# taz.de -- Verbraucherinformationsgesetz in Kraft: Kein Rezept gegen Gammelfle… | |
> Ab sofort können sich Verbraucher genauer über ihre Nahrungsmittel | |
> informieren. Theoretisch. Anwenderfreundlich ist das | |
> Verbraucherinformationsgesetz nämlich nicht. | |
Bild: Der nächste Gammelfleischfall wird zeigen, ob das neue Gesetz Meilenstei… | |
Das Fleisch suppt in seiner Verpackung. Seine ehemals rote Farbe ist einem | |
fahlen Braungrau gewichen, Kondenswasser hat sich an der Plastikfolie | |
abgesetzt. Aus der Packung strömt ein süßlicher Geruch. Zum menschlichen | |
Verzehr nicht mehr geeignet, würden Lebensmittelchemiker über das Stück | |
Rindfleisch sagen. | |
Gammelfleisch, Pestizide in Obst und Gemüse, Antibiotika im Käse: Gegen | |
Ungesundes in Lebens- und Futtermitteln, Spielzeug, Textilien und Kosmetika | |
ersann die Politik das Verbraucherinformationsgesetz (VIG). Das Ziel: dem | |
mündigen Verbraucher, der selbst entscheidet, welche Pestizide sein Obst | |
enthalten darf, näher zu kommen. Die Methode: dem Konsumenten den Zugang zu | |
Informationen zu ermöglichen, die bislang bei Behörden unter Verschluss | |
liegen. Ab sofort haben Verbraucher einen Rechtsanspruch darauf. Was nach | |
Offenheit klingt, bedeutet in der Praxis in erster Linie Bürokratie: Um an | |
die Informationen zu kommen, muss er einen Antrag stellen und dann auf die | |
Antwort der Behörde warten. | |
Die Idee zu mehr Verbraucherinformationen ist nicht ganz neu: Seit Ende | |
2001 wurde an einem Gesetzesentwurf gebastelt. Dabei ist er an ziemlich | |
allen Ecken gescheitert, an denen ein Gesetzesentwurf scheitern kann: Von | |
den Grünen eingebracht, zunächst blockte der Koalitionspartner SPD, in | |
einem neuen Anlauf der Bundesrat und schließlich verweigerte | |
Bundespräsident Horst Köhler seine Unterschrift. | |
Nun ist es da und gleich als reformbedürftig kritisiert. Das | |
Verbraucherinformationsgesetz ist eine Mogelpackung, sagt Manfred Redelfs, | |
Leiter der Rechercheabteilung bei Greenpeace. Für den Verbraucher gebe es | |
vor allem zwei Hindernisse: Kosten und Fristen. Stellt der Verbraucher | |
einen Antrag, hat die Behörde einen Monat Zeit, zu reagieren. Unter | |
Umständen verlängert sich die Frist auf zwei Monate. Das Fleisch an der | |
Theke ist dann längst verkauft, gegessen und alle Beweise ebenso. Stellt er | |
trotzdem einen Antrag auf Auskunft, weiß er vorher nicht genau, welche | |
Kosten auf ihn zukommen (siehe Kasten). Darüber hinaus ist die neue | |
Regelung nicht auf alle Produkte anwendbar. Medikamente, Elektrogeräte oder | |
auch Dienstleistungen fallen nicht unter das VIG. Denn der Gesetzestext | |
spricht vom Lebens- und Futtermittelgesetz sowie vom Weingesetz. Und selbst | |
wenn es so weit kommt, dass die Verbraucher informiert werden müssten, ist | |
unklar, was genau sie eigentlich erfahren. Das kann der Name des | |
Supermarktes sein, in dem die Ware verkauft wurde, oder der des | |
Herstellers, obwohl für den Verbraucher eigentlich die Chargennummer des | |
Kartons relevant wäre, kritisiert Martin Hofstetter, Landwirtschaftsexperte | |
von Greenpeace. | |
Ist ein Antrag gestellt und auch berechtigt, kann sich das Unternehmen | |
trotzdem leicht seiner Informationspflicht entziehen: Ein Hinweis darauf, | |
dass mit der Info ein Betriebsgeheimnis verraten würde, und das Unternehmen | |
kann sich teilweise schützen. Dazu kommt: Ist Obst mit Pestiziden belastet, | |
die aber unter dem Grenzwert liegen, muss der Verbraucher gar keine | |
Auskunft bekommen. Wohlgemerkt: muss nicht. Denn natürlich ist es denkbar, | |
dass eine Behörde für die Verbraucher in die Bresche springt und | |
unaufgefordert Informationen über belastete Lebensmittel preisgibt. | |
Es gibt zudem zu viele Stellen, an die sich die Verbraucher wenden können, | |
kritisiert die auf Verbraucherrecht spezialisierte Rechtsanwältin Michéle | |
John. Zuständig seien das Bundesinstitut für Risikobewertung, das Bundesamt | |
für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, ebenso wie verschiedene | |
Behörden auf Landes- und kommunaler Ebene. An wen sich der Verbraucher mit | |
seinem Anliegen wenden müsse, sei nur mit aufwändiger Recherche | |
herauszufinden. | |
Dass es prinzipiell anders geht, zeigt ein Beispiel in Dänemark. Hier gibt | |
es seit 2002 das Smiley-System. Wenn die Kontrolleure dicken Schimmelbelag | |
auf den Gummidichtungen der Kühltruhen finden oder Lebensmittel mit | |
abgelaufenem Haltbarkeitsdatum, dann müssen sich diese Geschäfte und | |
Restaurants mit einem traurigen Smiley an Eingangstür oder Schaufenster | |
schmücken. Das System ist ein Erfolg: Zwei von drei Dänen würden laut einer | |
aktuellen Umfrage in einem Restaurant mit einem traurigen Smiley keinen | |
Bissen essen. | |
Bei den Betrieben gaben acht von zehn an, dass das Bewertungssystem sie | |
veranlasst hat, mehr auf Hygiene und Lebensmittelkontrolle zu achten und | |
ihr Personal besser zu informieren. Ab dem 1. Mai gibt es aber auch hier | |
eine Neuerung: War die Bewertung bis jetzt auf einer speziellen Website zu | |
finden, müssen die Unternehmen sie nun auf ihrer Homepage veröffentlichen. | |
Auch das ist bei dem deutschen Gesetz anders: Eine aktive | |
Informationspflicht seitens der Behörden gibt es nicht; nicht einmal bei | |
einer Falschkennzeichnung, die immerhin eine Ordnungswidrigkeit ist, | |
erklärt Rechtsanwältin Michéle John. Ohne Antrag vermutlich keine Auskunft. | |
Das deutsche Gesetz schütze eher die Interessen der Lebensmittelindustrie | |
als die Interessen der Verbraucher, so Johns Fazit. | |
Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) sagt: "Dieses Gesetz ist ein | |
Meilenstein." Wer Recht behält, könnte sich beim nächsten | |
Gammelfleisch-Skandal zeigen. | |
2 May 2008 | |
## AUTOREN | |
S. Bergt | |
## TAGS | |
Gammelfleisch | |
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Machtlos ist er trotzdem nicht. |