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# taz.de -- Die Spekulation mit Nahrungsmitteln: Geld macht Hunger
> Seit der Weizenpreis steigt und steigt, sehen Kapitalanleger in den
> Rohstoffen lohnenswerte Investitionsobjekte.
Bild: Anstehen für Reis auf den Philippinen: Wie weit die Spekulanten die Prei…
Kapitalkräftige Investoren haben es zurzeit schwer: Wohin bloß mit dem
Geld? Aktien versprechen kaum noch steigende Kurse, seit die
Immobilienkrise um sich greift. Und Gold ist auch schon so teuer, dass kaum
noch weitere Gewinne zu erwarten sind. Bleibt ein Markt, der sonst eher ein
Schattendasein führt: Die Spekulanten haben die Agrarrohstoffe entdeckt. Um
90 Prozent ist etwa der Weizenpreis seit dem vergangenen Jahr gestiegen -
das beflügelt die Anlegerfantasie und lässt weltweit die Lebensmittel
teurer werden. Schon warnt das UN-Welternährungsprogramm, dass seine Mittel
nicht mehr ausreichen, um die Ärmsten zu versorgen. Auch Weltbank und
Internationaler Währungsfonds machten den drohenden Hunger zum Thema ihrer
Frühjahrstagung in Washington.
Wie weit die Spekulanten die Preise für Weizen, Soja, Reis oder Mais in die
Höhe treiben - das allerdings kann niemand sagen. "Dazu gibt es keine
offiziellen Zahlen", sagt Chris-Oliver Schickentanz von der Dresdner Bank.
Bei den Agrarrohstoffen sei nicht bekannt, wer genau die Terminkontrakte
unterzeichnet. So lässt sich nicht unterscheiden, ob ein Investmentfonds
auf steigende Weizenkurse spekuliert oder ob ein großer Viehzüchter nur
seine Futtertanks auffüllen will. Aber die Tendenz sei klar: "Die
spekulativen Positionen haben deutlich zugenommen", so Schickentanz zur
taz.
Und der Preisanstieg bei den Agrarrohstoffen dürfte längst noch nicht zu
Ende sein, denn noch immer wird den Anlegern geraten, in Agrarrohstoffe zu
investieren. "Wir glauben, dass die Kursrallye in ihren Kinderschuhen
steckt", schreiben etwa die Rohstoffanalysten der Deutschen Bank in ihrer
neuesten Studie. Ein Grund: Noch längst hätten die Agrarrohstoffe ihre
Allzeithochs aus den 70er-Jahren nicht erreicht. So kostete der Weizen 1974
- in heutigen Preisen - knapp 22 Dollar pro Bushel (das sind 27,2 Kilo).
Heute liegt das Bushel erst bei 9 Dollar, obwohl sich der Weizenpreis in
den letzten drei Jahren schon um 181 Prozent erhöht hat. Da ist also noch
viel Raum für "Bullenoptimismus", wie es an der Börse heißt, wenn Anleger
auf steigende Kurse hoffen.
Allerdings ist die Macht der Spekulanten begrenzt: Kurzfristig können sie
zwar die Kurse nach oben oder unten treiben - "aber langfristig setzen sie
keine Trends", sagt die Rohstoffanalystin von der DekaBank, Dora Borbély,
zur taz. Denn letztlich entscheiden die "Fundamentaldaten", auch reale Welt
genannt, ob sich die virtuellen Fantasien der Investoren erfüllen.
Doch auch die konkreten Fakten sprechen dafür, dass die Agrarpreise weiter
steigen. Schließlich nimmt die Weltbevölkerung noch immer zu; im Jahr 2000
gab es 6 Milliarden Menschen, 2050 dürften es 9 Milliarden sein. Aber das
ist ja noch simple Arithmetik. Viel wichtiger für die Investoren ist ein
anderer Trend, da sind sich alle Analysten einig: Der Wohlstand in den
Schwellenländern nimmt zu - und damit der Fleischkonsum. Allein in China
stieg der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch in den vergangenen zwanzig Jahren
von 20 auf 50 Kilo. Tiere aber sind extrem schlechte Futterverwerter, sie
sind das Synonym für Energieverschwendung. Für ein Kilo Fleisch müssen rund
7 Kilo Getreide verfüttert werden. "Auf 85 bis 90 Prozent" schätzt
Schickentanz den Anteil, den der erhöhte Fleischkonsum an den steigenden
Agrarpreisen hat. Der zunehmende Anbau von Energiepflanzen für Biosprit
mache hingegen nur maximal 15 Prozent aus. Auch der Ökonom Harald von
Witzke von der Berliner Humboldt-Uni meinte zur taz: "Selbst ohne
Bioenergie würden wir diesen Trend bei den Nahrungsmitteln sehen."
Inzwischen sind die Getreidevorräte so knapp wie seit 25 Jahren nicht mehr.
Laut UN-Welternährungsorganisation (FAO) betragen sie derzeit 405 Millionen
Tonnen und könnten dieses Jahr um weitere 5 Prozent sinken. Um den
zunehmenden Bedarf an Lebensmitteln zu decken, fordert der
Weltlandwirtschaftsrat, dass künftig vor allem die nachhaltige
Landwirtschaft und Kleinbauern gefördert werden sollten. Zuvor hatten 400
Wissenschaftler gemeinsam mit Regierungen, Industrie und
Nichtregierungsorganisationen drei Jahre lang Forschungsergebnisse
ausgewertet, um Strategien gegen den Hunger zu entwickeln. Das Ergebnis:
Zwar haben industrielle Monokulturen und gentechnisch veränderte Pflanzen
die Produktion deutlich gesteigert - aber lokale Anbaupraktiken, die die
Versorgung der Bevölkerung sicherten, seien zerstört worden. Die
Pflanzenvielfalt wurde stark eingeschränkt.
Fabrice Dreyfus, einer der Autoren der Studie, hofft auf einen
"Paradigmenwechsel": Nur wenn mit BöConclusio den, Wasser, Wäldern und
Tieren schonend umgegangen werde, sei ein dauerhafter Ausweg aus der
Ernährungskrise möglich. Gleichzeitig fordern die Wissenschaftler, dass die
Industrieländer ihre Agrarsubventionen stark einschränken, die viele
Kleinbauern in den Entwicklungsländern vom Markt drängen.
Auch die deutschen Grünen wollen das jährliche EU-Budget von 50 Milliarden
Euro nach sozialen und ökologischen Aspekten verteilt wissen. "Der
Wettbewerb muss fairer gemacht werden", sagte die Fraktionsvorsitzende
Renate Künast zur taz. Mehr Geld soll demnach bekommen, wer beispielsweise
ohne chemischen Dünger auskommt und Arbeitsplätze bietet. Doch die
EU-Kommission verfolgt einen anderen Weg: Sie schlägt derzeit nur vor, die
Agrarprämien umso stärker zu kürzen, je höher die Subventionen für einen
Betrieb sind. Doch selbst diesen Plan haben die deutschen
Landwirtschaftsminister erst vergangene Woche abgelehnt.
Doch wie immer die weltweite Landwirtschaftspolitik schließlich aussieht:
Boden und Wasser sind knappe Güter, "die den Zuwachs an Agrarrohstoffen
begrenzen werden", wie die Deutsche Bank schreibt. Die steigende Nachfrage
könne also nicht ausreichend befriedigt werden. Conclusio des Instituts:
Die Kursrallye sei noch nicht zu Ende.
17 Apr 2008
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
Christine Zeiner
## TAGS
Argentinien
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