# taz.de -- Zeitgenössische Kunst in Wien: Bilder vom Suchen | |
> "Form und Grund": Die Künstlerinnen Amelie von Wulfen und Monika Baer und | |
> der Künstler Thomas Eggerer in der Augarten-Contemporary- Ausstellung in | |
> Wien. | |
Bild: ohne Titel, 2007, Collage, 151 x 188 cm | |
Ein zentrales Motiv für zeitgenössische Künstlerinnen wie Amelie von | |
Wulffen, Sue de Beer, und Brigitte Waldach ist das Suchen. Ihre Bilder | |
beschwören Erinnerung: alte Häuser oder Dachspeicher voller merkwürdig | |
scheinender Möbel, Gegenstände und Zeugen. Alles atmet Geschichte - private | |
wie öffentliche. Für Wulffen bilden Bilder von Familienzimmern den | |
Ausgangspunkt. Große dünne Bogen Fotopapier werden überklebt und übermalt, | |
wuchern und fransen an den Rändern, hängen nackt und ausgeliefert an der | |
Wand wie magische Traumfänger. Sie sind Beschwörungen des Geistes, der in | |
den fotografierten Räumen herrschte, und zwar sowohl des über die Jahre | |
offiziell demonstrierten Selbstverständnisses als auch des verdrängten | |
Ungeists. Unwillkürlich denkt man beim Betrachten an Verlust und | |
Verbrechen, aber auch das Suchen und Herumirren in Märchen. In Brigitte | |
Waldachs jüngst in der Berlinischen Galerie gezeigtem "Heimatfilm" | |
durchstreift die knallrot gewandete Schauspielerin Fritzi Haberlandt wie | |
eine Mischung aus Rumpelstilzchen und Rotkäppchen die Szenerie. | |
Ist es Zufall, dass man diese tastende, persönliche, romantisch konnotierte | |
Ästhetik häufiger bei Künstlerinnen findet, während Männer wie Picasso | |
behauptet haben, nicht auf das Suchen komme es an, sondern auf das Finden? | |
Amelie von Wulffen ärgert sich über solche Zuschreibungen. "Selbst wenn | |
eine ganze Reihe meiner Arbeiten das nahezulegen scheint, finde ich | |
voreilige Rückschlüsse auf meine Biografie und die Annahme, dass da eins zu | |
eins Vergangenheitsbewältigung stattfindet, typisch für die Art, wie Kunst | |
von Frauen rezipiert wird", sagt sie. Denn auch hier geht es letztlich um | |
eine Auseinandersetzung mit politischer Geschichte und Kunstgeschichte. Sue | |
de Beer hat in ihrer letzten Ausstellung bei Arndt und Partner in Berlin | |
ganz dezidiert einen Film über das Bauhaus-Erbe und die Möglichkeiten zur | |
(künstlerischen) Revolution heute vorgelegt. Jetzt ist Wulffen in einer | |
erhellenden Ausstellung in Wien zu sehen, die ihre Arbeit mit Erbsträngen | |
der modernen Malerei des 20. Jahrhunderts kurzschließt. | |
"Form und Grund" heißt die Schau im Augarten Contemporary, der | |
zeitgenössischen Dependance des Belvedere Museums. Die Kuratorin Eva Maria | |
Stadler hat sie in den lichten, weiten Räumen eines früheren | |
Bildhauerateliers grandios zusammengestellt. Neben Amelie von Wulffen sind | |
Thomas Eggerer, ein Studienfreund aus ihrer Zeit an der Münchner Akademie | |
der Künste, und die documenta-12-Teilnehmerin Monika Baer vertreten. Der | |
gemeinsame Bezugspunkt ist der Einsatz von Farbe und Rhythmus und die | |
Behandlung von Fläche und Raum. Monika Baer verbindet die Freisetzung | |
reiner Farbwirkung, wie sie Ernst Wilhelm Nay mit seiner informellen | |
Malerei suchte, mit Marguerittes Surrealismus: Vereinzelte Gesichter, aber | |
auch Goldstücke und Wurstscheiben schweben losgelöst in auratischen | |
Farbräumen. Thomas Eggerers Collagen lassen an die rhythmische Schule des | |
Konstruktivismus und des Bauhauses denken. Doch er entdeckt eine Welt | |
unendlicher ästhetischer Korrespondenzen und Variationen mitten im | |
Sozialen: Es sind sehr konkrete Situationen, Menschen und Häuser, die er in | |
seinen Bildvorlagen verwendet. | |
Hier käme man nie darauf Wulffens Arbeiten als verlängertes Mädchentagebuch | |
zu betrachten. Vielmehr tritt ihre kraftvolle und genau durchdachte | |
Komposition hervor: die architektonische Symmetrie der Räume, die Betonung | |
und Rahmung einzelner Ansichten durch den Einsatz von Farbe. Signaltöne wie | |
Pink und Rot verschaffen den Gegenständen der Schwarzweißfotografien erst | |
die richtige Bühne. Sie vollenden die Anrufung, denn erst in dieser wohl | |
kalkulierten Inszenierung erwartet man als Betrachter, die Gegenstände | |
müssten etwas Besonderes zu sagen haben. Von Wulffen, die seit 2007 als | |
Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in Wien lehrt, verwies | |
einmal auf Zeichnungen von James Ensor als Vorbild, "in denen er locker | |
nebeneinander Gegenstände und Leute skizziert und diese fast banalen und | |
disparaten Fragmente offensichtlich nachträglich in ganz irreale, | |
fantastische neue Situationen einhüllt". | |
In Wulffens Einzelausstellung "Chucky und die Silberdistel" in der Galerie | |
Senn, die parallel in Wien zu sehen ist, kann man überprüfen, dass die | |
Arbeiten auch ohne die inspirierende Nachbarschaft anderer Künstler dem | |
geschärften formalen Blick standhalten. Nachhaltig entdeckt man die | |
Präzision in der schattenhaften Undeutlichkeit, die Präsenz im Flüchtigen. | |
Man entdeckt die Sorgfalt, mit der formale Korrespondenzen gesetzt und | |
sogar demonstrativ ausgestellt werden. Selbst die Schutzlosigkeit, mit der | |
die Bilder an den Wänden hängen, tritt letztlich als Stilwille hervor: Als | |
eine gezielte Geste der Selbstauslieferung. Früher hatte Amelie von Wulffen | |
oft Selbstporträts in die Arbeiten collagiert. Jetzt lässt sie ein gemaltes | |
Alter Ego auftreten: Chucky, ein kleines Mädchen mit großen Augen, ist | |
Zeugin des cleveren Spiels, mit dem eine reife Künstlerin die Verfeinerung | |
ihrer Mittel und die Kritik an einer allzu simplen Lesart ihres Werks | |
vorantreibt. | |
19 Jun 2008 | |
## AUTOREN | |
Henrike Thomsen | |
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