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# taz.de -- Frauen Mitte Dreißig: Liebe im Praxistest
> Wer glaubt, das Schlimmste schon hinter sich zu haben, hat sich
> getäuscht: Die zweite Pubertät ist viel schlimmer als die erste.
Bild: Ikonographisierte Single-Frau Mitte 30: Jessica Parker in der Rolle als C…
Als Pubertät bezeichnet man im Deutschen im Allgemeinen die geschlechtliche
Entwicklung. Es beginnt eine Zeit, in der man von einem Tag auf den andern
in nichts mehr so richtig reinpasst - seien es nun die Klamotten, der
Freundeskreis oder die Familie. Eine Zeit, in der man plötzlich alles und
alle merkwürdig bis unausstehlich findet - allen voran sich selbst. Wer
diese Phase hinter sich gebracht hat, der schätzt sich froh, dieses
Unbehagen nie wieder durchleben zu müssen. Da hat er sich allerdings
getäuscht, denn das schlimmste kommt erst noch: die zweite Pubertät
nämlich.
Ähnlich wie beim Erwachsenwerden fließen die gesellschaftlichen Bemühungen
seit Jahren in die Errichtung der Illusion, dass selbst Mittdreißiger das
Verantwortlich- und Selbstständigwerden umgehen könnten. Man muss nicht
mehr heiraten, um mit jemandem zusammenzuziehen. Man braucht keinen
Ehepartner mehr, um gesellschaftlich mitspielen zu dürfen. Zumindest für
einen gewissen Zeitraum. Doch irgendwann ist es plötzlich wieder da, dieses
linkische Gefühl, das man längst überwunden zu haben glaubte. Die zweite
Pubertät setzt ein.
Wie die erste, nennen wir sie körperliche Pubertät, ist die zweite, die
geistige, ein schleichender Prozess. Genauso wie man mit einer Mischung aus
Neid und Beunruhigung die wachsenden Brüste der Mitschülerinnen beobachtete
und das Ende der kindlichen Unschuld fürchtete wie herbeisehnte, so bemerkt
man mit Staunen und Skepsis zirka vierzehn bis sechzehn Jahre später das
mentale Frau- und Mannwerden im Umfeld und fühlt sich irgendwie außen vor.
Vor dieser neuen Phase der menschlichen - oder vielleicht sollte man sagen:
der westlich-menschlichen - Entwicklung sind Frauen und Männer mittlerweile
relativ gleichgestellt. Frauen können Ingenieurinnen werden, Männer dürfen
Gesichtswasser verwenden. Männer dürfen sich auch nicht für Fußball
interessieren, Frauen schon. Man geht gemeinsam in die Uni, auf die
Berufsschule oder zur Arbeit, und eine Zeit lang läuft alles gut. Man ist
mal mehr, mal weniger gleichberechtigt - aber richtig weh tut es nie.
Doch dann kommt die Überraschung: Wie die erste, so nimmt die zweite
Pubertät zunächst im engeren Umfeld ihren Lauf. Freundinnen können
plötzlich die Verabredung nicht mehr einhalten, weil ihr Freund
Zahnschmerzen hat. "Ich kann ihn in dem Zustand nicht allein lassen." Fragt
man per SMS: "Sollen wir heute Abend ein Bier trinken gehen", kommt die
Antwort unerwartet ebenfalls im Plural: "Wir freuen uns." Sonderbares
Verhalten. Verunsichernd: Muss man das auch so machen? Oder passt man da
überhaupt noch rein?
Beim Partytalk erzählen weibliche Gäste mit Begeisterung von ihren
flexiblen Arbeitszeiten und dem total romantischen Heiratsantrag ihres
Liebsten - auf Knien, mit Ikea-Teelicht-Beleuchtung und Diamantring -,
während der Zweitpubertierende verstört ratlos danebensteht. Und dann das
noch: Ein Uni-Tag zum Thema "Karriere von Frauen in den
Geisteswissenschaften" beginnt mit einem Vortrag, wie man Kinder und Job
miteinander vereinbaren kann. Und wenn man das gar nicht will?
Auch Männer wissen oft nicht, wie sie mit Zweitpubertierenden umgehen
sollen. Vor kurzem, beim 35. Geburtstag eines Freundes, begann ein Mann das
Gespräch mit folgenden Worten: "Du bist also Nichtmutter." Wie soll man
darauf antworten?
Männer sind übrigens von dieser Entwicklung nicht nur mittelbar betroffen.
Für sie läuft das Ganze, getreu dem Modell der Geschlechteropposition,
spiegelverkehrt. Frauen, die bislang einfach auch mal eine Runde Bier
geholt haben, wollen jetzt zum Abendessen ausgeführt werden. "Ich will wie
eine Prinzessin behandelt werden", ist nun kein Zitat mehr aus einem
Hollywoodfilm, sondern wird allen Ernstes als Forderung an die Bewerber
gestellt. Auch wenn man allerorten Gleichberechtigung fordert, wird in der
Beziehung über dreißig eifrig an der Restabilisierung überholter Klischees
gearbeitet. Man fragt sich verzweifelt, woher der gleich bezahlte Mann
eigentlich das Geld für all die Candle-Light-Dinners herhat. So ein
Diamantring soll ja übrigens auch nicht billig sein.
Genau wie sich Freundinnen nur noch bei einem eigens so deklarierten
"Mädelsabend" ohne Männer treffen, ist es für viele Männer praktisch
unmöglich geworden, sich ohne ihre Freundin mit einer Freundin zu treffen.
In den häufigsten Fällen kontrollieren die Partnerinnen jetzt ja das
Sozialleben. Auch da ist, wer noch nicht zur vollen Sozialgeschlechtsreife
herangealtert ist, ein bisschen überfordert. Wie kriegt man diese totale
Kontrolle über den Mann hin? Und ist sie überhaupt wünschenswert?
Wer denkt, die zweite Pubertät sei ein privates Problem, sollte sich mal
seinen Arbeitsplatz genauer ansehen. Kolleginnen, die einmal gegen einen
übermächtigen Chef zu einem hielten, finden, dass sie mit mehr Aufgaben
tatsächlich überfordert wären. Wo man einst auf weibliche Solidarität
setzen konnte, hat sich schon nach ein paar Arbeitsjahren die "natürliche"
männliche Autorität durchgesetzt, selbst wenn Frauen in der Hierarchie über
den Alpha-Typen stehen. Diese Autorität müssen Männer dann aber auch
permanent einklagen, ausfüllen und gegen Kollegen verteidigen. Im rein
weiblichen Arbeitsumfeld regiert stattdessen die Selbstkontrolle: In den
klassischen Frauenbranchen werden Kolleginnen, die nicht bereit sind,
permanent ihr Beziehungs- und Emotionsleben breitzutreten, regelrecht
weggebitcht.
Ehe man sichs versieht, erreicht die zweite Pubertät auch den eigenen
Intimbereich. Hier ist die Grenze der Gleichberechtigung eisern. Ob in
längeren Beziehungen oder in eher flüchtigen Begegnungen: In den goldenen
Dreißigern ist Verhütung wieder Frauensache geworden. Frauen müssen ja
ohnehin ständig zu dem auf sie spezialisierten Arzt, um sich abtasten und
durchleuchten zu lassen, da wird es wohl nicht zu viel verlangt sein, dass
sie sich dabei gleich die Pille neu verschreiben lassen. Diese Vorstellung
scheint sich in so vielen Männerhirnen festgesetzt zu haben, dass es die
Aufgabe von Frauen geworden ist, die Männer über die Notwendigkeit
alternativer Verhütungsmethoden aufzuklären. Schweigt sie, geht der Mann
vom Status quo aus. Sie kümmert sich schon drum - und wenn nicht, ist sie
selbst für die Folgen verantwortlich. "Es ist deine Entscheidung. Ich würde
dich natürlich nachher vom Arzt abholen. Und wenn du es bekommen willst,
dann zahle ich selbstverständlich Unterhalt."
Andererseits nutzen auch eine Menge Frauen ihre Alleinherrschaft über die
Verhütung, um erfolgreich ihre Familie zu planen - mit oder ohne den Vater.
Am härtesten, vielleicht weil am wenigsten erwartet, trifft einen die
zweite Pubertät in der Beziehung. Frauen verdienen im Schnitt weniger als
Männer und haben ein deutlich eingeschränkteres Aufgabenfeld. Das wirkt
sich auf die Dauer als Abhängigkeit der Frau von seiner Großzügigkeit aus.
Da kann man schon mal der Liebsten ein großzügiges Geschenk machen, sie so
richtig verwöhnen, als Dank dafür, dass sie Haushalt und Familie regelt.
Danach darf sie sich aber auch nicht mehr über seine Faulheit beschweren.
Und sollte die Frau wider Erwarten beruflich aufsteigen, kann der Partner
die Selbstständigkeit der Freundin ja ganz locker ignorieren und ihr
einfach weiter die Welt erklären. "Mein Freund gönnt mir meinen Erfolg
nicht" ist ein Satz, den ich in den letzten zwei Jahren fast ebenso oft
gehört habe wie "Sollen wir mal einen Kaffee trinken gehen?".
Wer die erste Pubertät nur schwer erdulden konnte, der sollte sich für die
zweite besser wappnen. Der Eindruck, dass man die Welt nicht mehr versteht,
wird sich verdammt ähnlich anfühlen wie damals in der Pfarrdisco.
Wünschenswert wäre zur Unterstützung eine Art Aufklärungsunterricht und
Fachliteratur, die ähnlich wie einst im Biobuch die sozialen
Geschlechtsmerkmale erläutert. So wüsste man wenigstens, was wirklich auf
einen zukommt.
JUDITH LUIG, Jahrgang 1974, ist Redakteurin im taz.mag und möchte, wenn
irgend möglich, lieber wieder siebzehn sein
27 Jun 2008
## AUTOREN
Judith Luig
## TAGS
Spielfilm
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