Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Weltwirtschaftstreffen in Japan: Bewegung fern vom Gipfel
> Der G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm war ein Happening für die
> globalisierungskritische Bewegung. Was passiert in diesem Jahr auf
> Hokkaido?
Bild: "Gute Erfahrungen mit zivilem Ungehorsam": G-8-Proteste 2007
Satte 100.000 DemonstrantInnen haben die Organisatoren der G-8-Proteste im
vergangenen Jahr rund um Heiligendamm erwartet. Gekommen sind zwar etwas
weniger. Doch die Bewegung zog nach der Großdemonstration in Rostock und
den Massenblockaden rund um Heiligendamm eine euphorische Bilanz:
Erfolgreich vernetzt, Agenda mitbestimmt, Gipfel blockiert.
Ein Jahr später sind die Erwartungen um eine Potenz geringer: Zum
diesjährigen G-8-Gipfel, der am Montag auf der japanischen Insel Hokkaido
beginnt, rechnen die Veranstalter mit maximal 10.000 Gipfel-GegnerInnen.
Und selbst das halten manche für zu optimistisch - schließlich gibt es in
Japan keine Tradition der Gipfelproteste (siehe unten). Aus Deutschland
wird wohl nur rund ein Dutzend Aktivisten vor Ort sein. Neben einzelnen,
die auf eigene Faust anreisen, sind vor allem Vertreter von Organistionen,
die, wie Attac, gegen die G 8 protestieren oder, wie Oxfam, Wünsche an sie
übergeben wollen. Die geringe Beteiligung liegt neben den eingeschränkten
Prostetmöglichkeiten vor allem an der teuren und aufwendigen Anreise - und
ist nicht ungewöhnlich: "Zu Gipfeln außerhalb von Europa haben wir noch nie
mobilisiert", sagt etwa Attac-Sprecherin Frauke Distelrath.
Doch auch unabhängig vom bevorstehenden Gipfel stellt sich die Frage, was
von der Euphorie und den hochfliegenden Erwartungen aus dem vergangenen
Jahr geblieben ist. "Die Krise der Bewegung ist durch Heiligendamm nicht
behoben worden", sagt etwa Thomas Seibert, Mitarbeiter der
Hilfsorganistaion Medico International und Redakteur des linken
Debattenblatts Fantomas. "Aber sie führt auch nicht zum Abschwung, sondern
zu einer notwendigen Programm- und Strategiedebatte."
Die Einschätzungen zu den praktischen Konsequenzen der G-8-Proteste gehen
auseinander. "Bündnispolitisch hatte Heiligendamm keine nennenswerte
positive Wirkung", sagt Peter Wahl, Mitarbeiter bei der Organisation Weed
und bis zum vergangenen Herbst zudem im Koordinierungskreis von Attac. Der
Gewaltausbruch am Rande der Großdemonstration in Rostock erschwere künftige
Kooperationen zwischen Gewerkschaften und NGOs auf der einen und
linksradikalen Gruppen auf der anderen Seite. Dass Wahl und andere
Attac-Vertreter die Gewalt klar verurteilten, kritisieren viele Autonome
bis heute als "vorschnelle Distanzierung".
Im Gegensatz zu diesem Streit sieht Christoph Kleine, der für die Gruppe
"Interventionistische Linke" zu den Demo-Organistoren gehörte, seit Rostock
eine "neue Kultur der Zusammenarbeit", die durch die "unvermeidliche
Auseinandersetzung" nach der Demonstration enstanden sei. Auch der
Protestforscher Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin hat eine
"Öffnung der Gesprächskultur zwischen sehr unterschiedlichen Akteuren"
beobachtet.
Einigkeit besteht über die positiven Nachwirkungen der Massenblockaden, mit
denen über 10.000 Menschen zwei Tage lang die Zufahrtsstraßen nach
Heiligendamm dicht gemacht hatten. "Von solchen intensiven Erlebnissen
bleibt auf jeden Fall etwas hängen", sagt Rucht. "Wenn Menschen gute
Erfahrungen mit zivilem Ungehorsam machen, sind sie bereit, sich bei
anderer Gelegenheit wieder zu beteiligen."
Ob das gelingt, kann sich beispielsweise beim 60. Geburtstag der Nato
zeigen, der im kommenden Frühjahr in Straßburg und Kehl gefeiert werden
soll. Ähnlich wie in Heiligendamm will ein Bündnis verschiedener linker
Gruppen zu Blockaden aufrufen. Auch die deutsche Umweltbewegung will die
Gipfel-Erfahrungen aufgreifen. Nachdem eine Klima-Demonstration im Dezember
trotz der Aktualität des Thema noch unter mangelder Beteiligung litt, wurde
die Szene zuletzt aktionistischer. Nach der Blockade eines Kohlezugs und
der kurzzeitigen Besetzung eines Kohlekraftwerks-Bauplatzes findet im Augst
ein Klima-Aktionscamp in Hamburg statt, bei dem weitere Protestformen
diskutiert und erprobt werden sollen.
Solche Aktionsformen wird es wohl brauchen, um die Protestierer aus
Heiligendamm wieder zu aktivieren. Denn ein Großteil der 15.000 meist
jungen Aktivisten aus den G-8-Camps gehörte keiner formalen Organsation an.
Und das hat sich bis heute kaum geändert. "Es ist niemandem gelungen, diese
Gruppe an sich zu binden", stellt Protestforscher Rucht fest. "Sie setzen
auf situatives Engagement ohne Verpflichtungen." Lediglich Attac hat seine
Mitgliederzahl nach Heiligendamm um 2000 gesteigert und eine
Jugendorgansation gegründet. Zugleich leidet das Netzwerk aber unter noch
unter dem Rückzug seiner langjähringen Führungsfiguren Sven Giegold, Peter
Wahl und Werner Rätz - und darunter, dass Globalisierungskritik
mittlerweile Mainstream ist. Dass die Finanzmärkte "Monster" sind, sagt
heute auch Bundespräsident Horst Köhler. Dass die G-8-Gipfel an Relevanz
verlieren und ihre Versprechen nicht einhalten, erkennen auch konservative
Medien. Beim Klima-Thema etwa geht nicht nur Greenpeace davon aus, dass es
in Japan keine Fortschritte geben wird; auch die Bundesregierung heißt es
lediglich, man "glaube nicht, dass wir hinter Heiligendamm zurückfallen".
Doch auch wenn die deutschen Globalisierungskritiker dem diesjährigen
G-8-Gipfel in Japan keine sonderlich große Bedeutung beimessen - spätestens
im nächsten Jahr dürfte sich das wieder ändern. Dann heißt ist als
Gastgeber Italien an der Reihe. Erstmals seit Genua, das nach den von der
Polizei brutal angegriffenen Massenprotesten im Jahr 2001 als Geburtsstunde
der Globalisierungskritik in Europa gilt. Und wieder mit einem
Ministerpräsidenten namens Silvio Berlusconi.
4 Jul 2008
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
Felix Lee
## ARTIKEL ZUM THEMA
Japan schottet G-8-Gipfel ab: Festnahmen und Einreiseverbote
Vor dem Weltwirtschaftsgipfel 2008 sortiert die japanische Polizei
mutmaßliche Aktivisten schon mal aus. Drei Protestcamps soll es trotzdem
geben.
Globalisierungskritik auf Japanisch: Zerstritten, aber handlungsfähig
Der japanische G-8-Protest wird von Studierenden, Anarchisten,
Gewerkschaftern, Bauern und Entwicklungshilfe-Initiativen getragen. Wollen
sie das gleiche?
Begrenzte Öffnungsbereitschaft bei G8: Gipfel ohne Weitsicht
Globale Probleme lassen sich nicht ohne China und Indien lösen. Doch die
Bereitschaft des Westens, seine Institutionen für andere Länder zu öffen,
ist aus Kalkül begrenzt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.