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# taz.de -- Yasmina Rezas Sarkozy-Buch: Abstürze in die Banalität
> Getriebener, Kandidat, Normalo: Yasmina Reza hat ein Buch über Nicolas
> Sarkozy geschrieben. Und über die Inszenierung einer politischen Person.
Bild: Wahlkampf!
Ein Jahr lang begleitete die erfolgreiche Dramatikerin Yasmina Reza den
Kandidaten Nicholas Sarkozy bei seinem Wahlkampf. Nur fünf Monate nach der
Wahl erschien ihr Buch in Frankreich, das auf Deutsch den Titel
"Frühmorgens, abends oder nachts" trägt. Es löste bei Medien und Publikum
erwartungsgemäß starkes Interesse aus. Da hatte eine namhafte Autorin
Zugang zur Bühne der Macht gehabt, von dessen inneren Gesetzen viele
meinen, sie seien undurchschaubar. Doch bei der Buchpräsentation im
Berliner Ensemble am Sonntagmorgen überraschte die Autorin mit der Aussage,
dass sie kein Buch über die Macht geschrieben habe - und somit auch keins
über den heutigen Präsidenten Frankreichs, sondern eben über einen
Kandidaten.
Mit der Idee, Sarkozy zu porträtieren und dies darüber hinaus literarisch
umzusetzen, was zu unterschiedlichen Deutungen einlädt, kommt sie der in
demokratischen Gesellschaften immer virulenten Unsicherheit entgegen: Im
Zerrspiegel der Medien, heißt es hier ja gerne, sei das "wahre" Bild
prominenter Volksvertreter nicht mehr zu erkennen. Schon vor der
Veranstaltung konnte man sich von ihrem wundervollen, ja poetischen Buch
bezaubern lassen. Die elegante, aufmerksame Frau in einem geschmackvoll
zebragestreiften Kostüm beeindruckte im BE vollends mit einem bescheidenen
wie selbstbewussten Auftritt.
Moderatorin Elisabeth von Thadden (Die Zeit) fragte eingangs, warum Yasmina
Reza kein Theaterstück geschrieben habe. Die politische Bühne des
Wahlkampfes mit der Hauptfigur Sarkozy war wohl zu stark, um diesen Stoff
in ein Drama umzuarbeiten, deutete Reza an. Aber mal abgesehen von der
Entscheidung, Prosa zu schreiben: Schon vor dem Start ihres Projektes
begegneten die Vertreter der Kultur dem Kandidaten der Konservativen, der
zu diesem Zeitpunkt Innenminister war, äußerst reserviert. Reza musste, um
das Buch realisieren zu können, sogar den Verlag wechseln.
In der Warnung ihres Umfelds, sie würde von Sarkozy und seiner Entourage
derart eingenommen, dass sie ihre Integrität als Beobachterin verlöre,
erkannte sie allerdings das Potenzial des Stoffes: Wenn die anderen
wegschauen, dann schaut sie lieber genau hin. Herausgekommen ist ein 180
Seiten langes Buch, das eine getriebene wie die Geschehnisse antreibende
Figur im Brennpunkt unterschiedlicher Wahrnehmungen zeigt - und sie im
Spiegel ihrer Selbstwahrnehmung erneut bricht. Für einen kurzen Moment
schien es, als ob Reza an diesem milden Frühlingsmorgen den Vorwurf
zulasse, sie habe einen Präsidentschaftskandidaten gezeigt, wie er sich
durch ihre Brille präsentiert - der wirkliche Sarkozy sei dabei verloren
gegangen.
Dabei ist sie für grobe Argumentationen aber wohl einfach nur zu subtil.
Einerseits ist Reza bewusst, dass sie dem Leser ihren Blick bezüglich der
Deutung einer öffentlichen Figur aufzwingt. Andererseits weiß sie auch um
den unausgesprochenen Konsens über das Was und vor allem das Wie der
politischen Berichterstattung Bescheid. Es ist aber gerade diese Lücke, die
durch ihre nur scheinbar entpolitisierte Perspektive entsteht, die Yasmina
Reza nutzt - und damit das Politische umso deutlicher hervorkehrt. In der
Fokussierung auf einen Mann, dessen Aktivitäten als Kandidat sich in
Zusammenarbeit mit einem Apparat in erster Linie darauf richten, die
Mehrheit von seiner Kompetenz zu überzeugen, offenbaren sich die
Mechanismen im Inneren der Teilnehmer und der Apparatur sowie ihre
gewollten wie ungewollten Effekte.
So beschreibt Reza den Kandidaten etwa mit seinen Abstürzen in die
Banalität, wenn er zum Beispiel in einer Wahlkampfpause ein Magazin
durchblättert und die Reklame einer Rolex preist - wo er natürlich in der
Momentaufnahme dumpf wirken muss. Vor allem ist dies aber ein schönes Bild
für die gelegentliche inhaltliche Aushöhlung, die die
Wettbewerbsbedingungen mit sich bringen, wenn man fortwährend
unterschiedlichen Erwartungen der Wähler gerecht sein möchte. In einer
anderen Passage beschreibt sie Sarkozy, wie er Werbespots ohne jede
Vorbereitung nach nur einem Take glänzend bewältigt. Warum die Autorin ihr
Porträt explizit für kein Abbild der Macht erklärt, ist wiederum nur
verständlich, wenn man die Antinomien mitberechnet, die von der
porträtierten Figur ausgehen.
Die wiederum werden im Zusammenhang mit der ebenfalls beobachteten
"Privatperson" Sarkozy erkennbar - und eben das macht den poetischen Gehalt
des Buches aus. Die auf Zukünftigkeit gerichteten Eigenschaften des
Kandidaten interpretiert Reza eben nicht als Klischee der Unruhe des
Tatmenschen, sondern als den von Sarkozy unbewusst hervorgerufenen Tod
seiner "Jugend", als Häutung zur Erwachsenheit der Präsidentschaft. Ihre
Darstellung rückt sie somit in die abendländische Tradition der
Auseinandersetzung um Herrschaft und ihre sozialen Echos. Reza bewältigt
diesen Stoff mit Bravour.
1 Apr 2008
## AUTOREN
Manuel Karasek
## TAGS
Roman
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Roman „Serge“ von Yasmina Reza: Anstrengende Menschen
Die französische Autorin Yasmina Reza hat ein Konversationsdrama in
Prosaform geschrieben. Es geht um einen Familienausflug nach Auschwitz.
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