# taz.de -- Kulturpolitik: Kunstbetrieb zwischen Stauden | |
> Aus dem Blumengroßmarkt an der Friedrichstraße soll eine staatliche | |
> Kunsthalle werden. Eine zweitägige "Kunstinvasion" will man das Gelände | |
> für die Kunst erschließen. | |
Bild: Soviel Kunst soll in die Blumenmarkt-Kunsthalle | |
Zwischen den Arbeitern, die Schubkarren voller Blumenerde durch die Halle | |
schieben, wirken die sechs Männer etwas deplaziert. Sie tragen schwarze | |
Anzüge, weiße Hemden und Sonnenbrillen im Mafiastyle. Durch Stauden und | |
Geranien bahnen sie sich den Weg zum Mittelgang, entnehmen einem Koffer | |
eine riesige Pistole mit roten Farbkugeln. "Vier mal vier Meter Leinwand an | |
der Decke und - wumm! Der erste Schuss kostet 1.000 Euro, alle Schüsse | |
ergeben zusammen ein Bild", erläutert der "Pate" die Aktion "Einschießen", | |
mit der die Gruppe Artboys die "Kunstinvasion" in der Blumengroßmarkthalle | |
an der Friedrichstraße am Samstag eröffnet. | |
Mit dem Schuss zur zweitägigen Ausstellung soll noch etwas anderes | |
beginnen: die Zukunft der Blumengroßmarkthalle als staatliche Kunsthalle. | |
Seit Jahren schon dreht und wendet die Berliner Kulturpolitik den Gedanken | |
einer Nachfolge für die 1993 geschlossene Kunsthalle an der Budapester | |
Straße. Das Projekt Kunsthalle, durch temporäre Projekte wie den "White | |
Cube" auf dem Schlossplatz ein Dauerbrenner in der öffentlichen | |
Aufmerksamkeit, erfreut sich so großer Beliebtheit, dass es eine wahre | |
Standortkonkurrenz gibt: Freunde des Hamburger Bahnhofs sähen die neue | |
Halle gern auf einem "Kunstcampus" hinter dem Museum, andere plädieren für | |
das Heizkraftwerk Mitte, das Postfuhramt oder die Fläche neben dem | |
Tacheles. | |
Zur Fraktion, die sich als Standort den Kreuzberger Blumengroßmarkt | |
wünscht, gehören nicht nur die Nachbarn Jüdisches Museum und Berlinische | |
Galerie, sondern auch die kulturpolitische Sprecherin der Grünen im | |
Abgeordnetenhaus, Alice Ströver. Sie ist Mitgründerin der Initiative | |
Berliner Kunsthalle, die hinter der zweitägigen "Kunstinvasion" steckt und | |
nun unermüdlich auf die Eröffnung hinarbeitet. Die zwei Tage mit | |
Ausstellung und Diskussionen sollen laut Ströver eine Neueroberung des | |
insgesamt 25.000 Quadratmeter großen Areals zwischen Jüdischem Museum und | |
Berlinischer Galerie ermöglichen. Der Blumengroßmarkt zieht Ende 2009 in | |
den zentralen Großmarkt Beusselstraße um - die in Landesbesitz befindliche | |
Halle ist gut in Schuss und könnte mit relativ wenig Aufwand zur | |
Präsentationsfläche für moderne Kunst umgebaut werden. | |
Wie das gehen könnte, zeigt Wolfgang Göschel. Der Architekt hat vor Jahren | |
im Auftrag des Bildungsforums die Halle begutachtet und ist seitdem hellauf | |
begeistert von dem 1965 von Bruno Grimmel entworfenen Bau. Es war seine | |
Idee, die lichte Halle als Kunstmuseum zu nutzen. "Ich könnte jedes Mal | |
ausflippen über die technische Architektur", sagt Göschel beim Rundgang. | |
Die geschwungenen Betonschalen an den Sheddächern sorgen für optimale | |
indirekte Beleuchtung. Auch der Keller und die zum Areal gehörenden | |
Parkflächen wären ausbaubar, ein Bürotrakt ist vorhanden. | |
Um der Öffentlichkeit das gewaltige Potenzial des Standorts zu offenbaren, | |
wird sich die Kunstinvasion auf das gesamte Gelände erstrecken. 57 von | |
einer Jury aus 450 Bewerbungen ausgewählte Berliner KünstlerInnen bespielen | |
die riesenhafte Halle, den Keller und die Außenflächen. Die Auswahl musste | |
an einem Tag getroffen werden, für die Ausstellung selbst gibt es noch viel | |
weniger Zeit: Als "extrem zackig" beschreibt Kunstinvasion-Mitarbeiter | |
Notker Schweikhardt den Ablauf. Mehr als drei Stunden Aufbau und Abbau sind | |
nicht drin, damit der bis Samstag früh dauernde reguläre Großmarktbetrieb | |
nicht gestört wird. Nur unter dieser Bedingung hatte Großmarkt-Chef Andreas | |
Foidl sein Placet gegeben. | |
Wände durften die Kunstinvasoren auch nicht einziehen - ungünstig für | |
Flachware wie Gemälde oder Fotos. Stattdessen wird Raumgreifendes gezeigt, | |
Skulpturen, Performances, Installationen. Die früher als Kühlabteile | |
genutzten Verschläge im Keller eignen sich dabei besonders für Video- und | |
Sound-Arbeiten. "Die heruntergekommen Zellen setzten bei den Künstlern die | |
meisten Fantasien frei", erzählt Schweikhardt. Von Guantánamo bis Keimzelle | |
sei alles dabei gewesen. An das großflächige Betonparkdeck, von dem man | |
einen Panoramablick genießt, traute sich hingegen niemand. "Die Fläche hat | |
die Künstler wohl erschreckt", vermutet Schweikhardt. Während der Invasion | |
wird dort ein Sonnendeck mit Bar und Livemusik aufgebaut, auf der | |
Abfahrtsrampe findet ein Seifenkistenrennen statt. | |
Und nach der Party? Wie groß die Chancen des Blumengroßmarkts tatsächlich | |
sind, die neue Kunsthalle zu werden, entscheidet am Ende der Senat. Und das | |
kann bekanntlich dauern. Bürgermeister Klaus Wowereit und sein | |
Kulturstaatssekretär André Schmitz (beide SPD) sollen sich bei einem | |
Rundgang zwar begeistert gezeigt haben. Aber Wowereit lässt sich nicht so | |
leicht in die Karten schauen - bei einer anderen Gelegenheit zeigte er sich | |
ebenso von der Heidestraße hinter dem Hamburger Bahnhof begeistert. Vor | |
allem dürfte Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) ein Wort über die | |
künftige Bestimmung des Blumengroßmarkts mitzureden haben: Mit einem | |
Verkauf der Immobilie in Mittelage könnte das Land nach dem Auszug der | |
Händler eine Stange Geld verdienen. | |
Noch aber ist alles in der Schwebe. Wie die acht Frauen von "Jump", die | |
sich von der 13 Meter hohen Decke abseilen werden, um am Ende in einem | |
Bottich voller geschmolzenem Eis zu landen: dem "kalten Wasser des | |
Kunstbetriebs". | |
Das aber erreicht erst mal andere: Am 6. Juni ist offizieller Baubeginn des | |
temporären "White Cube" auf dem Schlossplatz, der damit seine Visionen an | |
der Realität messen lassen muss. Bis zum voraussichtlichen Bau des | |
Humboldtforums 2010 müssen die Initiatorinnen das Bedürfnis nach moderner | |
Kunst im Stadtraum befriedigen. Bis dahin hat das "Kunstinvasion"- Projekt | |
Atem für weitere Kurzexpeditionen ins blühende Reich der Kunstutopie. | |
31. Mai und 1. Juni in der Blumengroßmarkthalle Friedrichstraße: Sa. ab 19 | |
Uhr "Opening Night" mit Ausstellungseröffnung, Performances, Konzerten; So. | |
ab 10 Uhr Ausstellung, Workstations für Kinder und Jugendliche, von 15-18 | |
Uhr Diskussion und Performances. Infos: | |
www.berliner-kunsthalle.de/kunstinvasion | |
30 May 2008 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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