# taz.de -- Christopher Street Day: Späte Freude am Mahnmal | |
> Am Vorabend des CSD hat Rudolf Brazda, der letzte schwule Überlebende des | |
> Nazi-Terrors, der im KZ den Rosa Winkel trug, noch einmal einen großen | |
> Auftritt. Der 95-Jährige wird von Wowereit hofiert. | |
Bild: Rudolf Brazda mit Klaus Wowereit am Mahnmal für verfolgte Homosexuelle | |
Am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen deutet | |
eine Amerikanerin auf Rudolf Brazda, dem jemand eine Rose in die Hand | |
gedrückt hat. "Is he a survivor?", fragt sie. Ist er ein Überlebender? "Ja, | |
einer, der wegen Homosexualität verfolgt war", antwortet jemand. Dann | |
deutet die Touristin auf Klaus Wowereit, der neben Brazda steht und ihn um | |
Kopfeslänge überragt. Wer er ist, will sie wissen. "The mayor" - der | |
Bürgermeister -, antwortet der Mann. "Is he gay too?" Dass er ebenfalls | |
schwul ist, entlockt ihr ein anerkennendes Nicken. | |
Brazda, ganz dünn, in fliederfarbenem Hemd und weißem Haar, hat lange mit | |
Wowereit zusammen das Video der küssenden Männer im Homomahnmal betrachtet. | |
"So waren wir", sagt der 95-Jährige. Dann posiert er für die Fotografen. Er | |
weiß seinen Körper in Szene zu setzen mit einer Hüftdrehung und leicht | |
geneigtem Kopf. Schließlich hat Brazda Bühnenerfahrung. In Tschechien war | |
Ende der 30er Jahre mit Fahrenden umhergezogen. Er hat Josephine Baker | |
gespielt. | |
Die Nazis hatten den in Sachsen Geborenen nach Tschechien ausgewiesen. | |
Zuvor allerdings hatten sie ihn nach Paragraf 175, der Homosexualität unter | |
Strafe stellte, ein halbes Jahr ins Zuchthaus gesteckt. | |
Nach der Annektierung des Sudentenlandes 1938 wird er jedoch wieder | |
verhaftet. Und von 1941 bis zum Ende des Krieges wird er ins KZ Buchenwald | |
gesteckt. Brazda muss den Rosa Winkel tragen. | |
Brazda ist ein Charmeur. Bis heute. Im KZ allerdings sollen sein Charme, | |
seine Jugend, seine Schönheit ihm das Leben gerettet haben. Ein Kapo soll | |
ihn geschützt haben. Er habe immer Glück gehabt. So zumindest hat er es Eva | |
Brückner von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas erzählt. | |
Sie durfte den alten Mann interviewen. Brazda - ein Zeitzeuge. Einer der | |
allerletzten. | |
Als Brazda vor einem Monat im Fernsehen von der Einweihung des | |
Homosexuellendenkmals erfuhr, hat er sich beim Verband der Schulen und | |
Lesben (LSVD) gemeldet. Dort hatte man angenommen, dass kein | |
KZ-Überlebender, der den Rosa Winkel tragen musste, noch lebte. Umso größer | |
die Freude. Nun bekommt Brazda am Ende seines Lebens, das der gelernte | |
Dachdecker nach 1945 mit seinem Freund zusammen irgendwo im Elsass | |
verbrachte, noch einmal viel Aufmerksamkeit und Zuwendung. Sie tut ihm gut. | |
Denn was die Nazis mit ihrer Verschärfung des Paragrafen 175 begannen, das | |
wurde in der Bundesrepublik fortgeführt. Die Kriminalisierung von | |
Homosexualität galt weiterhin. Wie auf einer Podiumsdiskussion nach dem | |
Mahnmalbesuch ausgeführt wird, wurden sogar mehr Schwule nach dem Krieg | |
nach Paragraf 175 verurteilt als während der Nazizeit. Entschädigung | |
erhielten die verfolgten Homosexuellen später nur in den allerseltensten | |
Fällen. Erst seit 2002 sind Urteile nach Paragraf 175, die in der NS-Zeit | |
gefällt wurden, aufgehoben. Die Urteile, die nach 1945 nach Paragraf 175 | |
gefällt worden, jedoch noch nicht. "Da gibt es noch viel aufzuarbeiten", | |
meint Günter Dworek vom LSVD. | |
Am Ende der Podiumsdiskussion wird Brazda gefragt, ob er noch reden wolle. | |
Zaghaft setzt er sich ans Mikrofon. "Was soll ich sagen?", beginnt er | |
irritiert. "Dass wir von der Natur so schrecklich verwandelt wurden von | |
unserer Veranlagung", fährt er fort, "das ist in der Demokratie in Freiheit | |
umgewandelt." Er macht eine Pause, als spüre er seinen Worten noch nach. | |
"Anders als bei der Hitler-Bagage. Wenn ich denke, was ich hab durchmachen | |
müssen in den Lagern" - er bricht ab, schiebt seine Hände auf dem Tisch hin | |
und her. Für Sekunden hört man das schleifende Geräusch. "Früher, | |
versteckt, versteckt hast du gelebt, die ganze Zeit", sagt er erregt. "Und | |
ich finde, dass die Demokratie das Beste ist, was es gibt", setzt er den | |
großen Punkt. | |
28 Jun 2008 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
Waltraud Schwab | |
## TAGS | |
Homosexuelle | |
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