# taz.de -- Dokumentation über Schauspieler Wackernagel: Ex-Terrorist ist man … | |
> Die Dokumentation "Der Weiße mit dem Schwarzbrot" porträtiert den | |
> Schauspieler und Ex-RAFler Christof Wackernagel. Die Botschaft: Alles ist | |
> veränderbar. | |
Bild: Der Ex-RAFler und Schauspieler Wackernagel lebt heute in Mali. | |
Bleiben Exterroristen immer Exterroristen? Wenn man sich die Vita des | |
Schauspielers Christof Wackernagel vor Augen führt, ist es so. 1977 war er | |
ein paar Monate bei der RAF. Bei seiner Verhaftung in den Niederlanden gab | |
es eine blutige Schießerei. Er sagte sich von der RAF los, war zehn Jahre | |
im Knast, schrieb Prosa und Hörspiele und arbeitet seit 20 Jahren als | |
TV-Schauspieler. Als er in einer TV-Serie einen Polizeikommissar spielte, | |
schrieben Zeitungen: der Ex-RAFler als Polizist. "Je mehr Erfolg ich hatte, | |
umso mehr war ich der Exterrorist", sagt Wackernagel. Exterrorist ist man | |
lebenslänglich. | |
"Der Weiße mit dem Schwarzbrot" ist ein dokumentarisches Porträt. | |
Wackernagel lebt heute in Mali in Westafrika. Er ist empfindsam, neugierig, | |
gut gelaunt. Man sieht ihn in Malis Hauptstadt Bamako mit den Nachbarn | |
plaudern, er spielt Gitarre mit dem westafrikanischen Musiker Mamadou | |
Coulibali und gründete eine Bäckerei, die deutsches Schwarzbrot backen | |
sollte. Weil ihn der Müll auf den Straßen stört, entwickelt er ein | |
Müllsammelspiel für Kinder, das er dem Staatspräsidenten nahe zu bringen | |
versucht. Einmal braust ein Entwicklungshelfer in einem | |
50.000-Euro-Mercedes rücksichtslos durch eine Pfütze auf der Hauptstraße | |
von Bamako und spritzt Wackernagel und die Passanten nass. "Gott sei Dank | |
bin ich Neger und nicht so ein Arsch", ruft Wackernagel, der ausdauernde | |
Empörung über das Unrecht der Welt mit ansteckender Fröhlichkeit zu | |
verbinden weiß. | |
Dokumentarfilme über Schauspieler sind kein einfaches Unterfangen. | |
Schauspieler wissen, wie Kameras funktionieren, sie inszenieren sich, und | |
der Dokumentarist, der den unverstellten, wahrhaftigen Moment sucht, hat | |
viel zu tun. Der Regisseur Jonas Grosch, Wackernagels Neffe, hat dieses | |
Problem schlicht gelöst. Er räumt einfach die Bühne für den Star frei und | |
zeigt dessen Selbstinszenierung, ohne Brechung, ohne Reflexions- oder | |
Distanzierungsebene. Nur manchmal ahnt man, dass das Extrovertierte, | |
Aktivistische, Egomanische dieses schillernden Helden sehr anstrengend sein | |
kann. | |
Um die RAF und den Knast geht es auch - nicht oft, aber präzise. In Holland | |
besuchte Wackernagel den Polizisten, der ihn verhaftet hatte und der sich | |
später für seine Freilassung einsetzte. Erst als er dessen Frau sah, | |
begriff er, dass er sie fast zur Witwe gemacht hätte. "Klingt seltsam, aber | |
ich brauchte diesen Umweg, um zu verstehen, was passiert war." Die RAFler | |
mussten verdrängen, dass die Polizisten, auf die sie schossen, wirklich | |
starben. Selten hat jemand diese Verdrängung so plastisch vor Augen geführt | |
wie Wackernagel, der manchmal naiv wie ein Kind, manchmal klug wie einer, | |
der etwas wirklich gelernt hat, erzählen kann. | |
"Der Weiße mit dem Schwarzbrot" ist ein Feelgoodmovie, angetrieben vom | |
Temperament des Helden. Und von der Botschaft, dass alles veränderbar ist. | |
Aus Terroristen können Menschenfreunde werden, und Mali kann mit den | |
Segnungen deutscher Brotbackkunst beglückt werden. Gedämpft ist diese frohe | |
Botschaft durch die gelegentlich aufblitzende lebenskluge Einsicht, dass | |
das meiste, was man anstrebt, ohnehin schiefgeht. Der Ofen der Bäckerei in | |
Bamako ist nach vier Monaten wegen Überlastung explodiert. | |
13 Jun 2008 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
Stefan Reinecke | |
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Lesestück Recherche und Reportage | |
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