# taz.de -- Ausbeutung durch Diplomaten: Eine Geschichte voller Gewalt | |
> Über vier Jahre wurde sie von einem jemenitischen Diplomaten gefangen | |
> gehalten - zuletzt in einer Berliner Wohnung: Ein Porträt der | |
> indonesischen Angestellten Hasniati. | |
Bild: 18 Stunden Hausarbeit musste die Indonesierin machen - ohne Lohn und für… | |
Sklavin und Herr. Gefangenschaft und Freiheit. Frau Hasniati* und der | |
Diplomat. Drei Relationen, eine Geschichte. Genug Stoff für einen Film, der | |
alles hat, was großes Kino braucht: Verrat, Gewalt, Unterwerfung, sogar ein | |
Happy End. In der Geschichte geht es um eine Indonesierin, Frau Hasniati, | |
die von einem jemenitischen Diplomaten viereinhalb Jahre gefangen gehalten | |
wird. Zuerst in Ägypten, dann in Berlin. Der Stoff ist da. Man muss | |
Hasniati nur fragen. | |
Allein, Hasniati will den Diplomaten vergessen. "Wozu soll ich noch an ihn | |
denken?", fragt sie. Aber wird sie nicht ohnehin immer wieder an ihn | |
erinnert - wenn sie Reis isst, wenn sie hustet, wenn sie am Potsdamer Platz | |
in Berlin steht? Sie zuckt die Achseln. Sie möchte nicht an ihn denken, sie | |
fürchtet, dass ihr dann wieder die Luft wegbleibt, wo sie jetzt doch frei | |
atmen kann. Tränen steigen ihr in die Augen. Weil sie nicht weinen will, | |
wendet sie sich ab. Mit ihrem runden Gesicht, das von schwarzen Haaren | |
eingerahmt ist, mit den dunklen Augen, der bronzefarbenen Haut könnte die | |
Indonesierin auch aus Nordafrika oder Südamerika stammen. | |
Hasniati sitzt mit einer Dolmetscherin im Büro von Ban Ying. Der Berliner | |
Verein unterstützt Frauen, die in Gewaltverhältnisse geraten sind wie die | |
30-Jährige. "Thinking of getting married" steht auf einem Plakat, das | |
hinter Hasniatis Stuhl hängt. Darauf ist eine asiatische Frau im Brautkleid | |
abgebildet, darunter eine Warnung: "Menschenhandel und Arbeitsausbeutung | |
sind Vergehen gegen die Menschlichkeit". Dass das so ist, hat Hasniati | |
gespürt. "Ich wusste immer, dass er mir Unrecht tut." Wie sie aus der | |
Wohnung des Jemeniten flüchten kann, wusste sie nicht. Er hatte sie | |
eingesperrt. | |
Indonesier haben nur einen Namen. Er ist Vor- und Nachname zugleich. Auch | |
auf der Insel Flores ist das so. Dort lebte Hasniati in einem Dorf am Meer, | |
ihr Haus stand auf Pfählen wie die der 200 Nachbarn auch. Auf Flores ist | |
der Tourismus noch nicht so groß wie auf Bali, auf Java, trotzdem hat die | |
Welt die Insel gestreift. Hasniati kannte Leute, die in Dubai, in Khatar, | |
in Bahrein als Dienerinnen, als Hausangestellte, als Knechte arbeiteten. | |
Agenturen vermitteln. Von dem Geld, das sie nach Hause schicken, werden | |
Mofas gekauft, Häuser repariert, Schulgelder bezahlt. | |
Auch Hasniati geht. Im Dezember 2002 landet sie in Kairo und wird zu einem | |
jemenitischen Diplomaten gebracht. Er ist Witwer. Hasniati, mit ihren | |
damals 25 Jahren selbst schon Witwe, weiß nicht, ob das seinen Charakter | |
erklärt. "Viel später erst habe ich verstanden: Er ist ein schlechter | |
Mensch." | |
Auf der Fahrt vom Flughafen in Kairo sitzt Anisia, eine Indonesierin von | |
der Rekrutierungsagentur, mit im Auto. Sie schwärmt von der Güte des | |
Diplomaten. Einzig zu ihr wird Hasniati ab jetzt noch Kontakt haben, aber | |
Anisia will nicht hören, was Hasniati erzählt. Sagt Hasniati, wie der | |
Diplomat sie behandelt, antwortet Anisia, er sei ein guter Mensch. Sagt | |
sie, dass sie nach Hause will, antwortet Anisia; "Bleib!" Fragt Hasniati | |
sie nach ihrem Geld, meint Anisia, das sei nach Flores gegangen. | |
Mit ihrer Familie darf Hasniati nicht telefonieren. Der Vater, die | |
Geschwister glauben bald, sie sei tot. Denn Briefe zu schreiben, verbietet | |
ihr der Jemenite auch. Er errichtet eine Haremsmauer um die Frau. Sie hat | |
ihm zu dienen. Bald nach ihrer Ankunft, schlägt er zu. | |
Die Indonesierin, die in Vorbereitung auf ihren Job etwas Arabisch gelernt | |
hat, wird vom Diplomaten herumkommandiert. Mach dies! Mach das! Das ist | |
nicht sauber! Das ist falsch! "Eigentlich war immer alles falsch", sagt | |
Hasniati. Das Wort "eigentlich" fällt oft. Es klingt wie sepetulnja. Das | |
Indonesische sei eine sehr vorsichtige Sprache, erklärt die Dolmetscherin. | |
Man vermeidet es, Personen direkt zu benennen, man spricht im Passiv. "Ich | |
wurde eingesperrt." "Ich bekam eigentlich nur rationiertes Essen." "Ich | |
wurde nicht bezahlt." "Ich durfte nicht Fernsehen, auch nicht aus dem | |
Fenster schauen." "Ich wurde geschlagen." Von wem? Das bleibt ungesagt. | |
Auch in Deutschland nennt man keine Namen von Leuten, die nicht verurteilt | |
sind. Da trifft sich das Zurückhaltende der indonesische Sprache mit dem | |
hiesigen Kodex. Weil der Diplomat Immunität genießt, gibt es gegen ihn aber | |
noch nicht einmal Kläger. Nur soviel: Der Mann, der Hasniati gefangen | |
hielt, ist bis Ende Januar 2008 in Berlin Kulturattaché eines Landes, in | |
dem 75 Prozent der Frauen Analphabetinnen sind, die Beschneidung von Frauen | |
weit verbreitet ist, und die Scharia gilt. Bis vor kurzem war sein Foto auf | |
der Website der Botschaft. Er hat schwarze Haare, schwarze Augen, einen | |
schwarzen Schnurrbart. Um seinen Mund liegt ein bitterer Zug. | |
Irgendwann ist das negative Abhängigkeitsverhältnis zwischen Hasniati und | |
dem Diplomaten perfekt. Mit leiser Stimme erzählt sie, wie sie, sobald sie | |
den Schlüssel im Schloss hört, zu einem Nichts wird. "Ich hatte Angst", | |
sagt sie. Kaum in der Wohnung, ruft er sie. Ist sie zu langsam, starrt er | |
sie an, scharrt mit den Füßen. Sie weiß nie, was kommt. | |
Es klingt, als behandelte er sie wie ein Haustier, wie einen Hund. "Ja, das | |
kann man so sagen", nickt sie. Passt ihm etwas nicht, packt er sie am | |
Kragen, verteilt Kopfnüsse. Findet er Staub, schmiert er ihn ihr ins | |
Gesicht. Meint er, etwas sei dreckig, wirft er es ihr vor die Füße. | |
Zerbricht es, ist sie schuld. Hasniati streicht mit dem Finger über den | |
Tisch, demonstriert am Gesicht der Dolmetscherin, wie er den Staub an ihr | |
abwischte. Sie lacht leise. Nur wenn er weg ist, traut sie sich ans | |
Fenster. | |
Im November 2004 nimmt der Diplomat sie gegen ihren Willen mit nach Berlin. | |
Er zieht in ein Loft am Potsdamer Platz. Sie bleibt eingesperrt. Konnte sie | |
nicht um Hilfe rufen? "Wie", fragt sie. Deutsch kann sie nicht, Englisch | |
auch nicht. "Die Leute schauen doch nicht nach oben, wenn sie durch die | |
Straßen gehen", sagt sie. Vom Fenster aus kann sie nur "IMAX" lesen, so | |
heißt ein Kino am Platz. Zweieinhalb Jahre lang. Zeit, die ihr fehlt. | |
IMAX-Zeit. | |
Im April 2007 endet ihre Gefangenschaft. Hasniati wird in ein Berliner | |
Krankenhaus eingeliefert. Sie hat Tuberkulose und wiegt 35 Kilo. | |
Einssechzig ist sie groß. Die Ärzte werden misstrauisch, täglich taucht ein | |
Araber auf, der die Herausgabe der schwerkranken, unterernährten Frau | |
fordert. Das Krankenhaus wendet sich an die indonesische Botschaft und an | |
Ban Ying. Als die Dolmetscherin des Vereins an ihrem Bett steht und ihr | |
anbietet, sie da rauszuholen, hält Hasniati sie im Fieber für Anisia, die | |
Frau der Agentur. | |
Ban Ying setzt sich für Hasniati ein. Dass sie die Wahrheit sagt, ist | |
unstrittig. Über die Härtefallkommission erhält sie eine | |
Aufenthaltserlaubnis. Auch das Auswärtige Amt schaltet sich ein. | |
Diplomaten, die Hausangestellte mitbringen, verpflichten sich, diese mit | |
750 Euro im Monat zu entlohnen. Der Diplomat schuldet Hasniati über 20.000 | |
Euro allein für die Zeit, die er sie in Berlin versklavte. Nur dafür kann | |
er belangt werden. Vertretern des Auswärtigen Amtes sagt er, er hätte | |
bezahlt. Man bittet um Belege. Sie kommen nicht. | |
Hätte der Diplomat gezahlt, niemand hätte von ihrer Geschichte erfahren. | |
Weil kein Geld kam, wandten sich Hasniati und Ban Ying im Januar 2008 an | |
die Öffentlichkeit. Eingehüllt in eine dicke Jacke und mit pfirsichfarbenem | |
Wollschal um den Hals berichtet sie von ihrer Gefangenschaft. "Morgens | |
bekam ich eine Scheibe Brot, ein Glas Tee. Abends Reis, eine Tomate und | |
Chilischoten." Schwer zu glauben, dass sie nie den Kühlschrank aufmachte. | |
"Sein Verbot hat gereicht", sagt sie. Ohnehin zählte er das Essen ab. Sogar | |
die Zuckerstückchen für den Tee. "Ich bekam vier." | |
Und beim Kochen? Hat sie nie den Finger in den Topf gesteckt? "Nein." In | |
der Tür war ein Spiegel, so überschaute er vom Wohnzimmer aus auch die | |
Küche. Der Diplomat kennt sich aus mit dem Handwerkszeug der Unterwerfung: | |
Kontrolle, Erniedrigung, Deprivation. Dazu gehört, dass sie keine Decke | |
bekam, um sich nachts zuzudecken. Dazu gehört auch, dass sie nicht weglief, | |
wenn er am Wochenende mit ihr nach Hannover fuhr. Dort musste sie seinem | |
Sohn die Wohnung zu putzen. Gewehrt hat sie sich nicht. "Nur manchmal | |
nannte ich ihn in meiner Heimatsprache, die auf Flores gesprochen wird, | |
,Satan'." | |
Man muss zurück zum Anfang, um Hasniati zu verstehen. Man muss andere | |
Fragen stellen. Hat sie Kinder? Hasniati, versteht, nickt. Wie viele? | |
"Zwei", antwortet sie. Auf Deutsch. Die fremde Sprache legt sich zwischen | |
ihre Gefühle und das, was sie sagt. Wie alt sind sie? "Die Tochter ist | |
sieben, der Junge neun, glaube ich." Wie ein Echo hängt dieses "Glaube ich" | |
in der Luft. "Glaube ich" setzt eine Grenze. Bis hierher fragen, nicht | |
weiter. Aber man muss weiterfragen. Hat sie Schuldgefühle ihren Kindern | |
gegenüber? "Ja, weil ich sie nicht schützen konnte." Wo sind die Kinder | |
jetzt? "Bei der Schwester des verstorbenen Mannes." Zu der sagen sie | |
Mutter. Wie war das, nachdem ihr Mann tot war? "Man hat sie mir | |
weggenommen." | |
Kinder gehören auf Flores zur Vatersfamilie. Das ist Adat, traditionelles | |
Recht. Auch dass sich eine Frau den Mann nicht selbst aussucht. Nach dem | |
Tod ihres Mannes werden Hasniatis Kinder von dessen Verwandten entführt. | |
Ihr Vater versucht noch, sie zurückzuholen, wird aber weggejagt. In seiner | |
Enttäuschung schlägt er Hasniati, er gibt ihr die Schuld. Ist eine Frau | |
ohne Mann auf Flores nichts wert? "Das kann man eigentlich so sagen", | |
antwortet sie. Sepetulnja. Das ist es. Der Diplomat hatte leichtes Spiel. | |
Jetzt lassen sich auch andere Fragen stellen: Ob es sexuelle Übergriffe | |
gab. Sie schüttelt den Kopf. Wie sie die Jahreszeiten wahrgenommen hat. | |
"Ich merkte, dass es in Berlin kalt war." Sie hatte ja nur die Kleidung, | |
die sie mitgebracht hatte. Nicht einmal Unterwäsche kaufte er ihr. "Sie | |
kriegt welche, wenn sie nach Indonesien fährt", sagte sein Sohn. | |
Hasniati will weg. Aber wie? "Ich konnte nicht mehr denken." Da läuft sie | |
anders weg. Sie wird krank. Im Winter 2006 beginnt sie zu husten. Vier | |
Monate später kann sie nicht mehr aufstehen, wenn er sie ruft. Sie liegt | |
mit Schüttelfrost auf dem Bett, zugedeckt mit ihrem Sarong und einer Jacke. | |
Eines Nachts kommt er ins Zimmer und sagt: "Okay, ich kauf eine Decke." | |
Sogar Brot und Tee will er ihr geben, aber sie kann ja schon fast nicht | |
mehr atmen. Ein paar Tage später bringt er sie ins Krankenhaus. | |
Das Auswärtige Amt hat mittlerweile auch den Druck auf die jemenitische | |
Botschaft erhöht. Schließlich verspricht der Botschafter, die Schulden zu | |
bezahlen, falls der Peiniger es nicht tut. Inzwischen hat Hasniati das | |
Geld. Sie will in Deutschland bleiben. Will arbeiten. Lernen. Der | |
Deutschkurs gefällt ihr. Sie fühlt sich jetzt frei. Und ihre Kinder? Sie | |
antwortet nicht. Dann doch: "Irgendwann ist vielleicht alles wieder ganz | |
anders", sagt sie. Sie schaut aus dem Fenster. | |
27 Mar 2008 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
Waltraud Schwab | |
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Haushaltshilfe | |
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jemenitischer Diplomat über Jahre hinweg einsperrte. Sie soll zumindest | |
ihren Lohn nachträglich erhalten. | |
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ein, schlug sie, bezahlte den Lohn nicht. Die deutschen Behörden sind | |
machtlos, da Diplomaten Immunität genießen. |