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# taz.de -- Neonazis: Ausstiegshilfe für die rechte Großmama
> Die Initiative Exit will sich jetzt auch um die Familien ehemaliger
> Neonazis kümmern. Rund 20 Anfragen habe man schon bekommen.
Bild: Machen ihren Familien Kummer: Glatzköpfe aus der rechten Szene.
Über 20 Jahre gehörte Tanja Privenau zum Kern der Neonazi-Szene in
Deutschland. Als sich die heute 36-Jährige 2002 zum ersten Mal an das
Bundesamt für Verfassungsschutz wandte und um Hilfe bat, seien die
Sicherheitsbehörden völlig überfordert gewesen, erzählt sie. "Die hätten es
lieber gesehen, ich bleibe dort, wo ich herkomme."
Erst vor drei Jahren stieß sie auf die Neonazi-Aussteiger-Initiative "Exit
Deutschland". "Der Ausstieg war ein ganz schöner Sprung ins Ungewisse",
erinnert sich Privenau. Ihr Problem: Nicht nur ihre Freundinnen und Freunde
waren Rechtsextremisten, sondern auch ihr Ex-Ehemann, ihre Mutter und ihr
Stiefvater. "Die Familie mit ihrem Insiderwissen war ein viel schärferer
Gegner", erinnert sich Privenau. Sie hat sich dennoch für den Ausstieg
entschlossen.
Damit die Behörden Ausstiegswilligen wie Tanja Privenau schneller Hilfe
vermitteln können, hat Exit nun ein Projekt gestartet, das sich verstärkt
dem familiären Umfeld widmet. "Wir haben das rechtsextreme Potenzial in
Familien lange Zeit unterschätzt", sagte Exit-Gründer Bernd Wagner am
Donnerstag. Schon seit der Gründung von Exit im Jahr 2000 habe es einen
"massiven Bedarf" bei der Beratung von Familien gegeben, sagte Wagner; seit
einiger Zeit würden sich seine Mitarbeiter nun um dieses Problem kümmern.
Aber erst mit der jetzt gestarteten Initiative werde der Fokus auf Menschen
gesetzt, deren Verwandte zur rechtsextremen Szene gehören. Erfahrungen
ehemaliger Neonazis hätten gezeigt, dass Auseinandersetzungen mit der
Familie wichtig waren, um Fragen zur rechtsextremen Ideologie zu
entwickeln, erste Zweifel hervorzurufen und damit überhaupt die Grundlage
für einen möglichen Ausstieg zu schaffen, so Exit. Daran will die neue
Familienhilfe anknüpfen. Rund 20 Anfragen von betroffenen Familien habe es
bereits gegeben, zehn Familien werde konkret geholfen.
"Anfragen kommen aus allen sozialen Schichten", sagte Dierk Borstel, der
diese neue Form der Hilfe maßgeblich koordinieren wird. Das Programm
unterscheide sich von gewöhnlichen Familienhilfen vor allem darin, dass die
Exit-Mitarbeiter die Erfahrungen von Betroffenen nutzen und Familien zu
Selbsthilfegruppen zusammenschließen wollen. "Rechte Aussteiger sollen
zeigen, dass es ein Leben jenseits der Neonazi-Szene geben kann", sagte
Borstel. Er ist sich sicher, dass "Personen mit ähnlichen Erfahrungen" sich
untereinander am besten beraten können. Neben individuellen Beratungsplänen
für die Ausstiegswilligen plant Exit unter anderem die deutschlandweite
Vernetzung von Jugendlichen, Familien und sogar Großeltern.
Auch Aussteigerin Privenau will sich beratend am Exit-Familienprogramm
beteiligen. Sie ist Mutter von fünf Kindern und hat so ziemlich alles
durchgemacht, was an neonazistischen und rechtsextremen Aktivitäten in den
vergangenen zwei Jahrzehnten möglich war. Sie war Mitglied der inzwischen
verbotenen nazistischen Organisation "Freiheitliche Deutsche
Arbeiterpartei" (FAP), half beim Aufbau neuer Kameradschaftsstrukturen mit
und engagierte sich zudem in völkischen Organisationen wie der
rassistischen "Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft" des
Hamburger Neonazis Jürgen Rieger. "Ich war Überzeugungstäterin und habe das
auch gelebt", erzählt die Aussteigerin.
Ihre Kinder hätten schon viel früher die politische Gesinnung ihrer Eltern
angezweifelt. Trotz des familiären Hintergrunds sei heute keiner von ihnen
rechtsextrem, so Privenau. "Hätten die Behörden bei ihrem
Ausstiegsentschluss anders getickt, hätte man aber auch meine Mutti aus der
rechten Szene herausbekommen."
27 Mar 2008
## AUTOREN
Felix Lee
## TAGS
Rechtsextremismus
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