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# taz.de -- Stasi-Skandal bei "Berliner Zeitung": Dann leben sie noch heute
> Wie soll mit jenen "Berliner Zeitung"-Journalisten umgegangen werden, die
> für die Stasi arbeiteten? Ossis stellen die Frage lieber nicht, Wessis
> haben Antworten.
Bild: Symbol für Langzeitprozess Wiedervereinigung: Redaktionshaus der "Berlin…
Die Berliner Zeitung ist im Moment eine äußerst anregende indirekte Lektüre
- als Ganzes genommen fungiert sie als Symbol für den Langzeitprozess
Wiedervereinigung, erhellend ist sie zwischen den Zeilen und ausgesprochen
aufklärend dort, wo man es nicht erwartet: Zum Beispiel unter der Rubrik
"Leserbriefe".
So gibt der Leser Klaus Wolfram aus Berlin, "Stasi-Opfer", eine recht
eindeutige, klare Antwort auf die Frage, wie denn nun mit dem Journalisten
Thomas Leinkauf umzugehen sei, der früher für die Staatssicherheit tätig
war, also zu den "Stasi-Tätern" gehört: "Wir haben uns vor und nach 1989
längst ausgesprochen". Auch wenn nicht alle von dieser Zuarbeit des
damaligen Studenten (!) Thomas Leinkauf Betroffenen dies heute so sehen
mögen, wirft dieser Brief doch Licht auf eine schwierige
Auseinandersetzung, die sich unter dem Druck fetter Anklage-Überschriften,
ob nun vonseiten der Welt oder anderer Westankläger, noch schwieriger
gestaltet.
Bei der Berliner Zeitung geht nun die Angst vor der Akte um, bzw. die Angst
vor der CD-ROM. Doch nicht nur dort: Es gibt für fast alle ehemaligen
DDR-Bürger gute Gründe für diese Angst. Bei manchen zu Recht, weil sie
schlicht Täter waren. Doch so mancher scheut sich auch heute noch, eine
Akteneinsicht zu beantragen, weil er lieber gar nicht wissen möchte, wer
seiner Freunde, Verwandten oder Lebenspartner ihn damals angeschwärzt hat -
oder wer womöglich erst zum Freund wurde, weil er ursprünglich von "der
Firma" dazu angehalten wurde, und dann einfach blieb. Und möchte man
wirklich ganz genau wissen, wie es damals war, als einen die eigenen Eltern
denunziert haben? Möchte man diese Angelegenheit mit ihnen bereden und sie
damit womöglich ins Grab bringen? Es gibt natürlich Menschen, die gerne
noch mal nachtreten, wenn jemand schon am Boden liegt.
Von der vermeintlich höheren Warte aus gestalten sich die Dinge bekanntlich
übersichtlicher. Ein Westler muss - in der Regel zumindest - keine Angst
vor Marianne Birthlers Akten haben. Er war weder Täter noch Opfer, sondern
nur Zuschauer, der die meiste Zeit von "40 Jahre DDR" einfach nicht
mitbekommen und sich trotzdem eine Meinung gebildet hat. So musste denn der
gelernte DDR-Bürger und Journalist Hagen Boßdorf, ehemaliger
ARD-Sportkoordinator, seinen Stuhl nicht räumen, weil er sich der üblichen
pekuniären Westkorruption schuldig gemacht hatte. Es war die Ostkorruption,
Mitarbeit bei der Staatssicherheit, die es ganz einfach gemacht hat, ihn zu
verurteilen.
Sich im eigenen System, dem westlichen in diesem Fall, irgendwie
durchzuwursteln gilt als legitim, und man ist geneigt, Verständnis für die
Irrungen und Wirrungen der Protagonisten aufzubringen: Man nennt das dann
"gebrochene Biografie". Oder Vergesslichkeit - wer weiß schon noch so
genau, ob er als Jugendlicher das Seepferdchen-Schwimmabzeichen gemacht hat
oder bei der Waffen-SS war.
Im Osten gehen die meisten Menschen mit der Stasi-Vergangenheit genauso um
wie mit der Stasi, als es sie noch gab: Am besten hält man die Füße still,
dann passiert auch nichts. Und im Westen zeigt man zum einen eine gewisse
Faszination am Bösen - interessante Persönlichkeit, dieser Markus Wolf -
und zum anderen eine gewisse Lust an der Gewissheit, zumindest in dieser
Hinsicht ein reines Gewissen haben zu können. Gelegentlich können diese
Akten auch ganz nützlich sein. Dann nämlich, wenn man jemanden mal
ordentlich eine reinsemmeln will. Wenn es darum geht, gewisse Leute auf
ihre Plätze zu verweisen. Besonders, wenn sie sich jetzt über das Vehikel
Linkspartei auch noch trauen, sich in die Angelegenheiten des Westens
einzumischen. Was die sich erlaubt, die bucklige Ostverwandtschaft.
Was hat die eigentlich getrieben all die Jahre? Steht auch alles in der
Berliner Zeitung, die im Gegensatz zu traditionellen Westmedien die
DDR-Vergangenheit und das Geschehen im heutigen Ostdeutschland stets im
Blick hat. Fünf Seiten vor der Selbstberichterstattung zur
Stasi-Vergangenheit wird das Ende der filmischen Langzeitbeobachtung. "Die
Kinder von Golzow." besprochen. Ein ganzes DDR-Leben lang - und darüber
hinaus - hatten die Filmemacher 18 Einwohner des Oderbruchdorfs Golzow
begleitet: "Es zeigt uns, wie Menschen zu dem werden, was sie später sind;
wie entscheidende Prägungen durch gesellschaftliche Bedingungen, hier die
der DDR, ein Leben lang wirksam bleiben - auch nach einem Systemwechsel",
schreibt die Rezensentin. Der Film trägt den Titel: "Und wenn sie nicht
gestorben sind ". Dann leben sie noch heute, und wer dieses Leben verstehen
möchte, könnte 2.570 Minuten Filmmaterial sichten - um sich ein besseres
Urteil zu bilden.
4 Apr 2008
## AUTOREN
Martin Reichert
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