Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Von der Genpflanze ins Medizinschränkchen: Cholerakartoffelpuffer
> Gentechpflanzen der dritten Generation sollen Arzneimittel oder
> Impfstoffe produzieren können. Doch ob das - technisch und politisch -
> funktioniert, ist höchst umstritten.
Bild: Kartoffel des Jahres 2008: Bamberger Hörnchen. Ginge es nach den Genfors…
Es könnte eine ganz normale Kartoffel sein. Außen braun und schrumpelig,
innen gelb und fest. Doch wenn es nach Inge Broer geht, ist es mehr als nur
eine Kartoffel. Denn Broers Kartoffel soll nicht nur satt machen, sondern
auch die Basis für Impfstoffe liefern.
Der Einsatz als Impfstoff ist nur ein Beispiel. Die Pflanzen könnten
Medikamente produzieren oder nachwachsende Rohstoffe liefern. Der Gedanke:
Einmal gentechnisch verändert, könnten sie die benötigten Stoffe über
Generationen hinweg liefern. 29 solcher Medikamente werden derzeit nach
Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte in
klinischen Studien getestet. Auch wenn die Idee einfach klingt - ihre
Umsetzung ist es nicht. Denn noch ist nicht klar, wie sich die Pflanzen
verhalten - ganz zu schweigen von ihrer Wirkung auf die Umwelt.
Inge Broer sitzt dabei an der Quelle. Sie ist unter anderem Professorin für
Agrobiotechnologie an der Universität Rostock. Das ist die Universität, für
die das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit gerade
wieder einen Freisetzungsversuch für gentechnisch veränderten Weizen
genehmigt hat. 2006 hat die Uni das gepflanzt, was Kritiker als
"Cholerakartoffel" bezeichnen: Eine Kartoffellinie mit dem Erbgut des
Choleraerregers. Die Knollen produzieren dabei ein Eiweiß des
Choleratoxins, das später als Impfstoff verwendet werden soll. "Die
Produktion von Pharmazeutika in Pflanzen kann eine nachhaltige Strategie
sein", erklärt Broer ihre Motivation.
Doch sie weiß: Ganz so einfach ist das auch politisch nicht. Denn von
Umweltschützern bis hin zum Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim
Deutschen Bundestag (TAB) stehen gentechnisch veränderte Pflanzen im
Allgemeinen und Pharmapflanzen im Besonderen in der Kritik. "Stellen Sie
sich vor, Sie haben ein Feld mit Pharmapflanzen in der Nähe und wollen das
Gemüse aus Ihrem Garten essen. Wollen Sie etwas auf dem Frühstückstisch
haben, das aus der Kreuzung mit einer derart veränderten Pflanze entstanden
ist?", fragt Andreas Bauer, Gentechnikexperte vom Münchner Umweltinstitut.
Containment oder Confinement halten die Befürworter dann entgegen. Das sind
die beiden Methoden, mit denen die Auskreuzung mit benachbarten Pflanzen
verhindert werden soll. Containment ist die räumliche Abgrenzung zu anderen
Pflanzen - Confinement eine Art ökologische Abgrenzung. Hier sollen nur
Pflanzen angebaut werden, die entweder sonst in der Gegend nicht vorkommen,
sich selbst bestäuben oder mittels Gentechnik so verändert worden sind,
dass sie sich gar nicht fortpflanzen können.
"Terminatortechnologie" heißt dieses umstrittene Verfahren. Umstritten
deshalb, weil so nicht mehr der Bauer, sondern der produzierende Konzern
die Kontrolle über das Saatgut hat. "Doch selbst wenn das Saatgut steril
ist - die Pollen könnten sich trotzdem mit anderen Pflanzen kreuzen", so
Bauer. Dazu kommen die Unsicherheitsfaktoren Mensch und Tier: Beide können
die Saat transportieren.
Auch ein Bericht des TAB kommt zu dem eindeutigen Schluss: Sowohl
Containment als auch Confinement würden - nach dem derzeitigen Stand der
Wissenschaft - keine Möglichkeit bieten, gentechnische veränderte und
unveränderte Organismen "vollkommen beeinflussungsfrei" nebeneinander
anzubauen.
Ein Beispiel: einer der größten Pharmapflanzenskandale in den USA. Im
Oktober 2002 entdeckte ein Inspekteur der US-Landwirtschaftsbehörde bei
einer Routineuntersuchung auf einem Sojafeld in Nebraska einzelne
Maispflanzen. Das wäre kein Problem gewesen, hätten die Behörden in diesem
Fall nicht angeordnet, nachwachsende Maispflanzen zu vernichten. Denn der
Mais stammte aus einem Anbauversuch aus dem Vorjahr. Die gentechnisch
veränderten Pflanzen sollten Trypsin, ein Protein der Bauchspeicheldrüse,
produzieren.
Das Ende vom Lied war vor allem teuer für die anpflanzende
Biotechnologiefirma Prodigene: 250.000 Dollar Strafe musste das Unternehmen
zahlen, zusätzlich zu den rund 2,8 Millionen, die das Aufkaufen und
Zerstören der kontaminierten Sojabohnen kostete.
Weltweit steht die USA bei der Freisetzung von Pharmapflanzen an der
Spitze: 248 Genehmigungen waren es von 1991 bis 2006. Zum Vergleich: In
Europa waren es im gleichen Zeitraum 32, dazu kommen 20 Versuche, die über
mehrere Jahre liefen. Und die Zahlen scheinen sich langsam einzupendeln.
Während in Europa bis jetzt im Jahr 1997 die meisten Pharmapflanzen
freigesetzt wurden, ist die Zahl im Anschluss wieder gesunken. Ursache war
das EU-Moratorium für den kommerziellen Anbau gentechnisch veränderter
Pflanzen - was nicht kommerziell angebaut werden darf, lohnt offensichtlich
die Versuchsphase nicht.
Welche Qualität die Proteine aus den Pharmapflanzen haben, ist noch
umstritten. Während das Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und
Angewandte Ökologie von einer "hohen Qualität" spricht, sieht Rolf Hömke
vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller das kritischer: Denn selbst
wenn die notwendige Struktur erreicht ist, sei mit der Bildung von
Proteinen in Lebewesen eine Gefahr verbunden: "Nicht alle diese Proteine
werden einheitlich gebildet. Wie sie letztlich aussehen, hängt von den
Produktionsbedingungen, also Temperatur, Licht oder Ernährung der Pflanzen
ab." Und unterschiedliche Formen der Proteine könne wiederum Auswirkungen
auf die Wirksamkeit des Medikaments haben - oder auch auf die
Nebenwirkungen.
"Dass wie bei den jetzigen Genpflanzen immer ein bisschen mehr an Risiken
herauskommt, das kann man sich bei Pharmapflanzen nicht leisten", sagt
Bauer. Und an diesem Punkt sind sich Broer und Bauer fast einig: Bevor
nachgewiesen sei, dass die Pflanzen unschädlich sind, dürften sie nicht
genutzt werden. Erste Ergebnisse aus den Versuchen der Universität Rostock
erwartet Broer schon bald: 2009 soll die Versuchsreihe abgeschlossen sein.
19 Jun 2008
## AUTOREN
Svenja Bergt
Svenja Bergt
## TAGS
Landwirtschaft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Reaktion auf Ernährungskrise: Argentinien erlaubt neuen Genweizen
Buenos Aires hat den Handel und Anbau einer genmanipulierten Weizensorte
genehmigt. Einige Länder haben bereits deren Import zugesagt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.