# taz.de -- Jubiläum der Deutschen Sporthilfe: Eine Frage der Haltung | |
> Die Stiftung Deutsche Sporthilfe feiert den Gründungsakt ihrer Hall of | |
> Fame. Schon die ersten 40 Ruhmeskandidaten zeigen: Die Auswahl ist so | |
> diffus wie konfliktträchtig. | |
Bild: Ist er eigentlich irgendwo mal nicht dabei? | |
Werner Seelenbinder hatte sich viel vorgenommen für die Olympischen Spiele | |
1936. Der international erfolgreiche Ringer wollte eine Medaille gewinnen - | |
und er wollte ein Zeichen setzen. Er, der überzeugte Kommunist, wollte bei | |
der Siegerehrung den vorgeschriebenen Hiltlergruß verweigern. Daraus wurde | |
nichts. Seelenbinder belegte nur Platz vier. Doch er rang weiter, auch um | |
jenseits der Reichsgrenzen im Auftrag der kommunistischen | |
Untergrundbewegung internationale Kontakte zu pflegen. Sein Engagement | |
dauerte an, bis er 1942 verhaftet wurde. 1944 wurde er zum Tode verurteilt | |
und hingerichtet. | |
Seelenbinder gehört zu den 40 Sportlern, die als erste in die "Hall of Fame | |
des deutschen Sports" der Stiftung Deutsche Sporthilfe aufgenommen worden | |
sind. Kommenden Dienstag findet in Berlin der feierliche Gründungsakt der | |
Ruhmeshalle im Beisein von Bundespräsident Horst Köhler statt. | |
Arbeiterringer Seelenbinder ist also eine jener ausgesuchten | |
Persönlichkeiten, die "sich durch Leistung, Haltung und gesellschaftliches | |
Engagement in besonderer Weise verdient gemacht haben", wie es in den | |
Veröffentlichungen der Sporthilfe heißt. In der Hall of Fame befindet er | |
sich nun in eigentümlicher Gesellschaft. Fünf deutsche Vorzeigesportler | |
beziehungsweise Sportfunktionäre waren Mitglieder der NSDAP. Gustav Kilian, | |
Seriensieger auf den Sechstagebahnen und später Bahnradtrainer, fuhr auf | |
den US-Ovalen im Hakenkreuztrikot und zeigte stolz den Führergruß, auch | |
wenn das dort niemand von ihm verlangte. Der Herrenreiter Josef Neckermann, | |
der 2-mal olympisches Gold mit der Dressurequipe gewann, stieg seit 1933 | |
für eine SA-Staffel in den Sattel. Basis für seinen späteren Erfolg als | |
Versandhändler war die zwangsweise Arisierung jüdischer Unternehmen. | |
Neckermann übernahm zu Niedrigpreisen oder umsonst Firmen jüdischer | |
Unternehmer. Auch Rudolf Harbig, einst Weltrekordler über 400 und 800 | |
Meter, war überzeugter Nazi, paradierte auf Reichssportfesten gerne mit | |
seiner SA-Uniform. Weltmeistertainer Sepp Herberger war ebenso | |
eingetragener Nazi wie der langjährige Präsident des Nationalen Olympischen | |
Komitees Willi Daume. | |
Manfred Lämmer, Leiter des Instituts für Sportgeschichte an der | |
Sporthochschule Köln, begrüßt die Idee der Stiftung zur Einrichtung einer | |
Hall of Fame. Als Mitglied der Auswahljury weiß er, wie schwer es sein | |
kann, sportliche Leistung, die leicht messbar ist, zusammen mit | |
charakterlichen Eigenschaften zu bewerten. "Der Sport darf nicht mit einem | |
strengeren Maßstab gemessen werden als andere gesellschaftliche Bereiche", | |
fordert er und auch, dass nicht verurteilt werden dürfe, wenn ein Sportler | |
seine Wettkämpfe im üblichen Nationaltrikot ausgetragen habe. | |
Dass Herberger, Daume und Neckermann zu Vorbildern taugen, davon ist nicht | |
nur die Sporthilfe überzeugt. Alle drei sind Träger des | |
Bundesverdienstkreuzes. Auch wenn ihre Lebensgeschichte so gar nicht zu der | |
von Emanuel Lasker, dem Schachweltmeister, passt, der wegen seiner | |
jüdischen Abstammung aus Deutschland fliehen musste, finden sich alle vier | |
gemeinsam in der Ruhmeshalle des deutschen Sports. | |
Für Albert Richter, den Weltmeister im Bahnradsprint von 1932, stand zu | |
Lebzeiten fest, dass es sich bei den Nazis um eine "Verbrecherbande" | |
handelte. Bei Siegerehrungen verweigerte er regelmäßig den Führergruß. | |
Stets hielt er zu seinem jüdischen Manager Ernst Berliner. Als er | |
versuchte, für einen geflohenen jüdischen Kaufmann 12.000 Reichsmark - | |
Geld, das der Verfolgte hatte zurücklassen müssen - in einem Fahrradreifen | |
über die Schweizer Grenze zu schmuggeln, wurde er verhaftet. Kurz darauf | |
wurde er tot in seiner Gefängniszelle aufgefunden, wahrscheinlich ermordet | |
von der Gestapo. Nun wird er gemeinsam mit Josef Neckermann als Vorbild | |
geehrt. "Wenn man ehrlich ist, würde man sagen, man würde gar nichts anders | |
machen", bilanzierte der Wirtschaftswunder-Unternehmer kurz vor seinem Tod | |
1992 sein Leben. Nur Widerstandskämpfer auszuzeichnen werde dem Anspruch | |
der Hall of Fame auch nicht gerecht, sagt Lämmer. | |
Besonders schwierig scheint der Jury, in der neben Sport- und Innenminister | |
Wolfgang Schäuble so integre Persönlichkeiten sitzen wie Deutsche-Bank-Chef | |
Josef Ackermann oder Ex-Siemens-Boss Heinrich von Pierer, die Einordnung | |
des DDR-Sports. Lediglich ein Ossi-Sportler hat es in die Hall of Fame | |
geschafft. Der 4-fache Schwimm-Olympiasieger Roland Matthes hat die meisten | |
seiner Erfolge vor dem Jahr 1974 erschwommen, jenem Jahr, in dem der | |
Staatsplan 14.25 in Kraft trat, mit dem das systematische Doping der | |
Leistungskader zum Alltag des DDR-Sports wurde. Matthes wurde 7-mal | |
DDR-Sportler des Jahres, zuletzt 1975. Sollte man seinen Namen in der Hall | |
of Fame nicht mit einem Sternchen versehen, in dem man auf mögliche | |
Dopingverstrickungen hinweist? Lämmer lehnt das ab. "Der bloße Verdacht" | |
sollte kein Ausschlusskriterium sein. | |
Eines der ganz großen Idole des DDR-Sports ist Gustav-Adolf Schur, 9-mal | |
wurde der Radfahrer Sportler des Jahres in der DDR. In die Hall of Fame hat | |
er es nicht geschafft. Dass seine Vergangenheit als langjähriger | |
Deputierter der Volkskammer und PDS-Bundestagsabgeordneter (1998-2002) den | |
Eintritt in die Ruhmeshalle verhindert hat, kann sich Lämmer nicht | |
vorstellen. Und überhaupt: "Er hat ja noch gute Chancen, reinzukommen." | |
Denn jedes Jahr werden drei weitere Sportler geehrt. | |
Auch Frauen scheinen in der Sportwelt selten zum Vorbild zu taugen. Nur | |
Rosi Mittermaier, Doppelolympiasiegerin im alpinen Skisport von 1976 und | |
die Leichtathletin Ingrid Mickler-Becker, die 1986 Olympiagold im Fünfkampf | |
und bei Olympia 1972 Gold mit der 4x100-Meter-Staffel gewann, finden sich | |
auf der Liste der Ruhmreichen. | |
Lämmer geht davon aus, dass nach der Installierung der Hall of Fame das | |
Bewusstsein für ihre historische und gesellschaftliche Bedeutung steigt, | |
dass die öffentliche Diskussion die Funktion eines Korrektivs bei der | |
Auswahl der Ruhmreichen einnimmt. In Zukunft jedenfalls. | |
3 May 2008 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
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