# taz.de -- die wahrheit: Engsprache Deutsch | |
> Wer alte Bücher wegwirft, macht sich dümmer. Und wer neue kauft, manchmal | |
> auch, sonst gäbe es keine Bestseller. | |
Bild: Und sie sind doch echt: Die Krokodilstränen | |
Wer alte Bücher wegwirft, macht sich dümmer. Und wer neue kauft, manchmal | |
auch, sonst gäbe es keine Bestseller. Natürlich braucht man die 16. Auflage | |
des Duden von 1967 nicht jeden Tag. Aber wer diese Auflage weggeworfen hat, | |
kann sprachliche Konjunkturen und vor allem Moden nicht mehr verfolgen. | |
Heute redet jeder Gebrauchtwagenhändler oder Gast bei Kerner davon, dass | |
etwas "generiert" werde. "Das große Wörterbuch der deutschen Sprache" | |
erschien erstmals 1976 und ist so etwas wie der Hyper-Duden. Für dieses | |
Wörterbuch war "generieren" vor dreißig Jahren noch ein | |
"bildungssprachliches" Wort, das heißt, es zeigte an, dass der Anwender | |
wahrscheinlich Akademiker war. Ferner hatte es noch eine | |
"sprachwissenschaftliche" Bedeutung: "bilden von sprachlichen Äußerungen in | |
Übereinstimmung mit einem grammatischen Regelsystem". Sind heute alle Gäste | |
bei Kerner und Gebrauchtwagenhändler bildungssprachliche Sprecher oder | |
Sprachwissenschaftler? | |
Mit Sicherheit nicht. Es hat sich nur der Sprachgebrauch gewandelt, und den | |
dokumentiert der Duden ansatzweise. Gegen den Sprachwandel ist im Prinzip | |
gar nichts einzuwenden. Keine Antwort gibt das Wörterbuch auf die wichtigen | |
Fragen, warum und in welche Richtung sich der Sprachgebrauch entwickelt | |
hat. Das ist ein weites Feld, aber die Vermutung liegt nahe, dass der | |
inflationäre Gebrauch des Wortes "generieren" mit Moden und Trends zu tun | |
hat, aber nichts mit fortschreitender Bildung der Sprecher. | |
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Wort "fokussieren". Das bedeutete vor | |
dreißig Jahren noch schlicht, "optische Linsen ausrichten." Heute | |
"fokussieren" viele Abiturienten, alle Studenten der Soziologie oder | |
Politikwissenschaft und alle Professoren sowieso permanent auf irgendetwas. | |
Was meint das Wort? | |
Niemand schreibt über alles, sondern über dieses oder jenes. Schreiben | |
heißt auswählen. Das ist so selbstverständlich wie der Mittwoch. Die | |
schlichte Operation des "Ich wähle aus" (Themen oder Aspekte oder | |
Perspektiven) soll mit der Neukostümierung "Ich fokussiere" gleichsam | |
geadelt werden. Und was zeigt dieser Bildungsadel heischende Sprachgebrauch | |
an? Modische und trendige Dummheit, aber nicht fortschreitende Bildung der | |
Sprecher. | |
Noch vertrackter als mit den bildungssprachlichen Importen aus dem | |
Lateinischen ins Flach-Gebabbel liegen die Dinge bei deutschen Wörtern. Die | |
in den Sozialwissenschaften sehr beliebte "Engführung" ist zwar im neusten | |
Duden von 2006 nicht vorgesehen, aber jeder weiß, was "eng" und was | |
"Führung" bedeutet. Der Duden verzeichnet längst nicht alle | |
zusammengesetzten Wörter. Und bekanntlich lässt sich im Deutschen alles mit | |
allem verleimen: "Bierdeckelmusikalisch" und "Stoßstangenmilchgewicht" sind | |
grammatisch astrein, nur inhaltlich sind die Wörter der blanke Blödsinn. | |
Und was meint "Engführung"? Da wird es sprichwörtlich eng. Wissenschaftler | |
bedienen ihre Kundschaft mit der "Engführung" von Thesen, Belegen und | |
Beweisen. Aber was das heißt, weiß keiner so recht. Und gerade darum fehlt | |
das Wort bei keinem Autor, der sich zeitgemäß auf- und intellektuell | |
"engführt". | |
20 May 2008 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
## TAGS | |
Linguistik | |
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