniklinikum auf. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Outing in Patienten-Broschüre: Ärzte gestehen Kunstfehler
Jede zehnte Behandlung ist von Unregelmäßigkeiten betroffen: Erstmals
schildern Mediziner ihre Fehler öffentlich. Damit wollen sie eine Debatte
in den Kliniken anstoßen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.